II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 225

hehlt sich nicht länger, daß die Geliebte des Sohnes, die gante Leichtlebigkeit sehr glücklich zeichnete und ein ge¬
keine Beziehungen mehr mit dem Hause hat, nicht bleibenlungenes Gegenstück zu seinem Theodor aus dem Schau¬
spiel „Liebelei“ gab. Eine gefällige und erfrischende
könne, und ersucht den Dr. Schmidt, Toni darüber auf¬
Farbe brachte auch Frl. Bardi durch den Knaben Lulu
zuklären. Toni fürchtet hinausgestoßen zu werden in
in das Stück. Die hübsche Leistung zeigte, daß Fräulein
das Leben, in dem sie allen Halt verlieren müßte, und
Bardi in der Charakteristik entschiedene Fortschritte
klammert sich verzweifelt an den Aufenthalt in Hause.
Aber es hilft ihr nichts. Frau Winter, die das Ver= macht. Frl. Immisch gab die Toni Weber mit dem
häugnißvolle ihrer Situation erkennt, will das Letzte weichen Gefühl, das ihr eigen ist, und wußte in den
entscheidenden Scenen wahrhaft zu ergreifen. Dennoch
abwenden und Toni in ihr eigenes Haus nehmen; aber
fehlte der Beisatz des Volksthümlichen und Einfachen,
ihre Tochter verwahrt sich dagegen, und so muß dieses
und es muß der Wunsch ausgesprochen werden, daß
Vorhaben unterbleiben. Toni wird weggeschickt, und
Frl. Immisch dieses Erforderniß der modernen Schau¬
sucht, da sie keinen Auschluß mehr in der Welt hat, den
Tod. Losatti und Dr. Schmidt lehnen die Verantwortung spielkunst sich immer vor Augen halte, damit ihr ange¬
nehmes Talent auch immer günstig zur Geltung komme.
für diese traurige Folge ab. Aber Franziska erhebt die
Frl. Baumgart hielt in der Darstellung der edlen
Anklage gegen sie, daß sie mit kühlem Herzen die Un¬
Frau den richtigen Grad vornehmen Ernstes ein und
glückliche in die Verzweiflung getrieben haben, und ge¬
steht am Ende selbst, daß sie ein reines Verhältniß zuvermied in anerkennenswerther Weise die Beimischung
des Pathetischen. Frl. Ehrhardt und Frl. Ursus
Toni nicht gefunden und sich immer als die Gneden¬
fügten sich in das Zusammenspiel mit Geschick ein, ohne
spenderin ihr gegenüber angesehen hat.
indeß ihre Rollen bis zur selbstständigen Bestimmtheit
Wie schon hervorgehoben, ist nicht die Verachtung,
herauszuarbeiten. Die kleine Rolle des Arztes war durch
die man einem verlassenen Mädchen gegenüber empfindet,
Herrn Mandé ansprechend vertreten, und gerechter
der Gegenstand des Stückes; denn so weit sind Professor
Weise soll auch die kleine Filaun, die das Kind
Losatti und seine Angehörigen, um sich auch über ein
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spielte, ihren Fleißzettel erhalten.
Vorurtheil, wenn auch mit ein wenig Kampf, hinwegzu¬
setzen — aber nur daun, wenn der Egoismus sich damit
im Einklange halten läßt. Das hat der Dichter in feinem
Gegensatze hervorgehoben. Losatti erkennt sein Verhält¬
niß zu dem Enkelkinde an und behält Toni nur als die
Mutter seines Enkelkindes im Hause. Denselben Stand¬
punkt der Engherzigkeit nimmt der Vater Toni's ein,
der zwar seine Tochter, auch nachdem sie gefallen ist, zu
sich nehmen will, jedoch ihrem Kinde den Eingang in
sein Haus unbedingt verweigert. Diese Gegenüberstellung
ist ein meisterhafter Zug und setzt die Absicht des Dich¬
ters schärser als alles Andere in's helle Licht. Auf bei¬
den Seiten geht die Menschlichkeit nicht so weit, anzuer¬
kennen, daß Mutter und Kind zusammengehören. Dieser
Kampf gegen die kaltherzige Abgrenzung des eigensten
Interesses, welche weit tiefer geht, als man auf den
ersten Moment anzunehmen geneigt ist, gibt dem neuen
Werke Schnitzler's eine bedeutsame Signatur.
