II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 348

10. Das Vernaechtnis
Telephon 12801.
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„UBSEHVEN
I. österr. behördl konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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in Berlin, Budapest. Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangabe ohue Gewähr.)
Illustrirtes Wiener Extrablatt, Wien
Ausschnitt aus:
19 1. 1906
vom
Wiener Theatergeschichten.
XXI.
Mareell Prevost und Schuitzler.
Im Hofburgtheater stehr die Auf¬
führung einer Novität bevor: „Das schwache
Geschlecht“ von Marcell Prevost. Zum ersten
Male erscheint dieser moderne Pariser im Spielplane
der Hofbühne. Bei der Leseprobe des Dramas ergab
sich eine interessante Thatsache, daß hier nahezu das¬
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selbe Thema behandelt wurde, das Arthur Schnitzler
hin einem vor Jahren aufgeführten Schauspiele „Das
Vermächtniß" zur Discussion gestellt hatte. Während
aber der Wiener Poct der Haudtung einen düsteren Ab¬
schluß gab, führt sie der Franzose zu einem gemüthlichen
Ende. Es gäbe einmal eine dankbare Aufgabe, dieses
verschiedenartige Durchleuchten eines dramatischen
Stoffes bei Bühnenschriftstellern zu verfolgen, die
ohne sich zu keunen, nahezu den gleichen mensch¬
lichen Conflict ersinnen und auf ihre Weise
lösen suchen. Das gäbe werthvolle Bei¬
träge zur Psychologie dichterischen Schaffens.
Bei Componisten kommt es ebenfalls vor, daß sie
dasselbe Motiv vorbringen, doch geschieht es hier
mehr in Form einer flüchtigen Erinnerung. Nun, es
dürfte anläßlich der Première des eingangs er
wähnten Stückes sich Gelegenheit bieten, Weiteres
über diesen Gegenstand zu sagen.
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jugendlichen Feuern gefunkelt hat. Echtblütige Verfeinerung und berzinnige
Freude am Dasein, die guten Grundlagen seiner Kunst tragen den Gereiften,
der die Bonoivants lange hinter sich geworfen hat, nun in die große Helle
einer harmonisch geläuterten Menschlichkeit hinüber. Alles wird Licht, Schönheit,
Lebenssegen in ihm und um ihn her. Die Verklärungen, die sein Spiel
über seine Menschen breitet, verkünden tiefstes, ruhigstes Einverständnis
mit der Welt. In diesem stolz erfreuten Verbundensein mit allem, was
lebt, liegt auch das Geheimnis der überraschend modernen Gestaltungen,
die seine Künstlerschaft in den letzten Jahren bereichert haben. Denn modern
sein, heißt: im tiefen Gefühl unendlicher Zusammenhänge leben, heißt: zuerst
und in allem die Relativität alles Seins und Geschehens anerkennen, heißt:
die Grenzen zwischen Welt und Seele überwinden. Bis zu solcher weithin
überschauenden Höhe ist der innere Adel Hartmanns jetzt emporgewachsen.
Es war ein Wachsen vom Herzen aus, von Krästen des Gemütes gefördert
und vom Bewußtsein persönlichen Wertes gerichtet; ein Wachstum, dem
jedes Zerren und Treiben des ungeduldig spürenden Geistes ferne blieb.
Dem ist zweierlei zu kanken: daß ihn dieses scheinbare Neuwerden von
der Möglichkeit, den Stilen früherer Dichter nachzugestalten, keineswegs
losgerissen hat, und daß auch seiner modernen Schöpfung ein so vornehm
müheloses Gleichgewicht innewohnt. Triumph der Geschmeidigkeit war die
anmutig kavalierhafte Haltung und der sprungbereite Uebermut seiner jungen
Herren; Triumph der Geschmeidigkeit, von allem Aeußeren auf alles Innere
gewendet, ist das sublime Gefühl, die ganz modern beseelte tiefe Lebendig¬
keit, die jede seiner neuen Gestaltungen segnet. Im räsonnierenden Salon¬
stück, dessen verbröckelnde Reste noch immer durch unser Repertoire ge¬
spenstern, fällt ihm nun die Stimme der ganz ausgereisten Vornehmheit
zu. Man erinnert sich etwa an seinen Edelmann in „Geschäft ist Geschäft¬
oder an eine Figur aus Herviens „Rätsel“ als an Erscheinungen von
höchstem mildesten Glanz, Idealbilder gegenwärtiger Kultur, im Persönlichen
wie im Gesellschaftlichen. Und wo die Vielgestaltigkeit des klassichen
Dramas einen raschen Strahl von besonderer Wärme braucht, ein Herz,
das ohne Sturm und ohne Tat unsre Herzen einfängt, blanke Menschlichkeit,
die möglichst knapp und eindringlich für sich selbst redet, da wird nun
Hartmann hingestellt. So spielt er den Kammerdiener des Fürsten
oder den Medina Sidonia, und diesen Rollen kleinsten Umfanges wird
höchster menschlicher Wert gegeben. Und wenn ei als Wanderer im zweiten
Teil des Faust auf die Bühne tritt, beseligt lächelnd und die edlen Hände,
wie der ganzen Welt zum Gruß, vor sich gebreitet, so ist es, als käme
Goethe selber in seine Dichtung und verkündete leuchtenden Gesichtes:
„Ja, sie sinds, die alten Linden!“
Die kräftige Tiefe dieser wohlgebildeten Innerlichkeit und das feine
Ueberschauen menschlicher Dinge, zu dem seine angeborene Kultur neuestens
ausreift, begaben seine Kunst nun auch mit der Kraft ganz moderner Be¬
seelung. Was er dem Drama unsrer Zeit geben kann, ist nicht die kundig
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