II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 331

9. 3. Der Fruene
Kakadu
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Seite 5.
Nr. 136.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
der Seele, die im Naturalismus unterdrückt, versklavt,
gestellte Stück der Wirklichkeitnur schön wegen seiner Beziehung
getödtet war“. Aber dies Erwachen ist noch kein voll¬
zu einer Idee, deren Existenz er mit dem Materialismus
kommenes. Die halberwachte Seele ist noch nicht zu
leugnet. Aber sei dem, wie ihm wolle, darin hat Lorenz
irgend einem Wissen gelangt. Sie träumt und ahnt. Sie
ganz recht, daß der Naturalismus nicht eine zufällige
ist noch nicht Persönlichkeit, d. h. bewußt, geworden.
Kunstrichtung ist, sondern im innersten Zusammenhang
„Es ist mehr ein Géfühl des Lebendigseins als individuelles
mit dem allgemeinen Wesen seiner Epoche steht. „Auch
Leben.“ Nicht die Menschen handeln in Maeterlincks
die Dinge der Kunst sind, wie sie sein müssen, entsprechend
Dramen, sondern „es“ handelt die Natur, die Weltseele,
dem Zustand der Zeitseele, des Zeit= und Kunstcharakters.“
das Unbewußte.
Die Zeitseele aber, deren Ausdruck der Naturalismus ist,
In ganz anderer Weise suchte „das jüngste Wien“
ist eine vom Materialismus beherrschte, welche den Geist
den Naturalismus zu überwinden. Hier wird die Kunst
nur als ein Produkt der natürlichen (äußeren) Verhält¬
dadurch mit dem Leben fertig, daß sie sich seinen Tiefen und
nisse auffaßt, woraus folgt, daß er auch an denselben
Härten entzieht. Das sucht Lorenz in höchst geistvoller
Fehlern leidet, welche eben jene Anschauung als unzu¬
Weise an Hoffmannsthal, Altenberg und Schnitzler nach¬
länglich erscheinen lassen. Denn es ist unmöglich, daß
zuweisen. Hoffmannsthal fühlt sich vom Leben durch ein
etwas in ästhetischer Hinsicht gut und richtig ist, was in
„goldenes Gitter“ abgeschlossen und betrachtet das Leben
metaphysischer und allgemeiner Hinsicht sich als ein Irr¬
als ein „Spiel“. Darin stimmt ihm Schnitzler bei dessen.
thum darstellt. Wenn der Naturalismus trotzdem Werke
„Grünen Kakadu“ Lorenz mit Recht als ein „überaus¬
zustande gebracht hat, die uns auch ästhetisch zu befriedigen
geistreiches und dabei tiefsinniges, effektreiches und doch
vermögen so liegt das nicht daran, weil sie naturalistisch
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inhaltsvolles Meisterwerkchen moderner Dramenkunst“ be¬
sind, sondern weil die Künstler trotz ihrer abstrakten
zeichnet. Neben Sudermanns „Fritzchen“ ist der „Grüne
naturalistischen Prinzipien thatsächlich noch andere Prin¬
Kakadu“ auch nach meiner Ansicht der bedeutendste
zipien geschaffen haben, und dies ist wiederum nur dadurch
moderne Einakter, den wir besitzen. Hier will ich nur
möglich, daß der eigentliche Prozeß der künstlerischen
noch bemerken, daß der Traumidealismus (Hannele),
Produktion sich jenseits des Bewußtseins vollzieht und
die Märchendichtung, die pantheistische Mystik Maeterlincks
der Fesseln spottet, welche die Künstler ihr in der Gestalt
von abstrakten Prinzipien anzulegen bemüht sind.
und die Auffassung des Lebens als bloßen Spiels, wie
sie die moderne Romantik charakterisiren, sämmtlich darin
Als ein Beispiel für den von ihm behaupteten inneren
übereinstimmen, daß sie die Wirklichkeit als bloße Vor¬
stellung und darum als Schein und Traum auffassen.
