II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 325

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10. Das Vernaechtnis
usschnitt aus:
Zeitung
om:
178811914
Theater und Musik.
Neues Wiener Stadttheater. Direk¬
tor Jarno zeigt das Bestreben, das Niveau des Stadt¬
theaters auf einer literarischen Höhe zu erhalten. Nach
Strindberg und Anzengruber, Schnitz¬
ler und Hauptmann. Schnitzler ist allerdings
mehr Routinier als Künstler. Er bleibt immer an der
Oberfläche, ihm fehlt der warme, echte Ton, der aus
dem Herzen quillt und zu Herzen geht. Das kommt
vielleicht nirgends stärker zum Ausdruck, als in dem
Schauspiel „Das Vermächtnis“. Hier ist alles erfüllt
von jenem Pseudogefühl, das dem Gehirn und nicht dem
Herzen des Verfassers entspringt. Es ist merkwürdig,
Schnitzler, der in seinen Werken sich stets als
Bekenner eines durch keinerlei moralische Skrupel be¬
einträchtigten Egoismus gibt, plötzlich das hohe Lied
von Güte und Menschenliebe anstimmen zu hören.
Allerdings ist „Das Vermächtnis“ fast zwei Jahrzehnte
alt, und Schnitzler hatte vielleicht damals seinen
„Weg ins Freie“, der für ihn in dem Abwerfen aller
moralischen Bedenken besteht, noch nicht gefunden. Ge¬
spielt wurde „Das Vermächtnis“ recht gut. Im Mittel¬
punkt der Aufführung stand Hansi Niese, der das
Mütterliche viel besser liegt, als die Feschität Berliner
Operetten. Ganz ausgezeichnet war Herr Baron,
in dem Direktor Jarno jedenfalls eine schätzenswerte
Kraft gewonnen hat. Recht gut auch Fräulein Laval
und Frau Joseffy. Herr Ohlmühl wußte mit
Anstand zu sterben. — Hauptmanns „Rose
Bernd“ unterscheidet sich von Schnitlers¬
„Vermächtnis“ wie sich Gold von Talmi unterscheidet.
Hier hat man angelerntes, gesuchtes Empfinden, di
meisten Personen reden nur über ihr schönes Gefüh
bei Hauptmann hingegen gibt ein Dichter ein
erschütterndes Bild aus dem menschlichen Leben, das
ergreift und zum Mitfühlen zwingt. Es war sehr
lehrreich, dieses Aufeinanderfolgen der beiden Stücke.
Es bewies, daß Hauptmann trotz seiner vielen
Mißerfolge in letzter Zeit ein großer Dichter,
Schnitzler aber trotz seiner Erfolge bestenfalls ein
routinierter Schriftsteller ist. Die Aufführung von
„Rose Bernd“ stand ebenfalls auf respektabler
Höhe. Die Leistung der Niese in der Titelrolle ist
bekannt. Herr Nerz bemühte sich erfolgreich um
fy und
seine Rolle. Herr Neufeld, Frau I#
Herr Weißmüller waren alle den Anforderungen
ihrer Aufgaben gewachsen. Der Beifall, bei Schnitz¬
ler schwach und nicht ohne Widerspruch, war bei
Hauptmann echt und stark. Das ehrt den Dichter
L. M.
und das Publikum.