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uene Kakadu
9.3. Den
„ KI.
ganz wenige Werke der Modernen von sich rühmen können —
in zwei Jahrhunderten zum fünften Mal von einer Berliner
Berliner Theater.
Bühne aufgenommen und es wirkt noch immer fast so stark
wie bei seiner Uraufführung. Die war eine der glänzendsten
Strindberg=Schnitzler=Abend im Lessingtheater.
Vorstellungen Otto Brahms. Joseph Kainz stand da¬
(Vonünsererr Redaktion.]
mals vor seinem Abgang nach Wien zum letzten Mal in
einer Berliner Premiere auf der Bühne. Und wie er als
Berlin, 5. November.
Schauspieler Henry seinem Prinzipal zurief: „Ihr wißt
Frau Tilla Durieux, gewiß nicht die bedeutendste
garnicht, was für ein Künstler in mir steckt!“ und dieser,
*Persönlichkeit, aber wahrscheinlich die sicherste Könnerin
den berühmten Kainzschen Ton kopierend, ihm entgegen¬
kuf der heutigen deutschen Bühne, hat die Manier des
schrie „gewiß wissen wir es!“ — da unterbrach das jubelnde
sirtuosen, der nirgends länger als eine Spielzeit höchstens
Parkett für Minuten die Vorstellung. — Einer der in Berlin
Liben kann. Sie ist nun mit allen Berli#r Bühnen durch
ganz seltenen Fälle von Schauspielerovationen großen Stils
nd hat sich eben zum zweiten Mal dm Lessing¬
im Theater. Der Darsteller des Wirts war heute noch oder
heater verpflichtet. Um ihr eine bequeme, eigentlich
wieder derselbe wie damals: Hans Fischer, ausgezeichnet
lzu bequeme Antrittsrolle zu bieten, hatte Direktor Bar¬
in der leichten Komik des Schmierenvaters, hinter der schwer
owsky zwei sehr bekannte, tragikomische Einakter der
und gefährlich der echte Revolutionär droht. Die Epigonen
Setzten Generation herausgesucht. — Denn perverse Aristokra¬
neben ihm hielten den Vergleich mit dem größeren Ge¬
kinnen, das ist Tilla Durieuxs Spezialität. So war sie erst
schlecht nicht gut aus. Konrad Veidt in der Kainz=Rolle
„Fräulein Julie“ in dem berühmten Einakter des
hat wenigstens die exstatische Jugendkraft durch die man
jungen Strindberg. Die Grafentochter die sich mit
überhaupt etwas ist, wenn auch kaum den umfassenden
dem Lakaien einläßt und daran zugrunde geht. Das Stück,
Geist, mit dem man das Große erreicht. Dagegen war sein
S geistreich, böse und stark, wirkt doch heute mehr quälend als
wichtigster Gegenspieler, der Tarsteller des glänzenden Her¬
Ferschütternd. Man fühlt einen Mangel an künstlerischer
zogs (Telius) so schwach, daß er das Gleichgewicht des
— Unwillkürlichkeit, Absichten, die nicht recht zusammengehen.
Stückes gefährdete Starke Hoffnung knüpft sich nur an
SUm den Zorn auf todesreifen, überkultivierten Adel zu
den Darsteller, der mit dem sentimentaten Strolch Schnitzlers
Wentladen, muß diese Julie ein sehr verderbtes und kühles
und schon mit dem brutalen Lakaien Strindbergs sich als
„Geschöpf sein — um den tragischen Schluß zu liefern, muß
Erbe des unvergeßlichen Rudolf Rittners vorstellte. Eugen
aber ihr Fall sie bis zu völliger Besinnungslosigkeit ent¬
Klopfer hat wohl nicht dessen scheu verschlossene Tiefe,
wurzeln. Es geht nicht recht zusammen — aber die ein¬
sein Temperament kommt leichter an die Oberfläche des
zelnen Teile macht die Durieux natürlich glänzend. Nachher
bunten Theaters, aber es hat etwas von der echten, gefähr¬
ist sie (mit einer unnötigen Nuance von Dummheit, aber
lichen Naturkraft der drohenden Wucht und scheinbar auch
sonst sehr witzig) die Marquise in Schnitzlers „Grü¬
von dem wilden Humor jenes größten Realisten aus Brahmns
nem Kakadu“. Eine von den Aristokratinnen, die am
Ensemble. Eugen Klöpfer bedeutet zweifellos die wertyollste
Vorabend der Revolution in die Kneipe des früheren Thea¬
Bereicherung der Berliner Schauspielkunst in dieser Spielzeit.
