41
Fruene
Kakadu
box 15/4
9.3. Derae
504
Bühne und Welt.
und „Der grüne Nakadn“ von Arthur Schnitzler und die dramatischen Gedichte von Hugo von
Hofmannsthal: „Die Hochzeit der Sobeide" und „Der Abenteurer und die Sängerin". Die
litterarische Bewegung der letzten Jahre drängt, sichtlich sogar für den litterarisch Blinden, hinaus
aus dem Naturalismus, seiner Dramaturgie und seinen Nachzüglern.
Die Theorie von dem „Ausschnitt aus dem Leben“ erweist sich als unfruchtbar für die
Kunst. Diese ängstlich abgezirkelten Milienbilder, diese pedantischen „forderungen von Wirklichkeit,
dieser kleinliche Streit um Monolog oder Nichtmonolog auf der Bühne — man hat sie satt be¬
kommen. Sie führen in eine Sackgasse, bei der die Kunst erfriert oder sich verzehrt. Goethe
rühmte von der echten Poesie, daß sie uns wie „im Luftballon“ über diese Erde erhebe, zu einer
freien Umschau über das ganze Leben. Nach dieser Umschau, nach dieser Erhebung, nach dieser
Weite des Gesichtskreises in der Unnst sehnen wir uns. Alle Achtung vor der Gewalt und
Junigkeit des Gemüts, mit der Gerhart Hauptmann uns seine Menschen und ihre Justände
vor Angen stellt; dem Banne dieser Gemütstiefe wollen und können wir uns nicht entziehen.
Aber es ist uns doch immer dabei, als wären uns Schenklappen an die Angen gebunden, die
uns zwingen, just nur auf das Stückchen Welt und Leben zu sehen, das er uns mit übermächtiger
Plastik vor Angen stellt. Man atmet schwer, bedrückt und sehnt sich nach Freiheit und Erhebung.
In letzter Instanz kann die Kunst doch nur gleichnisweise sprechen. Die Gestalten der Poesie
gewinnen umsomehr Märme und Interesse, je bedeutsamer sie für alle menschliche Existenz sind.
Hat das Spmbolisieren menschlichen Thuns seine Grenzen in der Schattenhaftigkeit Maeterlinck¬
scher Unnst erreicht, so hat das Individualisieren der dramatischen Figuren auch seine Grenzen
dort, wo sie aufhören ein Stück allgemein menschlicher Natur darzustellen. Die äußerste In¬
dividualisierung führt überhaupt aus der Knnst hinaus zur Photographie oder zur Geschichts¬
schreibung. Und diese äußerste Grenze hat Hauptmann eben im „Fuhrmann Heuschel“ erreicht.
Weiter gehts nicht mehr.
Wäre er nicht von der naturalistischen Dramaturgie befangen, so hätte er auch hier ein
Werk schaffen können, das über die naturalistische Poesie hinausgeführt hätte. Denn die Cragik
des Fuhrmanns besteht darin, daß dieser äußerlich so rauhe, innerlich so zarte Mann in eine
Situation gerät, der er nicht gewachsen ist. Henschel ist an eine eintönige und einfache Lebens¬
ordnung gewöhnt. Seine gute, gescheite Fran hat bisher immer für ihn gesorgt; seine Geschäfte
sind von der einfachsten Art und erfordern nicht gar viel Witz und Geist; seine Rede ist ja — ja,
nein — nein. Er ist gewöhnt, mit Pferden umzugehen; diese Tiere sind gutmütig, wenn sie
ihre Ordnung haben. Mit gewitzten Menschen umzugehen hat dieser breitspurige, große, derbe
Meusch nicht gelernt, weil er wenig Gelegenheit dazu hatte. Ein Elefant in Menschengestalt:
stark in der Körperlichkeit, zart im Gemüte, aber bescheiden ausgestattet im Verstande. Kommt
solch ein Mensch aus seiner Ordnung heraus, dann ist er hilflos, ein Fisch im Trockenen, und
kennt sich in der Welt nicht aus. Es ist ziemlich gleichgiltig, ob Heuschel darum den Kopf ver¬
liert, weil er seiner verstorbenen Fran das Versprechen gegeben, Hanne nicht zu heiraten, oder
darum, weil er, der anfänglich über die bewegte Vergangenheit Hannes so leicht hinwegging,
sich ob ihrer späteren Trenlosigkeit das Leben nimmt. Angesichts der Bühne empfinden wir keine
Lücke in der Motivierung. Die Verwirrung der Gefühle verträgt dieser kleine Meusch überhaupt
nicht; an dieser Verwirrung zerschellt Heuschel, die ist zu viel für ihn.
