II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 331

et ein gultgendwere des Tichters, sein
zweiter Erfolg am Burgtheater. Der Sohn eines vor¬
nehmen Bürgerhauses bittet sterbend seine Eltern, seine
Geliebte und sein Kind in ihr Haus aufzunehmen. Das
geschieht mit wortreicher Humanität und tiefem, innerem
Widerwillen. Dieser bricht vollends durch, als das Kind
stirbt; der Mutter des Kindes weist man die Tür. Die ganz
Vereinsamte folgt dem Geliebten in den Tod.
Das in kurzen Worten der Inhalt. Man fühlt die Zu¬
sammengehörigkeit mit Schnitzlers frühen Werken; der
Protest gegen die Enge bürgerlicher Moralbegriffe, die Ver¬
klärung der freien Liebe — zugegeben, daß das alles heute
schon ein bißchen antiquiert wirkt, ein bißchen gar zu selbst¬
verständlich, zu evident, man darf nur nicht vergessen, daß
es ja auch Schnitzlers Verdienst ist, dieser natürlicheren Auf¬
fassung zur Geltung geholfen zu haben. Auch künstlerisch
gehört das Stück nicht zu Schnitzlers besten, gewiß nicht zu
seinen lebendigsten Werken. Aber der Geschmack des künst¬
lerischen Vortrags und die warme Menschlichkeit seines
Gefühls sichern ihm auch heute noch die Teilnahme eines
denkenden Publikums. In Wien war diese Teilnahme,
wohl auch gesteigert durch die Geburtstagsstimmung, sehr
stark; den Ovationen, die ihm zugedacht waren, hatte sich
der Dichter durch seine Abwesenheit entzogen. Die Vor¬
stellung war vortrefflich; und der interessante Gast von der
Operette, Fräulein Kartousch, überraschte als die arme
Heldin des Stückes durch die Einfachheit und warme
Natürlichkeit ihrer Darstellung.
He Webeiisos
Von Georges Duhamel, dem Kunst= und S#na
übermütig=grotesken „Liebestrank“
Geistesgenossen Vildracs, ist jüngst ein Stück auf der
sehr lebendig insceniert. Im Stadt¬
Bühne des Stadttheaters erschienen. „Das
theater ist Siegfried Geyers glänzende
Licht“, ein Schauspiel, dem Erwin Riegers fein
Komödie „Die Mary“ in den Spielplan
nachspürende Uebersetzungskunst eine lebendige deutsche
Form schuf. Fast möchte man sagen, der Uebersetzer hatte
neu aufgenommen worden, wo sie von Jubi¬
leichte Mühe (was natürlich nur eine Täuschung ist), so
läum zu JJubiläum schreitet.
deutsch mutet dieses französische Werk an. Ganz seelisch,
ganz still gleitet es an dem Hörer vorbei. Wo ist der große
Als letzte literarische Neuaufführung in
Elan des Theaters geblieben, die blendende Konstruktion
dieser Spielzeit brachte das B##mund¬
und der faszinierende Geist in der Führung des Wortes und
der Szene? Dieses Stück zeigt so wenig von dem Glanz
theater Arthur Schnit#h#s Schauspiel
der Sardouschen Komödie wie Vildracs Schauspiel „Das
„Das Vermäch#“ als Nachfeier zu
Schiff Tenacity: Ja, es rückt noch weiter von der Linie
des Dichters 60. Geburtstag zugunsten der
des herkömmlichen französischen Theaters ab. Es erzählt
Wohlfahrtseinrichtungen des Wiener Jour¬
die höchst einfache Geschichte von einem jungen Manne, der
nalisten= u. Schriftstellervereins „Concordia“
blind geboren wurde und den Rettung verheißenden Ein¬
heraus. Und mit einer kleinen Sensation
griff des Arztes ablehnt, weil die stille, beglückte Welt, die
noch dazu. Die Toni Weber, das echte
er im Innren rtägt, des äußeren Lichtes nicht bedarf.
Und der selig Hinträumende findet bald eine Gefährtin; ein
Wiener Mädel, die Geliebte des wohl¬
junges Mädchen, dessen von der Blindheit bedrohte Augen
erzogenen Professorsohnes, der kurz vor
ihre Sehkraft fast einbüßen, als sie von dem Lichtjubel des
seinem Tode die Gefährtin und ihr Kind der
blinden Geliebten mitgerissen in die Sonne blickt; sie büßen
Obhut seiner eigenen Familie anvertraut;
sie völlig ein, als sie mit dem blinden Freund den Weg
diese brave, einfache und von der „Gesell¬
durch die Gewitternacht sucht und den Blitz jäh vor sich
schaft“ verschmähte Toni spielte diesmal die
niederzucken sieht. Nun sind sie beide vereint in der Nacht,
wienerischste Wiener — Soubrette, die
sie und der Geliebte, in der wissensreichen, glückdurch¬
Operettensängerin Louise Kartousch. Sie
leuchteten, erdenfernen Nacht.
