II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 283

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Dr. Max Goldschmict
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Famburger Ccho

20. Feb. 975
Deutsches Schauspielhaus. Romain Rolland „Ein Spiel
von Tod und Liebe“. Arthus=Schnitzler: „Der grüne
Kakadu“
Zwei Szenen aus der französischen Revolution. Die chrono¬
logische Folge ist umgekehrt, damit nicht das Satyrspiel vor der

ragödie steht. „Der grüne Kakadu“ ist als Groteske bezeichnet, Liebe vermag sie nicht ins Leben hinaus zu locken, sie hebt nur
alle edie Kraft in ihr auf, und es bleibt das Nichts. Aber dieses
ört als solche aber zu jenen hochwertigen Spielereien des
Nichts ist verklärt von der Seligkeit des Nirwana, in das sie jetzt,
Geistes mit einem artistischen Einfall, die im seltsamen Zwielicht
an die Schulter des Gatten gelehnt, einen Fliederstrauß in der
des Grauens und des Lachens stehen. Ein verkrachter Theater¬
Gatte und Gattin be¬
Hand, schreitet. Vallée ist geflüchtet.
direktor faßt die kühne Idee, in Paris eine künstlich inszenierte
steigen in schweigender, tiefer Verbundenheit, die höher ist als
Verbrecherkneipe, „Der grüne Kakadu“, aufzumachen, in der seine
irdische Liebe, das Schafott.
frühere Truppe Zuhälter, Dienen, Taschendiebe Mörder usw.
Dies Spiel ist eigentlich nicht Drama, sondern Musik. M
spielen muß. Um Himmelswillen, wozu? Damit seine hochadlige
höre die Tristanklänge, die Parzifaltöne zwischen den Zeilen, die
Kundschaft einen angenehmen und völlig ungefährlichen Nerven¬
Verneinung des Lebens, die Befreiung der Seele.
kitzel hat, sowie den Moderausch der Berührung mit Natur und
Es darf daher dies Spiel nicht als neun, eigentlich nur drei,
Volk. Im gärenden Paris kann man freilich neuerdings solche
Theaterrollen aufgefaßt werden, die Spieler müßten ein musik¬
Scherze, wie vom Wirt mit den Worten: „Guten Tag, Ihr
Schweine, seid Ihr noch nicht geköpft?“, empfangen zu werden,
umfangenes Kammertrio sein, das auf unsichtbaren Geigen spielt.
Das vermochte nur Erika Beilke als Gattin. Georg Aug. Koch
haben, ohne die innere Beruhigung daß alles nur gespielt wird.
als Courvoisier brachte bereits Theater, freilich gutes. Reinhold
Wir erleben nun am Tage der Erstürmung der Bastille eine
Lütjohanns Spiel war natürlich erst recht Theater, und dazu
dieser Kneipenaufführungen, in die plötzlich der grauenhafte Ernst
schlechtes. Hier tag eine alles zerstörende Fehlbesetzung von
der Wirklichkeit hineinplatzt, aber vom adligen Publikum als
Einer der wenigen Prominenten, zum Beispiel Siems, hätte den
Komödie verlacht und beklatscht wird, bis auch sie nicht mehr
Vallée jedenfalls besser gespielt. Diese Konzession ans Publikum,
wissen, was hier Ernst und was hier Spiel ist. Ein schwacher
bei dem Lütjohann zweifellos beliebt ist, durfte nicht gemacht wer¬
Schimmer der Realität von wahr und unwahr ruht auch auf
den, sonst wird Lütjohann allmählich zu einem besonderen Fall.
diesem Spiel, als Ganzes bleibt es eine fabelhafte Artistik mit
Erika Beilke allein vermochte natürlich das Spiel auch nicht zu
einem Bühneneinfall. Julius Kobler spielte vorzüglich den
tragen, so daß es über einen warmen Achtungserfolg nicht hinaus¬
theatergroben Wirt. Die schwierige Rolle, das Schauspielern zu
kam. Die Regie von Otto Werther klebte diesmal zu stark
spielen, ohne burlesk zu wirken, lösten alle sehr gut. In der
am Aeußeren und ward der inneren Musik des Spiels nicht
tragischen Rolle des Henri leistete Arnold Marlé wiederum das
Hoe.
Allerstärkste und Beste Willy Favart, Paul Ellmar, Fried¬
gerecht.
rich Siems, Carl Wagner waren durchaus überzeugende
Mitglieder des sich amüsierenden Hochadels, Käte Wittenberg
eine sehr schöne, amouröse, innerlich zersetzte Marquise. Der
eigenartige Trubel dieses „Verbrecher“kellers, in dem der einzige
wirkliche Verbrecher als Dilettant verlacht wird, ward durch die
Regie von Alex Otto durchaus überzeugend gemeistert.
Ueberwiegt bei Schnitzler zu sehr die artistische Literatur, so
bei Romain Rolland zu sehr die lyrische Novelle. Sein Spiel
führt in die letzte Phase der Revoltion mit dem sich selbst zer¬
fleischenden Konvent. In all dem Seelengrauen steht weißen
Haares das jenseitige, abgeklärte, überhöhte Menschentum des
alten Gelehrten Courvoisier, der alles verlor, seine Freunde, die
Liebe seiner Gattin, die einem geächteten und heimlich zurück¬
gelehrien Girondisten zutell ward Groß und rein wit er beiden
die ihn selbst, den politisch selbst Bedrohten, mit seiner Frau nach
der Schweiz bringen sollten. Aber die Frau, die offen ihre Liebe
zum gehetzten Vallée eingestand, verbrennt ihren Paß. Ihre