II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 339

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ARTHUR SCHNITZLER.
KLEINE STUDIEN UND ERINNERUNGEN.
DER GRONE KAKADU. VON JULIUS BAB.
In Erkenntnis und Bewertung von Kunstwerken darf, wenn anders
wir Kritiker sind, das heißt Menschen, die ihre Empfindungen
nachgewissen geistigen Wertbegriffen sondern und messen, Liebe

und Schätzung nicht immer zusammengehen — weil wir mit
unseren innersten Wertgefühlen über unseren privaten Sentiments stehen,
weil der Kritiker kein Beplauderer seiner momentanen Menschlichkeiten,
sondern der Nachbildner seiner leitenden Idee vom Menschlichen ist. Auch¬
kann es geschehen, daß man den Entwicklungswert eines Autors in anderen
Leistungen stärker findet, als in seinen absolut besten Schöpfungen, das
heißt, daß das eine Werk an sich die höhere Lebenskraft und ein anderes
doch die wichtigeren Keime für künftiges Leben enthält. All dies voraus¬
geschickt, möchte ich aussprechen: das beste, stärkste und lebensfähigste
Werk des Dramatikers Arthur Schnitzler ist „Der grüne Kakadu“.
Meine Liebe gehört vielleicht mehr den vorjüngsten Gesellschafts¬
dramen Arthur Schnitzlers; im „Zwischenspiel“, im „Einsamen Weg“
klingt so viel von Suchen und Verfehlen, Sehnen und Entsagen, leichtem
Träumen und schwerem Erwachen unsrer Gegenwartsexistenz an, daß wir
uns der schmerzlichen Süße dieses Tones gern gefangen geben, unbe¬
kümmert um die dramatische Gebrechlichkeit, die kulturelle Vergänglichkeit
der Gebilde, aus denen er herausklingt. Schnitzlers bleibenden Anteil aber
an der Befruchtung und Bereicherung unserer dramatischen Kunst, seine
Fähigkeit, dem Dialog neue, zarte, zwischen Schwermut und Ironie,
Träumerei und Skepsis vibrierende Zwischentöne abzugewinnen, diese Fähig¬
keit ist noch reiner als in jenen Stücken größeren Umfanges in seinen
kleinen Dialogketten enthalten: „Reigen“ und „Anatol“ sind von allen
Schnitzlerschen Werken für die Entwicklung der deutschen Bühnenstils
vielleicht die wichtigsten. „Der grüne Kakadu“ aber hat mehr stoffliches
Gewicht als jene spielerischen Szenen, mehr dramatisch-geistige Spannung
als die größeren Komödien des Dichters, mehr theatralische Konzentration
als irgend ein Produkt der neueren deutschen Dichtung — und deshalb halte
ich ihn für Arthur Schnitzlers lebenskräftigste Bühnenarbeit.
Die Geschichte der Kunst kennt kein „zufälliges“ Gelingen; die Form
schließt sich nur um den bedeutenden Inhalt — die schönste Frucht ist hier
immer Gefäß des lebenhaltigsten Kernes. So ist auch dem Dramatiker
Schnitzler diese vollkommene Formgebung nur an einem Motiv geglückt, das
eine ungewöhlich reine und tiefe Spiegelung seines innersten Problems be¬
deutete. Durch alle seine Schriften geht die Frage: „Was ist Wahrheit?“ —
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