II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 266

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vom: 267
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Kunst und Wissenschaft.
Kgl. Wilhelmatheater, 23. Jan. „Das Vermächknis
von Arthur Schnitzler.
Der Wiener Dichter des „Abschiedssouper" und
„Lebendigen Stunden“ baut sein schon vom Jahre 1898 statz
mendes Schauspiel „Vermächtnis“ auf einem so#'n. „unterird
schen“ Verhältnis auf, wie es gar oft auch in den besten Famili
vorkommt und nicht zuletzt in der Stadt der Lebenslust. in Wie
Hugo Losatti, der Sohn des Professors und Abgeordneten Losati
ist durch einen Sturz vom Pferde schwer verunglückt und noch kus

vor seinem Tode fleht er seine ihn vergötternden Eltern an, si
seiner Geliebten Toni und seines Kindes anzunehmen. Eine har
Zumutung für die vornehme Familie trotz der liberalen Ideen di
Vaters Losatti; indes Toni, die ihm, dem so tiefbetrauerten Sohr
so lieb war, wird in das Haus genommen und mit dem herzige
kleinen Franzi, seinem Kind, scheint wirklich so etwas wie e
Sonnenstrahl ins Haus zu kommen, der alles vergoldet —, auf
die heikle Situation Tonis. Freilich — und das ist kein übl
Hieb auf unsere gesellschaftliche Moral — die Freunde der Famil
Losatti haben fast alle den Verkehr mit derselben wegen diest
Inh
wahrhaft guten That abgebrochen, was die an sich gutmütige Fa¬¬
wodh milie des Kindes wegen leicht verschmerzt. Allein das Kind stirbt
Let
und nun erscheinen diese gesellschaftlichen Opfer auf einmal nicht
theif mehr zu ertragen. Man sucht Toni abzuschütteln, ein Auftrag, der
von dem zukünftigen Schwiegersohn des Hauses; einem aus nie¬
deren Kreisen Emporgestiegenen, rücksichtslos vollführt wird.
Auch kein übler Zug des an feinen Zügen reichen Stücks, daß der
Parvenu am meisten besorgt ist für das Renommé der Honoratio¬
renfamilie. Tomi aber, eine weiche hilflose Natur, erträgt diesen
Schlag nicht, sie geht in den Tod, und mit den Worten Franziskas,
der Schwester Hugos, die bei diesem Anlaß auch den streberischen
Verlobten verabschiedet: „Gut hätten wir gegen sie sein sollen, die
unserem Hugo das liebste war
“ schließt das Stück. Man
kann das Schauspiel ruhig unter die Rührstücke einreihen; es wird
viel an die Nerden appellirt. Ein Stimmungsbild, schwarz in
schwarz — in Trauerkleidern. Der 1. Akt ist eine einzige, durch
das meisterhafte Spiel unserer Darsteller erschütternd wirkende
Sterbeszene, die übrigens auch den denkenden Dichter verrät, denn
nur als letzter Wunsch des sterbenden Hugo ist die Aufnahme dieses
„Vermächtnisses“ in die vornehme Familie denkbar. Auch die Un¬
zuträglichkeiten in der sozialen Stellung, die sich mit diesem „Ver¬
mächtnis“ ergeben, sind gut gezeichnet, so daß nur der Ungerechte,
der durch die Bühnenwirkung Befangene, bei der beabsichtigten
Entfernung Tonis in Entrüstung geraten kann. „So sind wir
Alle“, wir gesellschaftlich Gebundenen und diese Familie Losatti
ist in ihrem Milieu noch eine der bestmöglichen. — Gespielt wurde
z. T. vorzüglich, so daß dadurch auch die Mängel der dramatischen
Technik einigermaßen verwischt wurden. Vorzüglich hielten sich
die Damen Amelie Schurich, Dora Lux, A. Rossi, M. Künniger,
dagegen scheint uns Emmy Remolt in ihrem Aeußeren zu viel
Energisches für die weiche, hilflose Ophelianatur zu haben. Nicht
ganz an seinem Platz scheint uns Herr Schmidt=Häßler als Papa
Losatti zu sein; die ganze Gestalt dieses liberalen Phraseurs erhält
zu sehr einen Stich ins Komische. Dagegen waren die Herren
Gerasch, Jessen, Alsen gan zan ihrem richtigen Platz. — Das Haus
war gut besetzt; auch die Frau Herzogin Vera wohnte der Vor¬
stellung bei.

