II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 82


40. Uulse. —
Laube spricht auch in seinem Stadttheater einmel
über das Stück. Und da sagt er einen sehr merkwürdigen
Theater, Kunst und Titeratur.
Satz: „Selbst der „Zerbrochene Krug“, in der Schmidtschen
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Verkürzung von Döring meisterhaft dargestellt in der
(Deutsches Volkstheater.
Figur des Richter Adam, ist ganz selten geworden im
(„Der zerbrochene Krug“ von Kleist. „Der grüne Kakadu“ von Arthur
Repertoire. Anderswo hat er nie festen Fuß fassen können,
Schnitzler. Am 14. Dklober 1905.)
weil man seine Komik, die Komik der Voraussetzungen, zu
Der alte Schauspieler Genast erzählt vom „Zer¬
spitz fand für die Bühne. Diese Komik bringt es mit sich,
brochenen Krug“ in Weimar, am 2. März 1808: „Bei
daß man nachträglich lacht, im Theater aber will man auf
FFE
der Aufführung dieses Stückes ereignete sich ein Vorfall,
der Stelle lachen.“ Dies scheint mir das Wesen der
der in dem kleinen Weimarschen Hoftheater noch nie da¬
Kleistschen Charakteristik zu enthalten, welcher sich der Zu¬
gewesen und als etwas Unerhörtes bezeichnet werden konnte:
schauer, auch im Tragischen, immer erst nachher durch
ein herzoglicher Beamter hatte die Frechheit, das Stück aus¬
Reflexion bemächtigen kann, während es dramatisch ist, sie
zupfeifen. Karl August, der seinen Platz . .. auf dem
uns unmittelbar aufzudrängen. Er braucht also Schau¬
sogenannten bürgerlichen Balkon hatie, bog sich über die
spieler, die dem Zuschauer sogleich bringen, was ihm dieser
Brüstung heraus und rief: „Wer ist der freche Mensch,
Dichter immer erst am Ende, erst bei einer inneren Revision
der sich untersteht, in Gegenwart meiner Gemahlin zu
zu Haufe gibt, indem sie vorweg aus Eigenem spielen, was
pfeifen? Husaren, nehmt den Kerl fest.“ Dies geschah....
er erst zuletzt durch einen langwierigen Prozeß als Resultat
und er wurde drei Tage auf die Hauptwache gesetzt. Den
gewinnt. Wir haben im „Krug“ immer am Ende das Gefühl:
anderen Tag soll Goethe gegen Riemer, der es mir mit¬
würde er uns jetzt gleich noch einmal vorgespielt, so könnten
teilte, bemerkt haben: Der Mensch hat gar nicht so unrecht
wir erst lachen. Er braucht also Schauspieler, die fähig sind,
gehabt; ich wäre auch dabei gewesen, wenn es der Anstand
uns durch irgend eine geheime Macht, was der Dichter ver¬
und meine Stellung erlaubt hätten. Des Anstandes wegen
säumt, gleich schon vorempfinden zu lassen, noch bevort es
hätte er eben warten sollen, bis er außerhalb des Zuschauer¬
sich aus der Handlung ergibt, die so dramatisch ist als die
raumes war.“ Man weiß auch sonst, daß Goethe in kein
Darstellung ihrer Menschen undramatisch. Tieck muß dies
Verhältnis zu Kleist kommen konnte, an dem ihm „die
schon gemerkt haben. Er sagt in den dramaturgischen
nordische Schärfe des Hypochonders und die Gewaltsamkeit