Aber diese Tragik
Heuschels hat Hauptmann doch nicht so recht klar herausgearbeitet, wie er hätte thun können
und sollen. Es ist eine Tragik, die Grillparzer ganz besonders liebte: dieses Mißverhältnis
zwischen Können und Sollen, dieses Nichtgewachsensein dem Schicksal. Bankbau, der treue
Diener seines Herrn, ist ein tragischer Mensch von dieser Art. Der große österreichische Dichter
hat aber zu seinem tragischen Helden eine wahrhaft königliche Gestalt gestellt, der das leicht
fällt, woran Bankbau scheitert. Grillparzer hat mit Nachdruck und in der künstlerischen Form
des Kontrastes den eigentümlichen Gehalt von Bankbaus Tragik zur Anschauung gebracht (von
der Fülle dramatischen Lebens, das sonst dieses außerordentliche Werk bietet, will ich hier
natürlich nicht reden), und durch das Kunstmittel des Kontrastes brachte er in seinem Werke die
ganze menschliche Natur zur vollen Anschauung. Dieses Bedürfnis nach Darstellung der ganzen
Menschheit in Einem Werke hat aber Hauptmann nicht, der uns mit der Kellerwohnung Henschels
auch den Ausblick auf die übrige Außenwelt so ziemlich absperrt, und daher rührt die ängstlich
beeugende Wirkung seines „Fuhrmann Heuschel". Arthur Schnitzler hat uns im „Grünen
Nakadu“ auch in ein Kellerlokal geführt. Aber merkwürdig! Wir schauen da doch durch die
Wände durch! Wir glauben das ganze Paris von jenem welthistorischen Tage des Bastillen¬
Fruene
Kakadu
box 15/4
9.3. Derae
504
Bühne und Welt.
und „Der grüne Nakadn“ von Arthur Schnitzler und die dramatischen Gedichte von Hugo von
Hofmannsthal: „Die Hochzeit der Sobeide" und „Der Abenteurer und die Sängerin". Die
litterarische Bewegung der letzten Jahre drängt, sichtlich sogar für den litterarisch Blinden, hinaus
aus dem Naturalismus, seiner Dramaturgie und seinen Nachzüglern.
Die Theorie von dem „Ausschnitt aus dem Leben“ erweist sich als unfruchtbar für die
Kunst. Diese ängstlich abgezirkelten Milienbilder, diese pedantischen „forderungen von Wirklichkeit,
dieser kleinliche Streit um Monolog oder Nichtmonolog auf der Bühne — man hat sie satt be¬
kommen. Sie führen in eine Sackgasse, bei der die Kunst erfriert oder sich verzehrt. Goethe
rühmte von der echten Poesie, daß sie uns wie „im Luftballon“ über diese Erde erhebe, zu einer
freien Umschau über das ganze Leben. Nach dieser Umschau, nach dieser Erhebung, nach dieser
Weite des Gesichtskreises in der Unnst sehnen wir uns. Alle Achtung vor der Gewalt und
Junigkeit des Gemüts, mit der Gerhart Hauptmann uns seine Menschen und ihre Justände
vor Angen stellt; dem Banne dieser Gemütstiefe wollen und können wir uns nicht entziehen.
Aber es ist uns doch immer dabei, als wären uns Schenklappen an die Angen gebunden, die
uns zwingen, just nur auf das Stückchen Welt und Leben zu sehen, das er uns mit übermächtiger
Plastik vor Angen stellt. Man atmet schwer, bedrückt und sehnt sich nach Freiheit und Erhebung.
In letzter Instanz kann die Kunst doch nur gleichnisweise sprechen. Die Gestalten der Poesie
gewinnen umsomehr Märme und Interesse, je bedeutsamer sie für alle menschliche Existenz sind.
