II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 308

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10. Das Vernaechtnis
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Ausschnitt aus: Der Tag, Serlis
11. 10.1911
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„Das Vermächknis.
Schauspiel in 3 Akten von Artur Schnitzler.
Neues Volkstheater.
Ein älterer, von romanhaften Empfindeleien umtrübter
Schnitzler wurde dem dankbaren Publikum der Volksbühne
vorgeführt, und man ließ sich durch Ermüdungen hindurch
von den feineren Formen werbender Menschlichkeit willig
sergreifen. Aber in dem traurigen Spiel hat nicht die
poctische Eingebung, nicht das zarte Durchfühlen von Le¬
bensinhalten die Oberhand. Es überwiegt der laut ge¬
geschwätzige Ton, der breite Lärm der Katastrophen, um
deren Einwirkung es sich handelt, während ihre Schilderung
gegeben wird. Ein dreimaliges Aktschlußsterben zerrüttet
die Fasson der Handiung, Tränenbäche durchfluten das Stück
und machen die Minderen und Höheren gleich elend und be¬
jammernswert. Zu einer reinlichen Scheidung zwischen
aktiven und passiven Elementen, zwischen Schuldigen und
Duldenden kommt es nicht. Der verlogene Liberalismus
des Vaters unterliegt Schwankungen, die nicht immer im
Charakter begründet sind, die Güte der Mutter hat uner¬
klärliche Defekte, die redliche Gesinnung der Schwester be¬
darf dreier Akte, ehe sie sich zu einem sympathischen Ent¬
schluß aufrafft, und die Geliebte des verunglückten Sohnes
hat weder für ihre Aufnahme noch gegen ihre Verstoßung
dramatisch packende Argumente ins Treffen zu führen.
Bloß ein kalter Egoist von Schwiegersohn motiviert ein¬
heitlich seine übertriebenen Jämmerlichkeiten, ohne von der
Notwendigkeit seiner Mitwirkung zu überzeugen. Bei aller
Klarheit der Vorgänge ist es ein verwirrtes und vermischtes
Stück, in welchem Selbstverständliches mit Gemütsstärken,
Innerliches mit Zufälligem durcheinandergeraten.
Das Beste lebt in Episodenfiguren. Von entzückender
Weiblichkeit ist die Figur der Witwe, welche dem Verun¬
glückten so aufrichtig befreundet war, daß sie selbst den
Verdacht intimerer Beziehungen lächelnd erduldet. Anders
liebt denselben Mann ihre Tochter. Sie schmiegt sich an
seine Geliebte, solange das Kind des früh Gefallenen lebt.
Aber nachher schreckt sie ein instinktives Gefühl zurück, und
die Bundesgenossin des Schmerzes wird ihr plötzlich eine
Wildfremde. Unbewußte Mütterlichkeit sprach aus diesem
Mädchenmund, und es ist kein mißratenes Stück, in welchem
so bestrickende Züge der Menschlichkeit aufleuchten.
Fräulein Annelise Wagner hat in der zarten Rolle der
Verstörten, die zu offiziellen Tränen nicht legitimiert ist,
ihre knospende Begabung bestätigt. Gut fand ich noch die
Darstellerin der Mutter, Hedwig v. Lorée, die maßvoll und
ergreifend schluchzte. Auch die Toni der Jella Wagner
hatte wenigstens Wiener Kolorit. Die anderen waren
milieufremd, aber nicht wirkungsarm, manche allerdings
auch norddeutsch schwächlich. Die Regie arbeitete auf Er¬
schütterung. Er war ein verwundendes Bild, als sie im
Sterbezimmer in Lehnstühlen zusammenknickten, die Köpfe
an die Wand preßten und nach Fassung rangen.
Emil Faktor.