Blättern einmal: „Kleisis Dramen geben dem Schauspieler
der Motive“ unerträglich war, „Ich habe ein Recht,“ hat
große Veranlassung, seine Kunst zu zeigen, aber zugleich
er einmal gesagt, „Kleist zu tadeln, weil ich ihn geliebt und
gehört es zu den allerschwierigsten Aufgaben, sie befriedigend
gehoben habe; aber sei es nun, daß seine Ausbildung, wie
oder auch nur so aufzuführen, daß die Absichten des
es jetzt bei vielen der Fall ist, durch die Zeit gestört
Dichters nicht ganz verloren gehen. Alle diese Charaktere
wurde, oder was sonst für eine Ursache zum Grunde
müssen sehr scharf umrissen werden, das Kolorit ist grell,
liege; genug, er hält nicht, was er zugesagt. Sein
und beides, Umriß und Farbe, verschwindet zu Zeiten
beinah wieder ganz, und dem Schauspieler ist die Er¬
Hypochonder ist gar zu arg; er richtet ihn als Menschen
und Dichter zugrunde. Sie wissen, welche Mühe und Proben
gänzung, gewissermaßen die Schöpfung, unbedingt an¬
vertraut.“ Deutlicher ausgedrückt: man hat bei Kleists Ge¬
ich es mir kosten ließ, seinen „Wasserkrug“ aufs hiesige
stalten immer das Gefühl, daß der Dichter ihren
Theater zu bringen. Daß es dennoch nicht glückte, lag einzig
„Charakter“ eben durch den dramatischen Verlauf nur erst
in dem Umstande, daß es dem übrigens geistreichen und
sucht; und wir müssen mit ihm suchen, und wenn er ihn
humoristischen Stoffe an einer rasch durchgeführten
endlich gefunden hat, ist das Stück schon aus, es endet mit
Handlung fehlt.“ Und ähnlich ein anderes Mal zu Riemer,
seiner Entdeckung. Bei Shalespeare auch, wird man
sich über die eigensinnigen und eigenwilligen Neuen von
vielleicht sagen. Ja, aber anders: Shakespeare deckt im
Kleists Art beklagend: „Sie meinen, außer dem Rechten
letzten Akt auf, als jetzt für den Verstand bewiesen; was
gäbe es noch ein Rechtes, ein anderes Rechtes, das hätten
wir mit dem Gefühl schon in der ersten Szene geheimnis¬
sie. Wie wenn es außer dem Schwarzen in der Scheibe
voll antizipiert haben. (Worin Shalespeare wie das Leben
noch eins gäbe, und da schießen sie denn ins Blaue.“ Womit
ist, unser Leben selbst, das auch nichts anderes mit uns
er übrigens nur das allgemeine Gefühl seines ganzin
Kreises aussprach. So schrieb Fräulein v. Knebel an ihren tut.) Und eben dies, was Shakespeare vor Kleist voraus
hat, diese magische Macht, uns sogleich fühlen zu
Bruder: „Ein fürchterliches Lustspiel, was wir eben
lassen, was uns die dramatische Begebenheit dann erst an
haben aufführen seh'n und was einen unverlösch¬
den Gestalten erkennen läßt, muß diesem, wenn er# #wirken
baren unangenehmen Eindruck auf mich gemacht hat, und
soll, der Schauspieler geben. Ich weiß freilich heute, nur
auf uns alle, ist der „Zerbrochene Krug“ von Herrn von
drei, welchen ich es für den „Krug“ zutrauen kann: Novelli,
Kleist in Dresden, Mitarbeiter des charmanten „Phöbus“.
Kainz und Girardi.
