II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 332

10. Das Vernaechtnis
igung geistige Haltung war, nun schauspiele¬
rischer Ausdruck.
In Schnitzlers abgeblaßtem, nie recht
lebendig gewesenem Schauspiel „Das Ver¬
mächtnis“ versuchte sich Louise Kartousch
als Profaschauspielerin. Es war recht merkwürdig,
wie sehr dieses in der Operette originale und
originelle Talent als ein schnitzlersches Wiener
süßes Mädel unpersönlich und erlebnisleer blieb.
Das macht: der Versuch der Verwandlung ins
Schauspielerische wurde an einem untauglichen
Objekt vorgenommen. Nur wesentlich anderes
kann den inneren Auftrieb, die seelische Zusam¬
menraffung erwirken, die neuen Ausdrick ergibt.
Schnitzlers süßes Mädel ist nicht wesentlich anderes
als Operette, ist stilistisch ausgebildetes, in den
Soubrettentum. Der
Mitteln verfeinertes
Sprung aus der gesungenen Operette in die ge¬
sprochene Operette ist zu kurz, um schauspielerisch
neuen, im Grund anderen Ausdruck zu erzwingen.
Das den Schauspieler verwandelnde Erlebnis be¬
dingt drumaturgisch einen Weitsprung, sonst bleibt
die Gestaltung wie bei der Kartousch im Unent¬
schiedenen, Temperamentlosen, Bonbonnierehaften
stecken. Es war kein Mensch, es war eine sah
gespielte Rolle.
Ein Mensch ist die Dorsch. Wie sieim
Josefstädterthegter) als Kiki
macht, sondern einfach da ist in Lüge, Unschuld
Verdorbenheit, Armut Sehnsucht, Koketterie,
Temperament, Gaminhaftigkeit, Herbheit, in
gegebenheit, das hat elementare Kraft.
Carola Toelle, die in der Nzuen
it
Bühne gemeinsam
Wiener
wachts
Lieb
Gülstorff
Bischoffss
und „Die Jungkrau vosteniger.
ein
spielte,
b
Mensch, mehr eine Schauspielerin. Dieses nette
quecksilberne Persönchen ist eine Liebenswärdig¬
keit mit gerade soviel Persönlichkeit als für Anen
Theaterabend notwendig ist. Und darum ist
Schauspielerin fur Wien. Auch Mar
Gülstorff gefiel sehr in Wien, aber aus einem
tieferen Grunde als die Toelle. Kommt sie dem
Boulevard=Wien entgegen, so trifft er mit seines
stillen, lautlosen, lächelnden, menschlichetz, skepti¬
schen Komik das andere, das bessere, das Besemt¬
liche Wien. Gülstorff ist gelehrter, körperlich gewor¬
dener Alfred Polgar, in der Art, die Brutalität
des Lebens und sein eigenes Ungeschick zu ironi¬
sieren (als August in „Die Liebe wacht"), in dem
gar nicht penetranten, aber zu Tode lächelnden
Haß, mit dem die Wichtigkeit eines Betriebs¬
menschen (Oberlehrer in „Jungfern von Bischoffs¬
berg“) glatt erledigt wird.
Oskar Marus Fontona.
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Bühne und Kunst.
Raimund=Theater.
Den Sittlich=Entrüsteten, die Schnitzler einen Volks¬
w.
verderber schimpfen, dürfte sein Schauspiel „Das Ver¬
ve
mächtnis“ kaum in den Kram passen. Das süße Mädel
ist hier geradezu das Sinnbild weiblicher Treue. Toni
lei
Weber gehört nur ihrem Geliebten. Auch über seinen Tod
hinaus. Und Anatol, jung, schön, elegant, umworben,
genießt bei Toni und bei dem Buben, den sie von ihm hat,
in
reinste Liebes=, Vater=, Familienfreuden, kann nicht sterben,
#
bevor seine Geliebte und sein Kind im Hause seiner Eltern
la
aufgenommen und versorgt sind. Das Kind stirbt, Toni
Il
ist aller Fesseln ledig, eine reiche Abfertigung winkt —

sie aber geht dem Einzig=Geliebten in den Tod nach. Gat¬
sch
tentreue der Ungetrauten, höchstes Pflichtgefühl Anatols,
vo
seiner Geliebten gegenüber, vorbildlicher Familiensinn im
zu
„Verhältnis“. Nein. Die Sittlich=Entrüsteten, die Schnitzler
m5
zu seinem sechzigsten Geburtstag mit einer Schweinekari¬
katur aufwarteten, wissen mit diesem Opus bestimmt nichts
Be
anzufangen.
Leider auch die Kunstfreunde und Schnitzler=Ver¬
ehrer nicht allzuviel. Daß der Vorwurf des Stückes veraltet,
überholt ist, macht 'es nicht aus. Aber das Drama wird
sch
manchmal recht süßlich, ja kitschig. Ein überaus bösartiger

Intrigant spinnt dunkle Ränke, ein Kind stirbt, weil sein
zu
Tod die Handlung vorwärts treibt, das allmähliche Ab¬
rücken aller von Toni Weber ist nicht bei allen begründet,
und die Heldin selbst ist zu passiver, romanhaft=tränen¬
seliger Sentimentalität verurteilt. Trotzdem ist Schnitzlers
Dichterhand an vielen feinen Szenen und an der prachtvoll¬
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dramatischen Kraft des ersten Aktes zu erkennen.
Die Sensation des Abends: Der Operettensprühteusel
Luise Kartousch gab das Mädchen mit der strengen Le¬
die
bensauffassung, das Fräulein Mutter, welches ein hoheits¬
tre
volles, nur der Erinnerung an den Geliebten und seinem
des
Kinde lebendes Fräulein Witwe wird. Sie spielte mit deli¬
kei
katester Zurückhaltung, mied mit rührender Behutsamkeit
öff
jedes „Auftragen“ und erwies sich als feinfühlige, ver¬
da
antwortungsvolle Darstellerin. Sonst gute Durchschnitts¬
leistungen, aber das Milieu der vornehmen, gutangezo¬
genen, anmutig=lässigen, in Aeußerung ihrer Gefühle spar¬
samen Nobelleute aus der Welt Schnitzlers wurde nicht
immer getroffen. Wolf H. Kersten fiel wieder durch köst= sen
liche Frische auf und man freute sich, nach längerer Pause bei
4 Winterrock-, Uisterstoffe, Mantelveloure, Anzug- und
Kostümstoffe zu nie wiederkehrenden billigen Preisen
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