II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 254

Berliner Börsen Courier, Herlir
Morgen#usgabe
erliner Börsen-Courier Nr. 513.
Sonntag, 2. November 1919.
Farbenspiel. Im letzten Scheide=Augenblicke noch unsere wohlgeregelte Tageswelt hineinspukt. Ma.
winkt uns hüllenlose Meerschönhen zu ...
hat später, nach Nietzsches geistreichem Wort, nicht
mehr jenen Jünglingswahnsinn, der von allen ver¬
schleierten Isisbildern die Hüllen und Ueberwürfe
Gastspiel“ in Malente. — Wir hatten am
reißen möchte.... Uebrigans versagten die in der
lieblichen Uklei=See gerastet, der uns in seiner idyl¬
Tat oft erstaunlichen Gedankenlesekünste, sobald eins
lisch=geschlossenen Umfriedetheit an den heimischen
der Medien die unwillkürlichen Muskelreflexe bewußt
Schlachtensee erinnerte, vor dem er freilich die üp¬
hemmte .... Man kann eben die Skepsis kaum weit
pig=prächtige Buchenwaldkränzung voraus hat, und
genug treiben; nur jenes Restchen (für unsere Er¬
umwanderten nun, den ausruhenden Blick um In¬
kenntnis ein ungeheurer Rest!), das die vor¬
selchen und Waldhügel im Kreise führend, den gro¬
sichtigste und mißtrauischste Stepsis übrig läßt,
ßen Kellersee bis ins dörfliche Malente hinein, das
darf als wahrhaft metaphysisch, mystisch und
sich weiterhin immer mehr zum modernen Bade raf¬
magisch gelten. Von dem alltagsmystischen Brim¬
finiert. In einem großen, prunklosen dörflich=ver¬
borium also kaum ein halb Prozent — und auch
feinerten Gasthaus kehrten wir ein. Da stand der
dies noch umstritten.
riesige Konzert= und Tanz=Saal offen und verlassen;
eine kleine Bühne mit naiv gepinselten, ein wenig
Zwischen Shakespeare und Toller. — Auch
zerschlissenen Waldkulissen schloß ihn ab; breit und
dies ein Zeitbildchen! In so aufgeregten und „ziel¬
stimmungslos brach das Nachmittagslicht durch
nüchterne Scheiben in den verödeten Raum.
strebigen“ Epochen gewinnt alles über seinen barm¬
Die
losen Sachwert hinaus aktuell=pointierte Bedeutung.
Einsamkeit gab dem Freunde und mir ein übermüti¬
Und man braucht nicht Zyniker zu sein (im Gegen¬
ges Herrengefühl: wir bemächtigten uns des Va¬
zeil!), um von höchster Warte aus die Tragödie zu¬
cuums und gaben im Scherz eine musikalisch=dekla¬
gleich ein wenig als Komödie zu empfinden. Das
matorische Vorstellung für ein wahrhaft „ideales“
hätte sich Shakespeare nicht räumen lassen, daß sein
Publikum. Der Freund paukte klassische Musik auf
„Coriolan“ 1919, als alldeutsch=militaristisches Ten¬
dem fragwürdigen Klavier, und ich monologisierte
denzstück wirken würde! „Coriolan“ war das erste
auf der kleinen Bühne aus Hamlet, Faust, Wallen¬
„richtige" Theaterstück, das ich vom hohen Olymp
stein. Es war hart auf der gewollten Grenze des
herab als junger Schüler mit noch frischer Romer¬
Parodistischen — und doch befühlte ich mir zugleich
begeisterung sah! Damals war's für mich noch von
sehr ernsthaft den ästhetischen Puls. In dieser skur¬
Wichtigkeit, wer den Aufidius oder den zweiten oder
rilen Form kam ich sozusagen zum erstenmale prak¬
dritten Bürger spielte! Heut, nachdem man den
tisch dem Erlebnis des Schauspielers nahe. Oeffent¬
Krieg in seinen scheußlichsten Formen in der Nähe
lich vorzutragen mich selbst darzustellen, auf ein
gesehen hat, ist man gegen deklamierende römische
Publikum zu wirken, war mir als geborenem und
Heldenmütter stumpfer geworden. Nur sehr rechts
beruflichem Redner und Dozenten nicht neu —
und
stehende Kritiker bringen noch das nötige Schwert¬
die Kunst des Schauspielers war da gewiß stets
nächster seelischer und künstlerischer Nachbarbezirk
adelpathos auf. Und das Publikum des ehemals
aber das Trennende und Unterscheidende der seelen= königlichen Schauspiels bereitet dem römischen Pa¬
tauschende Verwandlungsmythos im Schauspieler,
trizier rauschende Ovationen... Draußen in Char¬
wurde mir hier erst recht fühlbar. Und zum Problem
lottenburg aber, am Knie, läßt der junge, sympa¬
thische Toller das Grausen des Krieges, wie er wirk¬
wurde mir hier auch „das intermittierende Bewußt¬
sein“ des Schausvielers, dies Aussetzen und Wieder= lich ist, in losen Szenen als Feuerzungenpredigt der
Einsetzen der künstlerischen Autosuggestion hinter Menschlichkeit vorüberflattern
ganz nackte Geste,
kunstlos=ehrlich herausgeschrieenes Gefühl
den Kulissen und dann wieder vor der Rampe. Mir

seltsam nah und weltenweit liegen die Pole dieses
selbst war wunderlich zu Mute, wenn ich im Wechsel
seelischer Aus= und Einschaltungen zwischen zwei tonreichen, echten und verlogenen Tier= und Gott¬
Seelen pendelte, die äußerlich nur auf Schrittweite
menschentums: Gensdarmenmarkt und Charlotten¬
auseinanderlagen
burger „Kwie“.