terdirektors kommen, um sich von den künstlichen Ver¬
Julius Bab.
brechern angruseln zu lassen, die die Schauspieler des Wirts
dort mimen. Wie hier aus dem gespielten Mord der wirk¬
liche aufsteigt, weil gerade der ehrlichste Schauspieler sein,
echteste Leidenschaft noch als Theatercoup benutzt und wei
sich herausstellt, daß der glänzendste seiner Zuschauer ihr
((was er nicht wußte, nur spielte!) mit seinem Weibe betroger
hat — wie hier Spiel und Wirklichkeit, grotesk und gräß
lich, ineinander gewirkt ist, und beides mit einander in
Donner der Revolution zugrunde geht — das ist mit st
üppig spielendem, nie auslassendem Witz und so tief schürfen
dem, verzweifeltem Ingrimm gestaltet, dazs mit so völli
sicherer Theatralik vorbereitet und gesteigert, daß man schor
von einem Meisterwerk der Gattung sprechen kann. Es i
kein Zufall, daß das in skeptischer Genußsucht aufgelöst
Wien niemals wieder etwas so Starkes zustande gebracht hat
wie diesen Akt, mit dem es eine Art Selbsthinrichtun
Lollzogen hat. Das Stück wird denn auch — was doch nu
uene Kakadu
9.3. Den
„ KI.
ganz wenige Werke der Modernen von sich rühmen können —
in zwei Jahrhunderten zum fünften Mal von einer Berliner
Berliner Theater.
Bühne aufgenommen und es wirkt noch immer fast so stark
wie bei seiner Uraufführung. Die war eine der glänzendsten
Strindberg=Schnitzler=Abend im Lessingtheater.
Vorstellungen Otto Brahms. Joseph Kainz stand da¬
(Vonünsererr Redaktion.]
mals vor seinem Abgang nach Wien zum letzten Mal in
einer Berliner Premiere auf der Bühne. Und wie er als
Berlin, 5. November.
Schauspieler Henry seinem Prinzipal zurief: „Ihr wißt
Frau Tilla Durieux, gewiß nicht die bedeutendste
garnicht, was für ein Künstler in mir steckt!“ und dieser,
*Persönlichkeit, aber wahrscheinlich die sicherste Könnerin
den berühmten Kainzschen Ton kopierend, ihm entgegen¬
kuf der heutigen deutschen Bühne, hat die Manier des
schrie „gewiß wissen wir es!“ — da unterbrach das jubelnde
sirtuosen, der nirgends länger als eine Spielzeit höchstens
Parkett für Minuten die Vorstellung. — Einer der in Berlin
Liben kann. Sie ist nun mit allen Berli#r Bühnen durch
ganz seltenen Fälle von Schauspielerovationen großen Stils
nd hat sich eben zum zweiten Mal dm Lessing¬
im Theater. Der Darsteller des Wirts war heute noch oder
heater verpflichtet. Um ihr eine bequeme, eigentlich
wieder derselbe wie damals: Hans Fischer, ausgezeichnet
lzu bequeme Antrittsrolle zu bieten, hatte Direktor Bar¬
in der leichten Komik des Schmierenvaters, hinter der schwer
owsky zwei sehr bekannte, tragikomische Einakter der
und gefährlich der echte Revolutionär droht. Die Epigonen
Setzten Generation herausgesucht. — Denn perverse Aristokra¬
neben ihm hielten den Vergleich mit dem größeren Ge¬
kinnen, das ist Tilla Durieuxs Spezialität. So war sie erst
schlecht nicht gut aus. Konrad Veidt in der Kainz=Rolle
„Fräulein Julie“ in dem berühmten Einakter des
hat wenigstens die exstatische Jugendkraft durch die man
jungen Strindberg. Die Grafentochter die sich mit
überhaupt etwas ist, wenn auch kaum den umfassenden
dem Lakaien einläßt und daran zugrunde geht. Das Stück,
Geist, mit dem man das Große erreicht. Dagegen war sein
S geistreich, böse und stark, wirkt doch heute mehr quälend als
wichtigster Gegenspieler, der Tarsteller des glänzenden Her¬
Ferschütternd. Man fühlt einen Mangel an künstlerischer
zogs (Telius) so schwach, daß er das Gleichgewicht des
— Unwillkürlichkeit, Absichten, die nicht recht zusammengehen.