Was die Ausführung im Einzelnen anlangt,
steht die Technik entschieden auf der Höhe. Der Aufbau
des ersten Actes kann gewiß zu den geschicktesten Cxpo¬
sitionen gezählt werden, die wir besitzen. Die Charakteri¬
stik ist am stärksten in der Figur des Professors Losatti,
des phrasenhaften Abgeordneten, der nach seiner politi¬
schen Gesinnung liberal, nach seiner Empfindung ein bis
zur Kälte nüchterner Opportunitätsmensch ist. Etwas
gar zu schwarz ist Dr. Schmidt ausgefallen, uud wenn
auch recht fein motivirt ist, daß der Sittenprediger seine
Streuge durch den Rückblick auf seine durchkämpfte
Jugend rechtfertigt, läßt sich doch nicht verkennen, daß
die Farbe etwas milder hätte gehalten sein dürfen, um
die Lebenswahrheit ganz zu behaupten. Sehr sympathisch
sind Franziska und Frau Winter gezeichnet, die Alles
versteht und verzeiht. Das Drama stellt unzweiselhaft
einen weiteren Fortschritt Schnitzler's in der Beherrschung
der Bühne dar und kann mit Ehren neben den besten
Hervorbringungen der letzten Zeit stehen.
Die Aufführung machte sich um das anziehende
Werk ehrlich verdient. Herr Schmidt, der den Losatti
gab, bot eine Zeichnung von so sicheren Strichen.—
die eigenartige Figur in voller Lebendigkeit vor uns ungetheilten, freundlichen Beifall, später setzte eine sehr
stand. Das liberale Mäntelchen, das die crasse Selbst=starke Opposition ein, die sich im dritten Acte bei offener
sucht nicht verdecken kann, trug diese Gestalt mit vor= Scene zum erstenmale bemerkbar machte, um gegen den
trefflich gespielter männlicher Würde. Neben dieser präch= nach einer wilden Prügelscene recht gewaltsam improvi¬
tigen Leistung des Herrn Schmidt trat, wie schon in der sirten „Beifallssturm“ energisch zu protestiren. Dieser
Vornotiz gesagt worden, Fräulein Ehrl am meisten in Kampf zwischen den Anhängern des Autors und den
den Vordergrund. Wir haben diese begabte Kraft als Gegnern des Stückes wiederholte sich dann am Ende des
Vertreterin des heiteren Genres immer geschätzt und auch dritten und vierten Aufzuges, so daß der harmlos
in Aufgaben ernsterer Natur ihr Verständniß für poetische dreinschauende Dichter sich nur für einen sehr bestrittenen
Stimmung würdigen können. Dennoch war es uns eine Erfolg bedanken konnte. — „Das fünfte Rad“,
angenehme Ueberraschung, an ihr auch so viel Kraft und das neueste Lustspiel von Hugo Lubliner (Bürger), fand
Energie kennen zu lernen, wie sie sie als Franziska ge=im Kgl. Schauspielhause zu Berlin freundliche Aufnahme.
zeigt hat. Die echte Wärnie, mit welcher sie die Schluß] Es ist eine bürgerliche Comödie, die durch lustige Situa¬
scene spielte, zeigte, daß der Umfang ihres Könnens nochtionen und anheimelden Humor wohl zu interessiren
weiter liegt, als wir auch bei unserem günstigen Vor- vermag, aber sich im Ganzen in der Schablone eines
urtheil angenommen haben. Die wirkungsvolle Leistung überholten Geures hält. Lubliner wurde besonders nach
sei als besonders erfreulich constatirt. Hr. v. Wymetall dem zweiten Act wiederholt gerufen.
Keine Antoren=Hervorrufe. Die
stellte in scharsem Umriß den allzu strengen Richter
Mantoren werden nächste Woche
HEnE