II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 329

Fluhri.
S
Die seltsamen Erlebnisse des Marietta=Kindes
Schnitzler in der Staatsoper
Wir haben vor einigen Tagen berichtet, daß
slawien gefunden. In der „Mariborer
sich anläßlich der Premiere von „Marietta“
„Der grüne Kakadu“ als Festvorstellung
Zeitung“ berichtet vermutlich ein „Spezial¬
im Theater an der Wien ein Zwischenfall ereig¬
der „Concordia“
berichterstatter“, daß während der „Marietta“¬
nete, der einem neugeborenen Kinde die Paten¬
Premiere im Theater an der Wien plötzlich
Sehr reizvoll ist das noch immer an
schaft von Oskar Straus einbrachte. Während
schrille Schreckensschreie vom dritten
Schnitzlers nachsichtig zynischem Possen¬
der Vorstellung von „Marietta“ wurde nämlich
Rang erschollen, Rufe nach einem Arzt laut
spiel:
der Theaterarzt abberufen, um bei einer
wurden und Panikstimmung sich der
Es ist kaum richtiges, derb buntes
schwierigen Geburt in der Nähe des anwesenden
Thegters an der Wien pehiich
Theater, kaum die wahre gierige Bravour,
Kind
die federnd zugreift, Spiel und Ernst täu¬
Arzt
schend tauscht, aus einer Laune Leidenschaft
erklärt
werden läßt, aus dem Spaß einer satten
kleinen
Stunde brennende Satire, aus einer hoch¬
werde:
adeligen Marotte rotglühenden Mord.
Es ist fast nur der Gedanke daran, nur
Weg
der Einfall, der damit tändelt, die erlauchte
aber 1
Laune eines genialen Genießers, ein
bereits
51
rascher, scharfer, gleichwohl nachtassiger Blick
in dem
in den Spiegel der Menschenseele.
hier
Darum huscht es, flackernd und flirrend,
Gui
vorüber, ein tanzendes Irrlicht über Ab¬
daß
gründen, die im Dunkel bleiben, beschattet
Tar
von dem ahnungsvoll verbindlichen Lächeln,
auch
mit dem der Dichter einen seiner aufreizend
eine
und beneidenswert unerschütterlichen Aristo¬
kraten am Abend, an diesem Gewitterabend
„des Bastillesturmes scherzen läßt, zwischen
Gebur
zwei Komplimenten: „Ach, Paris hat
Fieber
Die Technik des Geistes ist es, die es
gewichtlos macht,
so schattenhaft, so
20
traumentrückt, nicht die des Theaters. Noch
immer ist es prachtvoll exylosives Theater,
A
Schrei und Schrecken aus erster Hand, blitz¬
blank geputzte Ueberraschung und Ueber¬
jung
rumplung.
Lebens
Ein Schauspieler improvisiert, Furien
Ein
im Nacken, lodernden Blicks und Haares,
elterlich
er habe aus Eifersucht einen Herzog ermor¬
det. Alle, Gäste wie Statisten, der mit Ab= SX.
sicht und Ehrgeiz üblen Spelunke, in der###
sich tout Paris von kostümierten Apachen ein

wenig die Nerven massieren läßt (das gabs
5
wirklich, das gibts heute wieder) glauben es.
Darstell
Denn alle wissen, was nur er nicht weiß,
Vr
erst durch die rasende Hingerissenheit seines
strierten
Publikums erfährt.
ning
Der Dichter hält es, sichtlich, für weniger
Jungen
großen
wichtig, daß der Mord, dann wirklich voll¬
er sich
zogen, sondern daß der gespielte Mord so er¬
steckte u
reifend gespielt werden kann. Es lockt ihn,
schossen,
Leben und Lüge so bizarr zu vermischen, daß
Ja, we
er mitten drin schon fragen darf: Was ist
man M
nun Leben und mehr noch, was ist Lüge?
Hause,
Die Schatten tanzen ineinander. Die
einer P#
Wahrheiten, die gespielten und die echten,
wagen:
wechseln und wirheln. Nur die Gebärde,
nach Be
mit der dies Marionettenspiel aufgezogen
wird, die lässig tadellose Gebärde eines
Machten
Ironikers, der auch von sieben bis zehn ein
mut hal
Dichter ist.
ei
Auf der Bühne ist es Aslan, der als
grü
herzoglicher Dandy von letzter melodischer
vollkomn
Müdigkeit Küssse wie Bonmots zu vergeben
drückt. 2
hat, achtlos bezaubernd.
zu Har¬
Und er schwebt, in der Tat, über dem
während
Jeßn“
spannenden Ereignis in einer parfümierten
einer Pi
Wolke vernichtender Herablassung, funkelnd,
Liliputa
auch mit geschlossenen Lippen, ganz Geist
Kind.
gewordene Grazie.
Er
Es sind nur Minuten, aber sie stehen
acht Spi
in der Geschichte deutschen Theaters. Spürt
mont dre
man hinter solch mühelosem Charme Jahre
goul“,
erbitterten Trainings? Man spürt sie nicht,
„Verli
das beweist die einsame Höhe dieses Schau¬
mit glüh
spielers. Der Schweiß der Edlen ist immer
Geht na#
unsichtbar. Beinahe ist es bedrückend, daß
fällt, ver
niemand mehr außer ihm heute diese blen¬
und „gri
bende und leise Courtoisie eines Charakters] Kabarett