II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 268

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10. Das Vernaechtnis

hat bei Schnitzler immer das Gefühl des Selbsterlebten, Gnaden haben wir ihr erwiesen, Gnaden — wir! — Undi (2
Selbstgeschauten; dieses Gefühl giebt dem Zuschauer eine wir hätten einfach gut sein müssen, Mama!“
Der Hauptfehler des Stückes liegt wohl darin, daß die
angenehme psychologische Sicherheit. Schnitzlers Menschen!
leben. Man mag über ihre Seelen denken, wie man will! Handlung gar so gewaltsam und absichtlich auf das vor¬ A
es sind wirkliche Menschenseelen, die er uns enthüllt. gefaßte Problem zugeschnitten ist. Der auffallend rasch
Die Handlung spielt in Wien. Hugo Losatti, der aufeinander folgende Tod der drei Personen berührt bei=7
Sohn eines eitlen, mit Glücksgütern gesegneten Professors,
nahe theattalisch. Auch ist es nicht angenehm, drei Akte„
ist auf einem Spazierritt im Prater verunglückt und wird
hindurch immer vom Tod reden und Tyränen fließen zu
sehen. Trotz mancher Mängel ist aber Das Vermächtnis!h
als Sterbender nach Hause gebracht. In seiner letzten
Stunde vertraut er den Eltern, daß er ein Kind habe,immerhin ein interessantes Stück voll Stimmung und reich
und nimmt ihnen das Versprechen ab, seine Geliebte, Toni
an fesselnden Auftritten. Von Zeit zu Zeit unierbricht einn
humoristischer Zug das düstere Spiel. Es spricht ein Dich¬
Weber, und ihr vierjähriges Söhnchen Franzel nach seinem
ter, nicht bloß ein geistreicher Moralprediger, aus diesem
Tode in ihr Haus aufzunehmen und sie als zur Familie
Thesenstück.
gehörig zu betrachten. Die schmerzerfüllte Mutter, die zu¬
Die Zuschauer (Mitglieder des Goethebundes) nahmen
erst das Geständnis vernahm, sagt von Herzen zu, der
die bereits 5 Jahre alte Novität zwar nicht mit stürmischem
Vater geht nach einigem Zögern und Widerstreben auf den
Beifall, aber mit warmem Interesse auf. Man war nicht
Wunsch des Sohnes ein. Toni und ihr Kind kommen also
in das Haus, trotz aller Bedenken, die Dr. Schmidt, der begeistert, aber angeregt und ergriffen. Die Aufführung
künftige Schwiegersohn des Professors, ein sehr korrekter, zeugle von fleißiger und liebevoller Vorbereitung. Die Regie
hatte für gutes Milieu und natürliches Zusammenspiel
Verfechter des Anstandes und der guten Sitte, nachdrücklich
gesorgt. Die Hauptrolle der Toni sagt Frl. Rewolt
geltend macht. So lange das Kind lebt, wird die arme
vortrefflich zu; ihre Darstellung war voll schlichter Lebens¬
Toni, die mit innigster Mutterliebe an ihrem Kleinen
wahrheit. Den Vater gab Herr Schmidt=Häßler
hängt, wie sie auch ihren Hugo wahrhaft und treu liebte,
im Hause Losatti freundlich geduldet. Man findet sichsehr charakteristisch, nur lief seine Auffassung mitunter zu
sogar tapfer damit ab, daß Freunde und Bekannte den absichtlich aufs Komische hinaus, namentlich in den ernsten
Auftritten des ersten Akts. Die Mutter wurde von Fr.
Umgang einer Familie, welche die „Maitresse“ des Sohnes
beherbergt, plötzlich meiden. Aber der kleine Franzel stirbi, Schurich ansprechend gegeben. Herr Gerasch spielte
und damit verändert sich das Verhältnis zu Toni. Das die Sterbescene Hugos einfach, ohne peinliche Uebertrei¬
bung. Frl. Lur war eine brave, wackere Franzi; nur
natürliche Band, das die Unglückliche mit der Familie
hätte sie die wichtigen Sätze im Schlußalt mit wenige#
Losatti verknüpft, ist entzweigeschnitten. Toni lebt in der
Familie wie ein immerwährender Vorwurf. Die Vorstel= forcierter Stimme und mehr innerer Bewegung sprchen!
lungen des sittenstrengen Dr. Schmidt finden nun bei den sollen. Frl. Künniger brachte namentlich die m## #re
Eltern williges Gehör. So wird denn Toni mitleidlos. Scene im Beginn des Stücks zu guter Geltung. Herr
[Jessen kennzeichnete den korrekten, unausstehlich herz¬
indem man ihr Geld anbietet, hinausgestoßen und in den
Tod getrieben. So wird das „Vermächtnis“ des Ver- losen Dr. Schmidt sehr überzeugend. Die gutherzige
storbenen in Ehren gehalten! Zu spät protestiert die Emma Winter fand in Frl. Rossi eine sympathische
wackere Franzi, Hugos Schwester, gegen das herzlose Vor= Vertreterin. Auch die Nebenrollen waren befriedigend
gehen mit den eindringlichen Worten: „Haben wir denn besetzt. Ganz unheimlich natürlich spielte und hustete der
alle vergessen, was sie ihm war? Alles bewahren wir auf, kleine Franzel.
was ihn an uns erinnert, alles, was er geliebt hat
das Nichtigste! Da sind die Bilder, die Bücher — und
Kunst und Wissenschaft.
man hat an diese Dinge nicht gerührt; mit Andacht treten!
Stuttgart, 17. Januar 1903.
wir alle in dieses Zimmer ein — alles, was ihn an uns
* Bildende Kunst. Novitäten im Württ. Kunst¬
erinnert, ist uns heilig, und gerade das Wesen, das ihm
verein. Picknick im Walde von Marcus Grönvold.
durch Jahre mehr war als wir alle, jagen wir hinaus?
Trumpf von Herm. Lindenschmit. Der heilige Martin,
Die, die wir am sorgsamsten hätten hüten müssen, das ein¬
Uffkirche in Cannstatt, Gardebataillon, Garde=du=Corps von
zige Lebendige, was uns von ihm übrig geblieben ist, nach¬
G. Ad. Cloß. Porträt von M. Forster. Holzfäller von
dem das Kind gestorben — die jagen wir hinaus!“ Des E. Stammbach. Brandung an der norwegischen Küste,
Dichters Tendenz gipfelt dann noch in den schlichten Wor= Waldeingang, Morgenstimmung, Im August, Bergrücken,
ten Franzis: „Wir sind feig gewesen, wir haben es nicht Norwegischer Bauernhof von F. Schwinge. Porträt
gewagt, sie so lieb zu haben, wie sie es verdient hat. (Pastell) von C. Zach=Dorn. Großherzog von Baden