gehabt; ich wäre auch dabei gewesen, wenn es der Anstand
und meine Stellung erlaubt hätten. Des Anstandes wegen
hätte er eben warten sollen, bis er außerhalb des Zuschauer¬
raumes war.“ Man weiß auch sonst, daß Goethe in kein
Verhältnis zu Kleist kommen konnte, an dem ihm „die
nordische Schärfe des Hypochonders und die Gewaltsamkeit
der Motive“ unerträglich war. „Ich habe ein Recht,“ hat
er einmal gesagt, „Kleist zu tadeln, weil ich ihn geliebt und
gehoben habe; aber sei es nun, daß seine Ausbildung, wie
es jetzt bei vielen der Fall ist, durch die Zeit gestört
wurde, oder was sonst für eine Ursache zum Grunde
liege; genug, er hält nicht, was er zugesagt. Sein
Hypochonder ist gar zu arg; er richtet ihn als Menschen
und Dichter zugrunde. Sie wissen, welche Mühe und Proben
ich es mir kosten ließ, seinen „Wasserkrug“ aufs hiesige
Theater zu bringen. Daß es dennoch nicht glückte, lag einzig
in dem Umstande, daß es dem übrigens geistreichen und
humoristischen Stoffe an einer rasch durchgeführten
Handlung fehlt.“ Und ähnlich ein anderes Mal zu Riemer,
sich über die eigensinnigen und eigenwilligen Neuen von
Kleists Art beklagend: „Sie meinen, außer dem Rechten
gäbe es noch ein Rechtes, ein anderes Rechtes, das hätten
sie. Wie wenn es außer dem Schwarzen in der Scheibe
noch eins gäbe, und da schießen sie denn ins Blaue.“ Womit
er übrigens nur das allgemeine Gefühl seines ganzen
Kreises aussprach. So schrieb Fräulein v. Knebel an ihren
Bruder: „Ein fürchterliches Lustspiel, was wir eben
haben aufführen seh'n und was einen unverlösch¬
baren unangenehmen Eindruck auf mich gemacht hat, und
auf uns alle, ist der „Zerbrochene Krug“ von Herrn von
Kleist in Dresden, Mitarbeiter des charmanten „Phöbus“.
Wirklich hätte ich nicht geglaubt, daß es möglich wäre, so
was Langweiliges und Abgeschmacktes hinzuschreiben. Die
Princeß meint, daß die Herrens von Kleist gerechte An¬
sprüche auf den Lazarus=Orden hätten. Der moralische
Aussatz ist doch auch ein böses Uebel.“ Kleist gab das Mi߬
geschick selbst zu, als er in den „Phöbus“ ein Fragment aus
dem Stücke setzen ließ, mit der resoluten Bemerkung: „Da
dieses kleine, vor mehreren Jahren zusammengesetzte Lust¬
spiel eben jetzt auf der Bühne von Weimar verunglückt
ist ...“ Er konnte nur freilich nicht ahnen, daß es dabei
bleiben sollte: indem sich das Stück allmählich im stillen
immer dankbarere Leser gewann, fuhr es im Theater bei den
Zuschauern zu „verunglücken“ fort. Eigentlich bis heute.
Laube erzählt in seinem Burgtheater: „Noch in einer
anderen komischen Richtung versuchte ich das Repertoire zu
erweitern. In der Richtung nach Norden, möchte ich sagen.
Heinrich v. Kleists „Zerbrochener Krüg“ gehört ganz zur
nordischen Komik. — Heinrich v. Kleist stand lange auf der
Senatorliste unserer großen Poeten. Man meinte, es müsse
alles dafür getan werden, dem Publikum begreiflich zu
machen, daß ihm einer der nächsten Sessel nach Schiller
und Goethe eingeräumt werde. Ich war selbst dieser
Meinung und hatte vor, all seine Dramen in Szene zu
setzen. Zuerst brachte ich den „Zerbrochenen Krug“, der hier
nie gegeben worden; eigentlich ohne Erfolg. Er erschien zu
nordisch, zu kalt, zu gedacht, zu abstrakt. Mehr Komik
für den Denker, als für den Zuschauer. Der Unterschied
unserer deutschen Landsmannschaften zeigt sich da sehr
deutlich. Die märkische Landsmannschaft, zu welcher
Kleist gehörte, findet das Stückchen ihrem Geschmacke zu¬
sagend, sie folgt ihm mit Behagen. Döring gibt auch den
Dorfrichter Adam viel eynischer, schärfer und frecher als
La Roche, und die Döringsche Charakteristik entspricht dem
märkischen Grundtone. Die norddeutsche Komik steht eben
der Kaustik viel näher, als die süddeutsche. Aber auch im
Norden mußte dieser durch die Romantiker berühmt ge¬
vordene „Krug“ gestrichen werden bis auf die Knochen.