Hat das Spmbolisieren menschlichen Thuns seine Grenzen in der Schattenhaftigkeit Maeterlinck¬
scher Unnst erreicht, so hat das Individualisieren der dramatischen Figuren auch seine Grenzen
dort, wo sie aufhören ein Stück allgemein menschlicher Natur darzustellen. Die äußerste In¬
dividualisierung führt überhaupt aus der Knnst hinaus zur Photographie oder zur Geschichts¬
schreibung. Und diese äußerste Grenze hat Hauptmann eben im „Fuhrmann Heuschel“ erreicht.
Weiter gehts nicht mehr.
Wäre er nicht von der naturalistischen Dramaturgie befangen, so hätte er auch hier ein
Werk schaffen können, das über die naturalistische Poesie hinausgeführt hätte. Denn die Cragik
des Fuhrmanns besteht darin, daß dieser äußerlich so rauhe, innerlich so zarte Mann in eine
Situation gerät, der er nicht gewachsen ist. Henschel ist an eine eintönige und einfache Lebens¬
ordnung gewöhnt. Seine gute, gescheite Fran hat bisher immer für ihn gesorgt; seine Geschäfte
sind von der einfachsten Art und erfordern nicht gar viel Witz und Geist; seine Rede ist ja — ja,
nein — nein. Er ist gewöhnt, mit Pferden umzugehen; diese Tiere sind gutmütig, wenn sie
ihre Ordnung haben. Mit gewitzten Menschen umzugehen hat dieser breitspurige, große, derbe
Meusch nicht gelernt, weil er wenig Gelegenheit dazu hatte. Ein Elefant in Menschengestalt:
stark in der Körperlichkeit, zart im Gemüte, aber bescheiden ausgestattet im Verstande. Kommt
solch ein Mensch aus seiner Ordnung heraus, dann ist er hilflos, ein Fisch im Trockenen, und
kennt sich in der Welt nicht aus. Es ist ziemlich gleichgiltig, ob Heuschel darum den Kopf ver¬
liert, weil er seiner verstorbenen Fran das Versprechen gegeben, Hanne nicht zu heiraten, oder
darum, weil er, der anfänglich über die bewegte Vergangenheit Hannes so leicht hinwegging,
sich ob ihrer späteren Trenlosigkeit das Leben nimmt. Angesichts der Bühne empfinden wir keine
Lücke in der Motivierung. Die Verwirrung der Gefühle verträgt dieser kleine Meusch überhaupt
nicht; an dieser Verwirrung zerschellt Heuschel, die ist zu viel für ihn.
Aber diese Tragik
Heuschels hat Hauptmann doch nicht so recht klar herausgearbeitet, wie er hätte thun können
und sollen. Es ist eine Tragik, die Grillparzer ganz besonders liebte: dieses Mißverhältnis
zwischen Können und Sollen, dieses Nichtgewachsensein dem Schicksal. Bankbau, der treue
Diener seines Herrn, ist ein tragischer Mensch von dieser Art. Der große österreichische Dichter
hat aber zu seinem tragischen Helden eine wahrhaft königliche Gestalt gestellt, der das leicht
fällt, woran Bankbau scheitert. Grillparzer hat mit Nachdruck und in der künstlerischen Form
des Kontrastes den eigentümlichen Gehalt von Bankbaus Tragik zur Anschauung gebracht (von
der Fülle dramatischen Lebens, das sonst dieses außerordentliche Werk bietet, will ich hier
natürlich nicht reden), und durch das Kunstmittel des Kontrastes brachte er in seinem Werke die
ganze menschliche Natur zur vollen Anschauung. Dieses Bedürfnis nach Darstellung der ganzen
Menschheit in Einem Werke hat aber Hauptmann nicht, der uns mit der Kellerwohnung Henschels
auch den Ausblick auf die übrige Außenwelt so ziemlich absperrt, und daher rührt die ängstlich
beeugende Wirkung seines „Fuhrmann Heuschel". Arthur Schnitzler hat uns im „Grünen
Nakadu“ auch in ein Kellerlokal geführt. Aber merkwürdig! Wir schauen da doch durch die
Wände durch! Wir glauben das ganze Paris von jenem welthistorischen Tage des Bastillen¬