II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 260

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10. Das Vermaechtnis
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das ganze Lebensglück verloren hat, man reißt sie aus

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dem Schooße der Familie wieder heraus, sie geht dahin

und nimmt sich das Leben. Die Einsicht kommt zu
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spät, das Schauspiel klingt aus in dem Gedanken des
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Dichterwortes: „Ein mächtiger Vermittler ist der Tod!“

Wenn das Stück gestern einen ungewohnten Beifall
sand, der sich nach jedem Actschlusse und am Ende in
Sommer=Theater.
fast stürmischer Weise kund gab, so ist das nicht zum
Eine Verherrlichung der Mutterliebe einerseits,
wenigsten der vorzüglichen Wiedergabe durch das
eine Idealisirung derselben in jeder Gestalt, wie sie
Meßthaler=Ensemble zuzuschreiben. Eine Glanzleistung
auch auftreten möge, und auf der anderen Seite der
bot Frl. Darmer als Toni Weber, die unglückliche
kraffeste Egoismus, sich überhebender Eigendünkel, um
Geliebte des jungen Juristen. Mit inniger Wärme
den fanatischen Stolz zu wahren, der gemeiniglich hin
führte die Dame die schwierige Rolle durch, ergreifend
Für 50 Zei mit „Familienehre“ bezeichnet wird — das ist das war das schmerzdurchdrängte Spiel, das traum¬
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Motiv, das Arthur Schnitzler seinem dreiactigen
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verlorene Gedenken an den Geliebten. Edel und
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Schauspiele „Das Vermächtniß“ zu Grunde
stolz trat sie den vermeintlichen Helden für die
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gelegt hat, und es ist das geworden, was wir nach¬
Familienehre gegenüber, als man sie wie eine Aus¬
Im
gerade unter einem Werke des Dichters verstehen —gestoßene der Gesellschaft von sich wies, wo sie
AAbonnement
ein echter „Schnitzler“. Vollendete Form der Sprache,
Mabonnenten
doch nur ein Opfer des unerbittlichen Schicksals
glatter, sich fließend abwickelnder Dialog, keine flachen
ist, das der Tod des Geliebten und des Kindes!
Redensarten: ein Gemisch von Idealismus und
Der „
mit sich brachte. Der Dr. jur. Hugo Losatti
Realismus, die flott in einander greifen wie die Räder
Inhaltsanga
gab Herrn Eißfeld Gelegenheit während des
blütter einer Maschine. Es fehlt nicht an packenden, wirkungs¬
einen Actes seines Auftretens seine künstlerische
wodurch eine vollen Scenen, an gut ausgearbeiteten Bühneneffecten,
Begabung im besten Lichte zu zeigen. Er spielte die
des In- und ab und zu erscheint allerdings der Dialog etwas zu
werden inV
Sterbescene mit erschütternder Wirkung und voller
breit getreten, während wiederum an anderen Stellen
Gefühl, so daß sie zu den besten der Aufführung
die Handlung nur in skizzenhaften Umrissen hervor¬
zählte. Nächstdem verdient der Dr. Schmidt des Herrn
tritt. Der Gesammteindruck des Schauspiels jedoch
Beck genannt zu werden, der von beißendem Sarkas¬
ist abgerundet, ein in sich abgeschlossenes Ganzes und
mus, giftigem Cynismus war. Frl. Waldmann]
mit seiner aus dem vollen Leben herausgeschöpften
verkörperte die Schwester Hugos, Franziska, in an¬
Handlung wird es nie verfehlen, einen tiefen Eindruck
gebrachter Weise und trug so zum guten Gelingen der
auf das Gemüth des Zuschauers aus zu üben.
Vorstellung bei. Herr Rippert als Professor Losatti
Ein junger Jurist, Dr. Hugo Losatti, ist auf einem zeigte den richtigen Typus eines trockenen Gelehrten,
Spazierritt vom Pferd gestürzt, sterbend wird er zu
der nur den Codex der Familienehre kennt, nicht aber
seinen Eltern gebracht. Im Gefühl des nahenden
genug Weltweisheit und Klugheit besitzt, um gegen
Todes vertraut er diesen sein großes Herzensgeheimniß
diese Vorschriften zu handeln, selbst wenn es Gefühl
an, er hat eine Geliebte und mit dieser einen Knaben.
und menschliche Ehre erfordern. Ein Philister!
Diese beiden nun, wenn er nicht mehr ist, zu hüten und zu
Frau Paulmann als dessen Frau bewährte sich in
beschützen, das ist sein letztes Bitten auf dem Todten¬
jeder Hinsicht, wie das auch mit Frl. Jordan der
bette, sein Vermächtniß. Er stirbt. Seine Familie
Fall war, die als Tante des Juristen eine sympathische
nimmt sich des Kindes mit seiner Mutter an, aber Figur schuf. Frl. Huber, in deren Händen wohl
erwärmende Liebe für das unglückliche Weib vermag
zum ersten Male eine größere Rolle lag, ließ den
nicht aufzukeimen, das einzige Bindeglied zwischen
guten Willen zur Durchführung erkennen und auch
allen ist das Kind. In wahrer Liebe hängen nur
die übrigen Mitwirkenden, von denen wir noch den
die Schwester des Verstorbenen und dessen Tante an
flotten Gymnasiasten des Frl. Mudra, den Gustav
der jungen Mutter, die Mutter des Dahingeschiedenen
Brander des Herrn Martini und den Arzt des Herrn
vist zu wankelmüthig; wenn sie auch das Vermächtniß
Knaak verzeichnen, fügten sich dem Rahmen der
des Sohnes in Ehren halten möchte, sie ist zu schwach
guten Vorstellung ein. Bemerkenswerth war, daß die
dazu. Da stirbt auch das Kind und nun ist es vorbei
Kinderrolle in so glatter, Weise ihre Erledigung fand.
mit dem ehrlichen Wollen. Dr. Schmidt, der
Regie und Inscenirung waren wie immer vortheil¬
Bräutigam der Schwester des Todten, schürt die Flamme
haft und tadellos, der gespendete reiche Beifall wohl
gegen das geprüfte Geschöpf, das in wenigen Wochen verdient.
Fritz Arnhold.