Er ist viel zu breit für die Szene. Und dem Süddeutschen
ist ein Körper ohne Fleisch ein mißlich Ding.“ In Wien
hat er in der Tat eigentlich niemals gewirkt. Auch in
München nicht, sogar bei Dingelstedts Mustervorstellungen
von 1854 mit Döring kaum. Eigentlich also nur in Berlin,
so lange Döring den Dorfrichter gab. Dann auch nicht
mehr. Erst neulich noch, als er im Kleinen Theater wieder
versagte, hat Siegfried Jacobsohn verzeichnet, es habe sich
„die über alle Begriffe herrliche Komödie seit Dörings
Tode auf keiner Bühne behaupten können“. Warum? Ein
von allen bewundertes Stück, das überall durchfällt. Es
muß doch einen Grund haben.
wir erst lachen ncr eeorererre
uns durch irgend eine geheime Macht, was der Dichter ver¬
säumt, gleich schon vorempfinden zu lassen, noch bevor es
sich aus der Handlung ergibt, die so dramatisch ist als die
Darstellung ihrer Menschen undramatisch. Tieck muß dies
schon gemerkt saden. Er sagt in den dramaturgischen
Blättern einmen: „Kleisis Dramen geben dem Schauspieler
große Veramtassung, seine Kunst zu zeigen, aber zugleich
gehört es zu den allerschwierigsten Aufgaben, sie befriedigend
oder auch nur so aufzuführen, daß die Absichten des
Dichters nicht ganz verloren gehen. Alle diese Charaktere
müssen sehr scharf umrissen werden, das Kolorst ist grell,
und beides, Umriß und Farbe, verschwindet zu Zeiten
beinah wieder ganz, und dem Schauspieler ist die Er¬
gänzung, gewissermaßen die Schöpfung, unbedingt an¬
vertraut.“ Deutlicher ausgedrückt: man hat bei Kleists Ge¬
stalten immer das Gefühl, daß der Dichter ihren
„Charakter“ eben durch den dramatischen Verlauf nur erst
sucht; und wir müssen mit ihm suchen, und wenn er ihn
endlich gefunden hat, ist das Stück schon aus, es endet mit
seiner Entdeckung. Bei Shakespeare auch, wird man
vielleicht sagen. Ja, abe anders: Shakespeare deckt im
letzten Akt auf, als jetzt für den Verstand bewiesen; was
wir mit dem Gefühl schon in der ersten Szene geheimnts¬
voll antizipiert haben. (Worin Shakespeare wie das Leben
ist, unser Leben selbst, das auch nichts anderes mit uns
tut.) Und eben dies, was Shakespeare vor Kleist voraus
hat, diese magische Macht, uns sogleich fühlen zu
lassen, was uns die dramatische Begebenheit dann erst an
den Gestalten erkennen läßt, muß diesem, wenn er wirken
soll, der Schauspieler geben. Ich weiß freilich heute, nur.
drei, welchen ich es für den „Krug“ zutrauen kann: Novelli,
Kainz und Girardi.
Was ich am „Grünen Kakadu“ immer wieder be¬
wundere, ist, daß er ganz unmittelbar auf uns und doch
keinen Augenblick als Kostüm wirkt. Sonst sagt man sich
bei „historischen“ Stücken entweder: Aha, er meint uns, er
hat uns nur verkleidet, aber wir sind's, uns geht es an,
unser Fall wird verhandelt. (Bei Shakespeare, Goethe,
Schiller immer.) Oder man weiß gleich, daß eine Ver¬
gangenheit gezeigt werden soll, mit Gedanken, die wir nicht
mehr denken, Gefühlen, die uns fremd geworden sind,
Menschen, die wir nicht mehr haben. Schnitzler trifft es
wunderbar, beides zu verbinden: das „Echte“ mit unserem
neuen Gefühl. Niemals empfinden wir das als „Kostüm“,
wir sind sogleich in jene große Zeit entrückt. Wir spüren:
Diese waren anders, keiner ist heute so, unser Leben hat.
diese Form nicht mehr. Und spüren doch ihre Leidenschaft.
als unsere und spüren zugleich fast einen geheimen Wunsch,
ihre Vergangenheit zu unserer Jukunft zu machen. Es ist.
Geschichte, ja, aber lebendige, aus der noch Funken in
unsere Wünsche springen.
Herr Höfer, dieser so kluge, so geschickte, nur nicht
drastische Künstler, gibt den Adam sehr fein, ohne ihm
freilich jene positive Komik zuzuschießen. Lustig ist die
Marthe der Frau Thaller, von angenehmer Frische der
Ruprecht des Herrn Birron und in die ganze Vor¬
stellung bringt Herr Vallentin, der neue Regisseur, ein
Tempo und einen Zug, die man sonst in diesem Theater
nicht kannte. Man spürt seine starke Hand auch im
„Kakadu“, der, von den Damen Lißl und Ritscher,
den Herren Kramer, Jensen und Birron vor¬
trefflich, dargestellt, das Publikum in einen Taumel und
Tumült rez, wie man hier lange, lange, keinen ver¬
nommen hat.
Hermann Bahr.
1400