So wurde es ein psycho¬
logisch und ästhetisch fruchtbar und aufschlußreich:
mein Scherz= und Zufalls=„Gastspiel“ in Malente.
Eros Antinons und die Pflanzenseele. — Zwei
Jahre lang haben wir — auf gleichem Flur —
nebeneinander, aneinander vorbeilebt — mit flüch¬
Magie von 1919.
Die Tragödie der Zeit
tigen Fahrstuhlbegegnungen höchstens. Die beiden
schickt ihre kleinen, schalkhaßen Satirspiele nach.
Okkultistische Spielerei kommt wie stets in Auf= seinsinnigen alten Damen, deren Hausgenosse ich nun
lösungszeiten, in Mode. Allerlei frommer und un¬ geworden bin, und ich. Wie vieltönig in seiner Ein¬
tönigkeit, wie überraschungsreich im Gewohmen ist
frommer Wahn umschwirrt die Hirne. Der indische
doch das Leben! Wer konnte es ahnen, daß unser
Yogi und Fakir wird gesellschaftsfähig. Natürlich:
geschäftskühles Cityhaus ein ästhetisch reizvolles Heim
nicht das Große, das unvergleichlich Einzige am
voll feiner Alt=Berliner Kultur in sich barg! Die
Indertum, sondern das Abströse hat den großen Er¬
giten Geister der Hermann=Grimm=Zeit werden
folg. Der Orient europäisiert, nein: amerikanisiert
wach. Hier ist sogar die Außenseite eines gravitäti¬
sich (aber das läuft ja nachgerade auf eins hinausl) schen alten Kleiderschranks mit lustigen Improvisa¬
und die Metaphysik schließt die Geschäftstüchtig= tionen Meyerheims bedeckt. Das ganze Heim ist in
keit nicht aus. (Schopenhauer hat das bereits bei
Musik getaucht — auch in jene feine unsinnliche
seinen „Philosophieprofessoren“ festgestellt
aber
Musik, die man mit dem „dritten Ohre“ hört. Seit
was waren das für verschollene Harmlosigkeiten gegen
langem habe ich wieder heimatliche Gefühle; meine
heut!) Ich habe es selbst mit Ergötzen erlebt, wie in
Mein Zimmer ist ein
Unstetheit läßt nach.
öffentlicher Veranstaltung ein solcher Magier dem
kleines Museum das altrömische Veduten, Re¬
anderen mit schlauen Konkurrenzmanövern zu Leibe
naissancewerke, Modernes an den Wänden trägt.
ging und die prächtigste Reklame für sich selbst
Von dem kleinen, seinen Bücherschrank, der gediegene
daraus schlug. Ja, so ein bißchen „Indien in Ber¬
lin“ ist wunderschön (und nicht nur in Berlin — Klassiker und reizende altväterische Bändchen aus
„Meyers Groschenbibliothek“ umschließt, grüßt die
denn dieser wirklich „faule“ Zauber grassiert heut im
knabenhafte Süße des Eros — und eines Morgens
ganzen Reich!). Die kitschige Atrappe schafft Nimbus
prangt ihm gegenüber auf dem gothisch schlaßken
und nur diese! Wer aus dem tausendköpfigen
Kleiderschränkchen der edle Jünglingskopf des An¬
Publikum läse und genösse ernsthaft die Upanischad!
tinous... Dann überrascht mich plötzlich eine
Aber alle denkschwachen und wundersüchtigen
Zimmerpflanze, eine edel=ornamental gezache Feigen¬
Männlein und Weiblein (und besonders diese, zumal
Art die neue Keime treibt. Und zum ersten Male
die sexual=physiologisch nicht ganz normalen) schwär¬
fühle ich mit Plakönikerempfindungen neben mir dies
men hem für Telepathie und die anderen Künste der
andere, geruhige Leben der Pflanzenseele...
hohen Magie. Rudolf Steiner, der allheilende
Wundermann — dem leider nur das eine Wunder
nicht gelingen mag, gutes und richtiges Deutsch zu