Wirklich hätte ich nicht geglaubt, daß es möglich wäre, so
Was ich am „Grünen Kakadu“ immer wieder be¬
was Langweiliges und Abgeschmacktes hinzuschreiben. Die
wundere, ist, daß er ganz unmittelbar auf uns und doch
Prineeß meint, daß die Herrens von Kleist gerechte An¬
keinen Augenblick als Kostüm wirkt. Sonst sagt man sich
sprüche auf den Lazarus=Orden hätten. Der moralische
bei „historischen“ Stücken entweder: Aha, er meint uns, er
Aussatz ist doch auch ein böses Uebel.“ Kleist gab das Mi߬
hat uns nur verkleidet, aber wir sind's, uns geht es an,
geschick selbst zu, als er in den „Phöbus“ ein Fragment aus
unser Fall wird verhandelt. (Bei Shakespeare, Goethe,
dem Stücke setzen ließ, mit der resoluten Bemerkung: „Da
Schiller immer.) Oder man weiß gleich, daß eine Ver¬
dieses kleine, vor mehreren Jahren zusammengesetzte Lust¬
gangenheit gezeigt werden soll, mit Gedanken, die wir nicht
spiel eben jetzt auf der Bühne von Weimar verunglückt
mehr denken, Gefühlen, die uns fremd geworden sind,
ist...“ Er konnte nur freilich nicht ahnen, daß es dabei
Menschen, die wir nicht mehr haben. Schnitzler trifft es
bleiben sollte: indem sich das Stück allmählich im stillen
wunderbar, beides zu verbinden: das „Echte“ mit unserem
immer dankbarere Leser gewann, fuhr es im Theater bei den
neuen Gefühl. Niemals empfinden wir das als „Kostüm",
Zuschauern zu „verunglücken“ fort. Eigentlich bis heute.
wir sind sogleich in jene große Zeit entrückt. Wir spüren:
Laube erzählt in seinem Burgtheater: „Noch in einer
Diese waren anders, keiner ist heute so, unser Leben hat
anderen komischen Richtung versuchte ich das Repertoire zu
diese Form nicht mehr. Und spüren doch ihre Leidenschaft
erweitern. In der Richtung nach Norden, möchte ich sagen.
als unsere und spüren zugleich fast einen geheimen Wunsch,
Heinrich v. Kleists „Zerbrochener Krug“ gehört ganz zur
ihre Vergangenheit zu unserer Zukunft zu machen. Es ist.
nordischen Komik. — Heinrich p. Kleist stand lange auf der
Geschichte, ja, aber lebendige, aus der noch Funken in
Senatorliste unserer großen Poeten. Man meinte, es müsse
unsere Wünsche springen.
alles dafür getan werden, dem Publikum begreiflich zu
Herr Höfer, dieser so kluge, so geschickte, nur nicht
machen, daß ihm einer der nächsten Sessel nach Schiller
drastische Künstler, gibt den Adam sehr fein, ohne ihm
und Goethe eingeräumt werde. Ich war selbst dieser
freilich jene positive Komik zuzuschießen. Lustig ist die
Meinung und hatte vor, all seine Dramen in Szene zu
Marthe der Frau Thaller, von angenehmer Frische der
setzen. Zuerst brachte ich den „Zerbrochenen Krug“, der hier
Ruprecht des Herrn Birron und in die ganze Vor¬
nie gegeben worden; eigentlich ohne Erfolg. Er erschien zu
stellung bringt Herr Vallentin, der neue Regisseur, ein
nordisch, zu kalt, zu gedacht, zu abstrakt. Mehr Komik
Tempo und einen Zug, die man sonst in diesem Theater
für den Denker, als für den Zuschauer. Der Unterschied
nicht kannte. Man spürt seine starke Hand auch im
unserer deutschen Landsmannschaften zeigt sich da sehr
„Kakadu“, der, von den Damen Lißl und Ritscher,
deutlich. Die märkische Landsmannschaft, zu welcher
den Herren Kramer, Jensen und Birron vor¬
Kleist gehörte, findet das Stückchen ihrem Geschmacke zu¬
trefflich dargestellt, das Publikum in einen Taumel und
sagend, sie folgt ihm mit Behagen. Döring gibt auch den
Tumült rez, wie man hier lange, lange, keinen ver¬
Dorfrichter Adam viel cynischer, schärfer und frecher als
nommen hat.
La Roche, und die Döringsche Charakteristik entspricht dem
Hermann Bahr.
märkischen Grundtone. Die norddeutsche Komik steht eben
viel nal
WAIn