II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 234

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10. Das Vernaechtnis
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lverliebtes Mädchen. Verliebte Mädchen haben auf der Bühne
Feuilleton.
wie im Leben immer viel Stimmung für sich, außerdem ist
sie Mutter, eine zärtliche Mutter. Ihr Schmerz am Sterbe¬
Sch. Das Münchener Schauspielhaus wurde gestern lager des Geliebten ist natürlich, ihre Mutterliebe recht lobens=
unter der alten Direktion mit Arthur Schnitzlers drei=werth, aber nicht charakteristisch, Mutterliebe kann einen
nitigem Schauspiel „Das Vermächtniß“ wieder eröffnet.] Charakter ergänzen, nicht erschöpfen. Wodurch ist aber Toni's
Auchshier, wo um so manches Produkt der modernen Muse Ausnahmestellung anderen Gefallenen gegenüber motivirt?
heiß gekämpft wurde, mit verschwindenden Ausnahmen lauter
Störend wirkt bei diesem wie bei so vielen modernen Stücken
neue Gestalten, neue Gesichter. Man wird sich daran ge¬
der Umstand, daß Gedanken, die man wohl denken, aber nicht
wöhnen müssen, schwer wird es Vielen werden. „Das Ver¬
aussprechen würde, auf der Bühne gesprochen werden müssen
mächtniß" fand nach der Wiener Premiere in Nr. 338 vom
und dadurch in unangenehmer Weise vergröbert werden. Be¬
6. Dezember v. J. ausführliche Besprechung und Würdigung. ssonders in der Rolle des Losatti findet sich eine ganze Reihen
Auf uns macht das Stück den Eindruck einer Arbeit, die solcher Sätze, die von der Bühne ganz unwahrscheinlich derb
niedergeschrieben und in die Welt gesandt wurde, bevor sie klingen. Die Vorstellung war leider nicht tadellos. Das Ensemble
genügend ausgereift war. Nur so lassen sich gewisse Schwächen ist noch nicht recht eingespielt, das entschuldigt manches, nicht
erklären, die jedem Unbefangenen gerade bei dem sonst so
alles. Es fehlte arg an Stimmung. Auf einen Fehler, der
feinfühlenden und empfindlichen Schnitzler sofort auffallen
auch am Schluß der vorigen Saison stark zugenommen hatte,
müssen. Die dem Werke zugrunde liegende Idee, das Ein¬
weisen wir absichtlich hin, er muß abgestellt werden: es kam
treten des Autors für die Schutzlosen, ist gewiß zu loben
wieder häufig vor, daß einzelne Darsteller ihrem Partner zu
und dramatisch werthvoll, läßt aber keinerlei Ver=früh in die Rede fielen, das stört nicht nur, sondern verdirbt
allgemeinerung zu. Der Lösung der sozialen Frage, die
oft die Pointen. Dergleichen kann nur durch streuge Disciplin
in dem Vorwurf steckt, kommen wir durch das Stück
bei den Proben beseitigt werden. Die Konversation war
um keinen Finger breit näher, denn nur ein ganz
noch durchweg zu schwerfällig. Leicht hingeworfene Sätze
weltfremder Schwärmer kann behaupten, daß das vom Autor
wurden mit einem Nachdruck gesprochen und mit Gesten be¬
angegebene Rezept in allen Fällen richtig, ja nur anwendbar
gleitet, die zum ausgesprochenen Gedanken in keinem Ver¬
Par §sei. Interessant ist das Problem jedenfalls und interessant hältniß standen. Im ersten Akt am Krankenlager wurde zu
10 sind mehrere der Typen, die Schnitzler uns vorführt. Die laut gesprochen. Frln. Lange hat für die Toni entsprechendes
30 beste Figur des Stückes ist der alte Losatti, fein beobachtet Aeußere, aber ihre Ausdrucksmittel sind zu schwach, zu
50 und sicher, aber oft etwas drastisch gezeichnet. Dagegen ist energielos, Routine fehlt noch ganz, das bewies gleich der
100 der Dr. Schmidt eine der unglücklichsten Figuren, die Schnitzler] erste Auftritt. Die Dame spricht nicht übel, aber weinen
überhaupt schuf, ein ganz monotoner, farbloser Bösewicht, kann sie nicht. Die ganze Gestalt stand zu sehr grau
Abonne primitiv in der Zeichnung, unhaltbar in seinem Auftreten in
in Grau da, durch richtige Vertheilung von Licht und
Abonnefremdem Hause und in seinem blinden Haß gegen Toni merk= Schatten ist sie viel plastischer herauszuarbeiten. Hr. Lind
würdig unmotivirt. Gut wiederum ist die schwache, energie¬
als Professor war rätselhaft, das war kein Mensch, sondern
lose Betty, gut bis auf den letzten, psychologisch ganz uner¬
eine Karikatur. Die Betty der Frau de Scheirder und
klärlichen, unsres Erachtens gesuchten, gegen Toni gerichteten
Hrn. Schwartze's Schmidt befriedigten. Ein liebes, altes
Umschwung ist Agnes Winter, eine mit viel Liebe und
im besten Sinne altes Gesicht sahen wir wieder: Frl. Bré
Gemüth geschaffene Gestalt. Sympathisch durch ihren reso= gab die Franziska mit der ihr eigenen Wärme und Inner=I
luten, geraden Sinn wirkt Emma Winter (Schnitzlerlichkeit. Ein anderes Wiedersehen feierten ältere Theater¬
nennt sie: „Wittwe nach Betty's verstorbenem Bruder“), besucher: die Emma spielte Frau Louise Fischer, einst als
doch muß gerade bei diesee Charalteranlage das schnelle Nach= Naive ein Liebling des Hoftheaterpublikums. Das alte Talent
geben Agnes' Bitte gegenüber, Toni nicht aufzunehmen, be=scheint auch im Fach der Mütter sich zu bewähren. Frl.
fremden. Die Heldin Toni ist ein anscheinend recht liebes, v. Kroll ist eine sympathische Naive mit hübschem Gesicht!
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und anscheinend guten Anlagen. Sie trug gegen ausdrück¬
liche Anweisung Trauer, merkt die Regie das nicht? Ueber
Hrn. Rübsam (Hugo) läßt sich nach der kurzen Rolle ein
Urtheil nicht geben. Frl. Zunzer, sowie die HH. Lang
und Heller machten sich um kleine Rollen verdient. Die
Ausstattung war gut, das Publikum zahlreich und die Auf¬
nahme des Stückes freundlich. Uebrigens hätte auch dieses
(Stück im Hoftheater kaum Aergernißz eregkt.“