II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 322

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10. Das Vernaechtnis
Ausschnitt aus.
Oesterreichische Volksseitung
6— S. 1o Wen.,
vom:
917
Neues Wiener Stadttheater. Artur Schnitzlers
Schauspiel „Das Vermäch:nis“ ist leinesjener
Stücke, deren traftvoll dramatischer Pulsschlag die
Handlung in steter Bewegung hält und in kontinuierlicher
Steigerung zum Höhepunkte führt. Doch was liegt am
Mangel der traditionellen lechnischen Form, da der
dichterische Gehalt reichlichen Ersatz gewährt und eine
wunderbare Tiefe des Empfindens gepaart mit einer
seitenen und dennoch echt menschlichen Güte offenbart.
Dieses Stück verkündet das Evangelium verstehender und mit¬
fühlender Liebe und ist dabei nichts weri#er als predigerhaft.
da es in vorzüglicher Verteilung von Licht und Schatten
jedem Teile Gerechtigkeit widerfahren läßt. Wenn sich
das Herz des Dichters am Schlusse der mit der
bürgerlichen Moral im Kampfe liegenden ledigen Muner
zuwendet erscheint dies als logische und durchaus
sittliche Notwendigkeit. Hansi Niese gab auch diesmal
die Rolle der Toni Weber mit jenem verhaltenen
Schmerz, der gerade durch seine starte
Maske um so erschünernder wirkt. Die zweideutige
Haltung des Professors wußte Erwin Baron geschickt
zu charakterisieren. Mit sicheter seelischer Noblesse spielte
Eugenie Werner die Rolle der Emma Winter. Des¬
gleichen verdienen Lucie Laval. als natürliche und
anmutsvolle Franziska, Paul Richter als Doklor
Schmidt und Fritz Kohn, samos in der Darstellung
L. E.
des Lulu lobendste Erwähnung.
Ausschnitt aus: WIENER ABENTDGS
b-Mrl.1374
vom:
(Neues Wiener Stadttheater.) Gestern
gelängte Artur Schnitzlers Schauspiel „Das
Vermächtnis“ zur Aufführung. Es ist eines von
den frühen Stücken des Dichters, in denen er dem
wirklich lebendigen Leben viel näher, temperament¬
voller und natürlicher gegenüberstand als in den
stilisierten und übernuancierten von heute. Frau
Niese ist ja als das „süße Mädl“ in Trauer hin¬
länglich oft gewürdigt worden. Sie ist am rührendsten
im stummen Ausdruck tiefen Gefühles. Herr Baron
spielte recht wirksam den Professor Losatti. Eindrucks¬
voll ist der Schmidt des Herrn Richter.
Awschmit ausDeitsche Vollehlat
vom: ∆
Wien
B
Sheater, Kunst und Literatur.
Stadttheater. Obwohl die Toni Weber in Schnitzlers
Vermächtnis“ in ihrer Passivität und duldenden Un¬
behilflichkeit dem ganzen impulsiven Wesen der Frau Niese
nicht besonders liegt, wuße die Künstlerin diese Gestalt
doch mit einem eigenen dromatischen Gehalte auszusüllen
und dem vielen sentimentalen Gestrüpp, welches den Wee
versperrte, mit Geschick auszuweichen. Das Schauspiel
Schnitzlers, welches eine Zeitlang im Burgtheaterrepertoire
heimisch whar, genoß in den ersten Zeiten seines Bühnen¬
lebens den Vorzug ### besonderer Besetzungen. Frau Niese
hat mit einem großen Vorbilde zu konkurrieren, ihre Rolle
wurde von Frau Schratt kreiert. Daß sie trotzdem vol¬
Wring geiibunmirden ums ter M##
Das Stück selbst tut nichts dazu. Es stammt aus jener
Zeit, da Schnipler noch den Ehrgeiz hatte, ein wienerischer
Dichter zu sein, also ein Dichter des Wienertums, der Durch¬
k#rhe#ner eigenartigen, bodenständigen Menschen. Eine
geschaftige Tätigkeit wurde damals entfaltet, ihn als den
Jerufensten hiefür hinzustellen, er hatte das „füße Mädel“
#im mit diesen Herolden zu sprechen, gerade entdeckt, in
Literatencafes dampfte der Weihrauch vor seiner Büste 2#
veraltet uns das heute alles anmutet! Artur Schnitlen
selbst hat sich in der Erkenntnis seiner Grenzen zu
Problemen seiner Nation zurückgezogen, auf deren Po####
ihm ohne Zögern ein bedeutender Platz eingeräumt wer
mag. Seine Jünger aber, um vieles geschäfttln
als ihr Meister selbst, wollten dies nicht

haben. Die Folgen hievon sind Reprisen,
wir
gestern erlebt haben und
mit
dem Autor selbst der wenigste Gefallen geschieht. Wir nahmen
die Aufführung zum Anlasse, um wieder einmal das Buc
auf uns wirken zu lassen, und wurden der Mängel jen¬
Schnitzlerschen Diktion, die wienerisch zu uns reden
schon in den ersten Seiten gewahr. Sprechen wienerisch¬
Menschen, selbst Sprößlinge der höheren Oberschichte
in einem gewissen Sinne diatellfrei sind,—,—sctun
Gustavs, Lulus, Bettis und wie sie sonst alle heißen mögen?
Gewißlich nein! Ist die Gedankenwelt der Kinder unserer
Heimat von einem solch zweifelsüchtig=materialistischen Ge¬
sichtskreise umgrenzt, wie uns in diesem Schauspiele vor¬
gestellt wird? Atmet nicht aus dem ganzen Buche bei gewiß
täuschender Beobachtung der äußeren Umrahmung ein ganz
fremder, verstandesklarer, aber gefühlsarmer Geist, der
wienerischem Wesen gänzlich entgegen ist? Unsere Empfin¬
dungskraft für das Echte hat sich erfreulicherweise geschärft.
Schnitzlers Menschen sind keine Wiener, wenn nicht die
Zufälligkeit der Geburt diese Zugehörigkeit schafft, sondern
Wiener sein, mit allen Fasern seines Herzens in diesem Boden
wurzeln, heißt. — Sie haben alles getan, um eine wienerische
Fassade vorzutäuschen, aber der Struktur nach sind sie Welt¬
bürger von jener Sorte, die in Wien wie in Berlin, Paris
oder Lemberg gleichermaßen mit dem gewaltigen Spürsinn
##r die Erwerbung des Materiellen eine bedeutende Herzens¬
kälte verbinden. Gespielt wurde recht gut. Josefine Joseffy,
Lucie Laval und Grete Kaiser, dann Neu feld,
Baron und Ohlmühl besonders verdienstlich. — Der
Beifall der in Massen anwesenden Verehrer des Autors
demonstrativ.