Stückes gefährdete Starke Hoffnung knüpft sich nur an
SUm den Zorn auf todesreifen, überkultivierten Adel zu
den Darsteller, der mit dem sentimentaten Strolch Schnitzlers
Wentladen, muß diese Julie ein sehr verderbtes und kühles
und schon mit dem brutalen Lakaien Strindbergs sich als
„Geschöpf sein — um den tragischen Schluß zu liefern, muß
Erbe des unvergeßlichen Rudolf Rittners vorstellte. Eugen
aber ihr Fall sie bis zu völliger Besinnungslosigkeit ent¬
Klopfer hat wohl nicht dessen scheu verschlossene Tiefe,
wurzeln. Es geht nicht recht zusammen — aber die ein¬
sein Temperament kommt leichter an die Oberfläche des
zelnen Teile macht die Durieux natürlich glänzend. Nachher
bunten Theaters, aber es hat etwas von der echten, gefähr¬
ist sie (mit einer unnötigen Nuance von Dummheit, aber
lichen Naturkraft der drohenden Wucht und scheinbar auch
sonst sehr witzig) die Marquise in Schnitzlers „Grü¬
von dem wilden Humor jenes größten Realisten aus Brahmns
nem Kakadu“. Eine von den Aristokratinnen, die am
Ensemble. Eugen Klöpfer bedeutet zweifellos die wertyollste
Vorabend der Revolution in die Kneipe des früheren Thea¬
Bereicherung der Berliner Schauspielkunst in dieser Spielzeit.
terdirektors kommen, um sich von den künstlichen Ver¬
Julius Bab.
brechern angruseln zu lassen, die die Schauspieler des Wirts
dort mimen. Wie hier aus dem gespielten Mord der wirk¬
liche aufsteigt, weil gerade der ehrlichste Schauspieler sein,
echteste Leidenschaft noch als Theatercoup benutzt und wei
sich herausstellt, daß der glänzendste seiner Zuschauer ihr
((was er nicht wußte, nur spielte!) mit seinem Weibe betroger
hat — wie hier Spiel und Wirklichkeit, grotesk und gräß
lich, ineinander gewirkt ist, und beides mit einander in
Donner der Revolution zugrunde geht — das ist mit st
üppig spielendem, nie auslassendem Witz und so tief schürfen
dem, verzweifeltem Ingrimm gestaltet, dazs mit so völli
sicherer Theatralik vorbereitet und gesteigert, daß man schor
von einem Meisterwerk der Gattung sprechen kann. Es i
kein Zufall, daß das in skeptischer Genußsucht aufgelöst
Wien niemals wieder etwas so Starkes zustande gebracht hat
wie diesen Akt, mit dem es eine Art Selbsthinrichtun
Lollzogen hat. Das Stück wird denn auch — was doch nu