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vom: 11 7 77
(K. Wilhelmatheater.) Arthur Schnitzlers schon 1898
entstaadenes Schauspiel in drei Akten „Das Vermächtnis“,
welches zuerst in der zweiten Goethebunds= und nun am Dienstag in der
Abonnementsvorstellung vorgeführt wurde, zeigt uns denselben
Typus des „kleinen, süßen Mädels“, den man aus anderen Werken
des Wiener Dichters kennt, nur diesmal in Schwarz, in Trauer.
„In die Familie des Professors und Abgeordneten Losatti kommt
als letztes Vermächtnis des durch einen Unglücksfall plötzlich hinweg¬
gerassten Sohnes das Mädchen aus dem Volke, an das der junge
Student mehr, als er wohl ursprünglich beabsichtigte, sein Herz ge¬
hängt hat, Das „Vermächtnis“ ist unbequem, aber die Trauer um
den vergötterten Sohn macht seine Annahrne zur Pflicht und das
herzige Kind, das Toni mitbringt, erleichtert sie. Der kleine Franzi
ist freilich auch das einzige Bindeglied, das die sozialen Gegensätze
zusammenzufügen vermag; als das blasse, kränkliche Kind stirbt,
strebt der soziale Egoismus, sich des „Vermächtnisses“ zu entledigen.
Toni sieht sich in die einsame kalte Welt hinausgestellt, der sie den
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Tod vorzieht. Der Familie Losatti bleibt neuer Skandal und neue
Verlegenheit. Aber ein Gutes hat das alte traurige Lied von der
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Liebe Lust und Leid doch gestiftet: die Tochter des Hauses bleibt #s
dadurch vor dem trübsten Liebesschicksal bewahrt, der Verbindung in
Abonnem
mit dem ungeliebten Manne. Dieser Stoff ist von Schnitzler ge¬
Abonnent
staltet zu einer Dichtung von schwermütiger Elegie (zwei Akte
werden in Trauerkleidern gespielt), zu der die Satire auf die Ge¬
sellschaft eine eigenartige Folie gibt. Tragik und Pathos, nach
Inhaltsa
denen der Stoff zuweilen förmlich ruft, liegen der Begabung Schnitz¬
blätte
lers ferner. Er ist zu kühl und zu weltmännisch, als daß er die
wodurch
Unzuträglichkeiten zu ubersehen vermöchte, die Verhältnisse wie die
Leben d
geschilderten immer mit sich führen werden, und er zieht gerade
theilunge
daraus seine besten Wirkungen, daß er in dem Zuschauer das Mit¬
gefühl und den Gerechtigkeitssinn mit der Einsicht in die gesell¬
schaftlichen Schranken zusammenstoßen läßt. Das mildert die Satire
zur Ironie und die Stimmung des Ganzen löst sich aus in einem
resignierten Geständnis des gesellschaftlich gebundenen Menschen:
Wir sind eben alle zu feig.“ — In der Ausarbeitung im Einzelnen
hat Schnitzler, der in allen seinen Arbeiten einen schönen Kunst¬
verstand bewährt, keinen durch den Stoff nahe gelegten Gesichts¬
punkt aus dem Auge gelassen. Hübsch ist z B., wie er in der Ex¬
position die Tochter aus gutem Hause aus ihrem umfriedigten, aber
auch gebundenen Leben einen neugierigen, eisersüchtigen Blick
tun läßt in die Sphären, in denen die jungen Herren der
Gesellschaft sich außerhalb des Hauses bewegen. Auch die Lebens¬
kreise, aus denen das Mädchen aus dem Volke stammt, zieht der
Dichter wenigstens im Dialog heran; auch sie haben ihre
Befangenheit und Engherzigkeit: das Kind,
as Toni der
Familie des verstorbenen Geliebten eine eit lang nahe
Tbringt, hat von ihrem eigenen Vater sie auf immer geschieden.
Gut beobachtet ist auch der Zug, daß gegen die Aufnahme Toni's
in die Gesellschaft gerade eine solche Persönlichkeit sich am meisten
wehrt, die sich selbst erst mühsam in die höhere Sphäre herauf¬
gearbeitet hat. Technisch hat das Werk manche Mängel. Das um¬
fangreichere Gesellschaftsstück bereitet dem Dichter noch eine gewisse
Mühe, die vielen Figuren alle gehörig ins Spiel zu bringen, was
wiederum den Aufbau und dramatischen Fluß der Handlung un¬
günstig beeinflußt. Dafür entschädigt er durch die Kunst der
Charakteristik und schließlich behauptet sich auch das Rührende
des Stoffs siegreich gegen die Schwächen, die dem Werke anhaften.
Die beste Figur ist die des Professors und Politikers, bei dem
die Regungen des gesellschaftlichen Egoismus mit den liberalen
Theorien in K##kt kommen, aber noch leichter obsiegen
würden, wenn mi., die in Schuldgefühlen begründete Fügsamkeit
gegen die Gattin ein weiteres Gegengewicht bildete. Der Dar¬
steller dieser Rolle, Herr Schmidt=Häßler, verwertet mit Ge¬
schick die in ihr liegenden humoristischen Pointen, die Gestalt im
ganzen dürfte mehr aus der Tiefe des Charakters geschaffen sein.
Emmy Remolt als Toni wirkt glücklich in der Gestaltung des
Volksmäßigen an dieser Figur, sie verwendet aber zu sehr die Mittel
aus dem Fach der Heroine: von dieser Toni erwartet man, daß sich
ihre Seele in wuchtigen Anklagen entlade. Sehr schön gibt Alexan¬
drine Rossi eine im Nachglanz glücklicher Liebe zu edler Milde ge¬
klarte Frauengestalt. Das weitere Ensemble bietet noch manches
Gute, läßt aber auch manches zu wünschen. Merkwürdig natürlich
wird die Kinderrolle gegeben.