führt Lorenz Gerhart Hauptmann an, dem der zweite
Wie der Naturalismus dem Materialismus, so entsprechen
Aufsatz seines Buches gewidmet ist. Bei diesem trifft es
sie einer Weltanschauung, die das Sein nur in der Form
allerdings wohl zu, was Lorenz von den Naturalisten im
allgemeinen behauptet, daß ihnen eine gewisse „individuelle
des Bewußtseins gelten läßt. Eine solche Weltanschauung
Schwächlichkeit“ zu eigen sei. Besonders in den Erst¬
bezeichnet er als „subjektiven Idealismus“, und es
ist nicht ohne Bedeutung, daß auch in der Philosophie
lingsdramen Hauptmanns mit ihren Brutalitäten und
ihren Uebertreibungen tritt dies zutage. Die verletzliche
der Materialismus der 50er und 60er Jahre des ab¬
laufenden Jahrhunderts durch den Rückgang auf Kant und
Seite des Dichters reagirt allzu heftig und gibt die Ein¬
die Wiedererneuerung von dessen subjektiven Idealismus
drücke ebenso heftig wieder von sich. Als sein erstes voll¬
abgelöst ist. Es zeigt sich hier ein vollkommener Parallelis¬
gültiges Stück betrachtet Lorenz „Die Weber“ an dem er
das lyrische Moment mit Recht hervorhebt. Am klarsten
mus zwischen Kunst und Weltanschauung, und wer den
philosophischen subjektiven Idealismus nicht für der
jedoch entfaltet sich die Doppernatur des Dichters als
Weisheit letzten Schluß halten kann der wird auch in der
Lyriker und Naturalist in „Hannele“. Weniger Bewunde¬
rung hat Lorenz für die „Versunkene Glocké“, er vermißt
modernen Romanti# nur eine einseitige und überwindungs¬
an ihr „Kraft und Tiefe“, worin ich ihm nur zustimmen
bedürftige Kunstrichtung erblicken müssen. Die Wirklichkeit
kann. „Fuhrmann Henschel“ dagegen gilt ihm als das
erweist sich zu real, um bei ihrer Auffassung als eines
reifste und vollendetste Erzeugniß naturalistischer Kunst,
bloßen subjektiven Scheins stehen bleiben und ein egoistisches
und er sucht die starke Wirkung dieses Dramas aus der
Spiel mit ihr treiben zu können. „Wir harren des Menschen
Ruhe, Sicherheit, Treue und Anschaulichkeit zu erklären,
und des Künstlers der auch in des Lebens Tiefen zu sinken
womit der Dichter seine Personen hingestellt hat. In
und seine Häßlichkeit zu erfassen vermag, um dann doch
ihm ist „die Meeresstille des Gemüths“, wie Schopen¬
triumphirend darüber emporzusteigen. Es ist das Ver¬
hauer es genannt hat. Der Dichter ist in diesem Drama
ehrungswürdige an Maupassant, daß er im ehrlichen,
dazu gelangt, das Leben, zwar nicht zu erobern und zu
redlichen Kampf mit dem Leben als einer realen Macht
gestalten, wohl aber es zu ertragen und die ihn um¬
gerungen hat, wennschon er seinen Wagemuth mit dem
gebenden Dinge und Verhältnisse mit Schärfe zu betrachten
Preise des eigenen Daseins hat bezahlen müssen.“
und mit Ruhe wiederzugeben. Aber es gibt auch Künstler,
Maupassant ist Naturalist, und zwar der sinnlichste,
die hiezu nicht imstande sind, die fliehen vor der Welt,
aufnahmefähigste von Allen. Seine Erotik ist nur ein
vor dem, was um sie ist, und sich ganz in sich selbst zu¬
Stück von der allumfassenden und allgemeinen Sinnlich¬
rückziehen. Eine solche Künstlerseele, die derartige
keit, die zum Wesen des naturalistischen Künstlers gehört.
Charaktere darzustellen liebt, ist Knut Hamsun. Ihn
Aber er hat zugleich eine starke Neigung zum Uebersinn¬
interessirt nur das psychologische Problem, der individuelle
lichen und Mystischen. Wie ist diese Vereinigung von Natu¬
Seelenzustand. Seine Kunst bedeutet die Loslösung vom
ralist und Spiritualist in Maupassant zu begreifen? Das
Naturalismus. Sie streift alles Materielle, alles Aeußer¬
ist die Frage, die Lorenz in dem Aufsatz über „Das
liche, das zu ertragen sie zu schwach ist, ab und wird
Problem Maupassant“ sich zu beantworten vornimmt. Er
ganz Seele, ganz Hauch. Der Materialismus schlägt hier
findet ihre Antwort in dem Gegensatz zwischen dem
um in den Spiritualismus und Psychismus. Aber
Menschen und dem Künstler Maupassant, von denen jener
daraus ergibt sich nun eine neue Kunst die nicht mehr
sich mit Heftigkeit an das Leben hingibt oder dem Auprall
die natürliche Wirklichkeit und Aeußerlichkeit der Dinge,
der Leidenschaften erliegt, während dieser ihnen in der
sondern vielmehr deren innerstes Sein, die Seele derselben
Welt der Phantasien und Ideen einen neuen zügelnden
zur Darstellung zu bringen sucht. Der Hauptvertreter
Gebieter erschafft, der im übrigen in Einsamkeit ver¬
dieser Richtung ist Maeterlinck. Lorenz nennt diesen
bleibt und daran zugrunde geht. Ein religiösgläubiger
mystischen Dichter neuromantischer Schicksalstragödien einen
Dichter würde jene Einsamkeit durch den Ausblick auf
Poeten von eigenartigem Reiz und besonderem Zauber,
den Himmel überwunden haben. Es ist aber charakte¬
der zwar nicht über dunkle Geheimnisse der Welt auf¬
ristisch für Maupassant, daß bei ihm der Himmel gänz¬
klärendes Licht zu gießen vermag, der aber doch auch
lich fehlt. Ohne doch etwas wie ein göttliches Wesen ent¬
wohl kaum dem Leben, aber sicherlich der Literatur unsrer
behren zu können, befindet er sich im Zustand der voll¬
Tage neue Stimmungen einzufügen weiß". Seine Kunst
ständigsten Gottentfremdung; darin liegt der psychologische
bedeutet, wie gesagt, „die Wiedergeburt, das Erwachen Grund seines Wahnsinns. Andere haben den Weg zur
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