II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 324

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10. Das Vernaechtnis
schnitt 101Salo
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mit hohen Qualitäten heran, von dem noch viel
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Gutes zu sehen sein wird. Fräulein Laval,
Selia1)e Theater.: (Gallish)
anfangs sehr lieb und einfach, predigte das
Evangelium der Menschlichkeit doch nicht ein¬
Neues Wiener Stadttheater.
dringlich und kraftvoll genug.
Fräulein
Roch vor Saisonschluß ist es Direktor
Joseffy machte als Echo ihres herzlosen
Jachno gelungen, sein neues Theater zu eröffnen
Gatten gute Figur, war aber mit ihrer Rolle
und schier unüberwindliche Hindernisse waren
nicht ganz fertig.
Der Beifall war stark,
„Zu nehmen, das fast Unmögliche zu verwirklichen.
geweint wurde auf der Bühne zuviel.
Nun=steht der neue Bau in der Skodagasse
Argus.
in stolzer Einfachheit da und wie seine Außen¬
seite, so präsentiert sich auch sein Interieür.
Die Eindrücke
des „Neuen Wiener
Doch davon noch an anderer Stelle. Ruhig
Stadttheaters“ auf das Publikum sind
und vornehm schien auch die Devise zu sein,
verschiedene, doch in der Hauptsache die gleichen,
die Direktor Jarno über seinem Eröffnungs¬
daß das Theater an der Ecke der stillen Skoda¬
programm walten ließ und das sei ihm zu¬
gasse vollkommen im Style der Neuzeit erbaut,
förderst gedankt. Einen aktuelleren Prolog
wenngleich das Einheitliche durch Führung des
für eine Theatereröffnung als das Meisterwerk
Wienerwerkstättensystems im Innern entnüch¬
Goethes, wer von all den „großen Modernen“.
ternd befremdend wirkt und das ermüdete
Und so
vermöchte ihn zu schreiben?
Auge von den großen plattenartigen Feldern
wirkte denn auch das Vorspiel auf dem
im grauen Olanstrich vergebens nach einem
Theater“ jung, zündend und begeisternd
gewohnten Ruhepunkt sucht. Aber dies war nur
selbst an Stellen, wo noch die Unausgeglichenheit
das erstemal, denn schon bei der zweiten und
manch schauspielerischer Leistung den Genuß
den weiteren Vorstellungen wußten wir bereits,
störend beeinflußte. Es folgt das merkwürdig
was diese spartanische Einfachheit des Innen¬
sensible Kammerspiel Strindbergs „Wetter¬
raumes zu bedeuten hat. Die volle Wirkung
leuchten“.
und
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der Bühnenvorgänge lehrte uns dies
letzten Arbeiten des großen schwedischen Frauen¬
ebenso lernte man die feine, überaus wohl
verächters, zeigt den Schöpser der „Königin
durchdachte Absicht Direktor Jarnos verstehen,
Christine“ nicht auf seiner Höhe. Wohl
in dieses schmucklose Milien wenigstens anfäng¬
spannt auch hier seine Meisterhand den dra¬
lich einfache Stücke einzufügen.
matischen Faden bis zum Zerreissen straff an,
doch isi er merkwürdig versöhnlich gestimmt,
So begreisen wir auch jetzt, warum dieser
auch in der Zeichnung seiner Heldin, der die
bewundernswerte und unermüdliche Direktor#
Das Kammerspiel
gewohnte Schärfe fehlt.
auf Klara Viebig verfallen, die er schon vor#
bleibt nur ein drohend Wetterleuchten der
einigen Jahren im Josefstädtertheater zu Worte¬
Blitz zündet nicht. Aber auch der ferne Donner
kommen ließ. „Der Kampf um den Mann“
Kläßt uns ahnen, daß da ein gewaltiger Donnerer
ist seither nicht anders geworden, die krasset
Tam Werke ist, der in Direktor Jarno sein
Bearbeitung seelischer Vorgänge nicht feiner,
Streues Sprachrohr gefunden hat. Die Regie
das fast unverschämte Eingreifen in Institu¬
war von einer vorbildlichen Sauberkeit und
tionen und Sitten, das Zerpflücken und Zer¬
manche künstlerische Leistung stand auf un¬
reißen bester Absichten, nicht besser gewordens
Von rührender, lieblicher
gewohnter Höhe.
Die Bäuerin", Eine Zuflucht" und
Einfachheit war das Fräulein Karoly, Herr
Mutter“ sind eine Vorführung von drei
Nerz meisterhaft charakteristisch und durch-seine
Aufrichtigkeitsbegriffen, die von einer Frau
Tangenehme Zurückhaltung und seiner noblen
geschrieben, ob ihrer entstellten Offenheit sofort
Mag
=Sprechweise siel Herr Baron auf.
schaudern machen. Nur die wunderbare Kunst
auch manche Unebenheit noch abzuschleifen sein,
unserer Niese, die lebenswahr und echt, doch
man fühlte über allen die flotte, eiserne Hand
auch mit feinem Empfinden dort abzuschwächen¬
Direktor Jarnos, dem wir zu diesem glücklichen
verstand, wo die Autorin allzuviel unterstrichen,
Anfang jedenfalls bestens gratulieren.
spielte die drei verschiedenen Rollen meisterlich.
In der Reihe der Eröffnungsvorstellungen
Außer dieser eminenten Künstlerin wäre nur
folgte auf Strindberg nun Artur Schnitzler
noch Herr Baron zu nennen.
mit seinem Familiendrama „Das Vermächt¬
Auch die erfolgreiche englische Komödie;
das man neu inszeniert in einer sehr
nis“
„Meilensteine“, die lange das Repertoir des
schön abgetönten Vorstellung zu sehen bekam.
Theaters in der Josefstadt beherrschte, ist nun
*Die alarmierenden Tendenzen des Stückes schienen
ins neue Theater übersiedelt und eben dort
Ennn doch schon vom Strom der Zeit überholt
hat sie dieselbe so überaus günstige Auf¬
worden zu sein, denn die erschütternden Vor¬
nahme gefunden, zu der auch wesentlich die
Sgänge wollten nicht mehr so recht aus Herz
famose Darstellung beiträgt. Die meisterhafte
greifen und nur die Nerven wurden auf die
Verkörperung der drei Lebensalter durch Direktor
Es ist ja ein getreues
„olter gespannt.
Jarno, ist einfach gesagt eine Sehenswürdig¬
=Spiegelbild, das Schnitzler seiner Zeit und
keit. Aber auch Fräulem Karoly in den drei
SGesellschaft vor Augen führt, nur scheint der
aufsteigenden Lebensaltern ist von entzückender
Spiegel doch etwas verwittert und die Ver¬
Natürlichkeit. Die Anmut, die Fräulein Laval
größerung der Probleme schon etwas zu grob.
entwickelt, macht sie sympathisch und ein tieferes
Die Aufführung, mit Frau Niese an der Spitze,
Eingehen in ihre Rollen wird das Fräulein
war immerhin sehenswert, wenn auch nicht
noch beachtenswerter erscheinen lassen.
gleichwertig genng besetzt. In Herrn Baron
Der alte Wiener.
bächst ein äußerst rontmierter Charakterdarsteller