Kein deutscher Mystiker, kein Eckehart und kein Tauler
hat ihren Übergang zur Prosabühne voll¬
hat die erlösende Kraft der Seele mit mehr Ueberzeugung
zogen. Das Experiment gelang, weil diese
gepredigt als dieser Franzose. Und diesem Stück, diesem
Wienerin sich sebst spielte, weil Anmut und
lautlosen, gläubigen, all der flachen Problematik der Ge¬
Natürlichkeit den derzeit gewiß noch bestehen¬
sellschaft unendlich fernen, ahnungsvoll ins Universum ver¬
den Mangel an Routine für diese Rolle vol¬
sunkenen Stück haben die Franzosen zugejubelt wie einst¬
lends ersetzte. Die von Dr. Rudolf Beer
mals einem brillanten Theatercoup Sardous! Geschehen
Zeichen und Wunder? Oder vielmehr: enthüllt und erfüllt
geistvoll inszenierte Vorstellung brachte die
sich auch dort die heilige Natur und wir gewahren sie nur
prächtigsten Leistungen eines von genialer
nicht durch alle die trüben Dünste der Leidenschaft, die dem
Hand geleiteten Ensembles, aus dem Lily
zerrissenen Boden entquellen?
Karolyi, Emmy Förster, Grete Witz¬
Eine Dichtung wie diese und eine Botschaft wie diese
mann und Carl Forest besonders hervor¬
konnte keinem berufenerem Munde anvertraut werden als
dem Ferdinand Onnos der solchen Aufgaben mit
ragten a
ute Me
geradezu priesterlicher Hingegebenheit dient. Onno ist aus
dem Verbande des Deutschen Volkstheaters geschieden
Von größter Bedeutung für die kom¬
sehr zum Nachteil und Bedauern dieses Theaters — um
menden Wiener Theaterspieljahre ist zweifel¬
sich eine größere künstlerische Beweglichkeit und Freizügig¬
los der Vertrag, den der Direktor des Deut¬
keit zu sichern.
schen Volkstheaters Bernau bekanntlich
*
mit den Berliner Holländer=Bühnen abge¬
Die dunklen Ahnungen des letzten Berichts haben tat¬
sächlich Recht behalten. Das Ausscheiden Max Paulsens
aus dem Burgtheater war schon in allen Zeitungen
angekündigt, sein Erbe war bereits verteilt und der Name
seines unmittelbaren Nachfolgers genannt. Und nun ist es
entschieden, daß Max Paulsen im Burgtheater bleibt, daß
alle Verfügungen der Staatstheaterverwaltung, die schon
die Höhe seiner Abfertigung bestimmt hatte, rückgängig ge¬
macht werden und daß er sein eigener Erbe bleibt. Ein
zweifelloser Verlust für das Burgtheater ist allerdings, daß
dadurch auch das Wiederengagement Hans Marrs, das
bereits unmittelbar vor dem Abschluß stand, eine unerfüllte
Hoffnung der zahlreichen Wiener Freunde seiner Kunst ge¬
blieben ist.
Von der Interessengemeinschaft zwischen den
Holländer=Bühnen und dem Deutschen
Volkstheater wird viel gesprochen; aber es ist nicht
recht klar, wie diese künstlerische Vereinigung, die auf
Der Krämerspiegel von Richard Strauß
Der „Krämerspiegel“ von Richard
Strauß, der vor einigen Jahren Gegen¬
stand ausgedehnter Debatten war, ist jetzt
für einen kleinen Kreis von Freunden des
Komponisten bei Paul Cassirer in Berlin
in einer einmaligen Ausgabe von 120 Exem¬
plaren erschienen. Im Jahre 1903 hatte,
Strauß dem Berliner Verlagshause Bote
& Bock gleichzeitig mit dem Vertrage über
die „Sinfonia domestic-a“ seine
nachsten sechs Lieder zugesagt. Um von
diesem Vertrage loszukommen, ließ er sich
von Alfred Kerr unter dem Titel der
„Krämerspiege!“ eine Reihe sati¬
rischer Gedichte schreiben, in denen außer
anderen Musikverlegern auch Bote & Bock
selbst zum Gegenstand satirischer Behand¬
lung gemacht wurden. Nachdem Strauß die
Komposition vollende hatte, legte er diese
Gesänge dem Verlage zur Veröffentlichung
vor. Die Firma leitete ge## den Kompo¬
nisten eine Klage ein, und das Gericht ent¬
schied sich dahin, daß die Herausgabe des
Werkes als eines „Tendenzproduktes“ dem
Verlage nicht zugemutet werden könne.
Richard Strauß wurde verurteilt, der
Firma das Urheberrecht seiner nächsten sechs
Lieder zu übertragen. Da inzwischen eine
allgemeine Amnestie erlassen wurde, nahmen
die von Strauß angegriffenen Verleger da¬
von Abstand, den streitbaren Tondichter
wegen Beleidigung zu verklagen. Das nun
vervielfältigte Werk ist im Buchhandel über¬
haupt nicht angekündigt worden; wenn auch
seine Verbreitung in weiteren Kreisen nicht
ganz verhindert werden konnte, so trägt es
doch den Charakter eines Privatdruckes.
Fingesten hat das Buch mit Stein¬
radierungen versehen.