II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 346

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Der
Fruene Kakadu
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Bühne und Welt.
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liche Doesie läßt sich ohne eine große, allgemeine Weltanschanung
nicht schaffen.
Auch der „Fuhrmann Heuschel“ dürfte nach meiner stillen
Ueberzeugung ein „Patenstück“ haben, nämlich in Philipp Langmanns
„Bartel Turaser“, der seinerseits sichtlich unter dem Einflusse der
sozialen Poesie Hauptmanns in den „Webern“ entstanden ist. Lang¬
mann hat in „Bartel Turaser“ die Proletariertragödie geschrieben,
kein soziales Tendenzstück, sondern eine wirklich poetische Tragödie.
Der Kouflikt Bartels mit seinem Gewissen ist allgemein menschlich,
rein sittlich. Wer wollte eine gewisse Verwandtschaft des Fuhrmanns
Heuschel mit dem mährischen Färber verkennen? Der Fuhrmann¬
tragödie fehlt allerdings jede soziale Färbung oder Cendenz. Aber
die Poesie des Kleinen im Geiste und Großen im Herzen ist beiden
Tragödien gemeinsam, und mir kann es nicht aus dem Sinn, daß der
„Bartel Turaser“ im gleichen „Paten“=Verhältnis zum „Heuschel“
stehe wie die früher genannten Stücke zu den älteren Werken
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Hauptmanns. Der wichtigste und erfolgreichste Fortschritt, den
Rudolf Rittner als Fuhrmann Henschel.
Hauptmann im jüngsten Werke machte, ist der strenge Aufbau einer
einheitlichen dramatischen Handlung. Die Theorie von dem Neben¬
einander im Drama, von den Massen, die den einzelnen „Belden“ im neuen Drama ersetzen
sollen, hat er schweigend durch die That über Bord geworfen. Aber in dieser Wiederaufnahme
der alten Form ist ihm Langmann doch vorausgegangen, und warum soll sein Erfolg nicht auch
mitgewirkt haben, den größeren schlesischen Dichter mit zu bestimmen? Die markige Kraft der
Charakteristik, die Tiefe des Gemüts und vollendete Herrschaft über die Form hat freilich der
Dich er der „Weber“ vor Langmann voraus. Aber die großen Scenen Albinens, diese leiden¬
schaftlich und hi# reißend bewegten Ausbrüche eines gequälten Herzens machen ihn doch auch
Hauptmann ebenbürtig.
.Wenn ich all dies, was ich eben sagte, wieder überdenke, muß ich wohl befürchten,
den Schein einer inneren Verwandtschaft mit dem — liebenswürdigen Gegner Hauptmanns,
Conrad Alberti auf mich geladen zu haben. Und doch ist nichts weniger meine Absicht, als die,
die ursprüngliche dichterische Kraft Hauptmanns verkannt zu haben. Nur das Streben nach
einem Begriff seiner dichterischen Persönlichkeit leitet mich; diesen Begriff, diese zusammenfassende
Anschauung konnten mir die vorhandenen Biographien bisher nicht bieten. Ist Hauptmann so
reich und groß, zeigt er sich in jedem seiner Werke so protensartig neu, daß es unmöglich wäre,
zu einem solchen Begriff zu gelangen? Ich verdanke ihm Stunden großen dramatischen Genusses,
wenn ich mich beispielsweise seines „Viberpelzes“ erinnere. Die Sprache seiner „Versunkenen
Glocke“ erscheint nicht bloß mir so herrlich schön, als hätten sich alle geheimnisvollen Quellen
der deutschen Sprache aufgethan und sprudelten in entzündender Frische und Klarheit. Die
Gattenscenen in dieser Dichtung und im „Fuhrmann“ haben mich jedesmal mächtie ergriffen,
als ich sie las oder spielen sah. Hanneles trauriges Schicksal kann
doch keine fühlende Seele ungerührt lassen... Aber trotzdem:
es fehlt mir etwas, und nicht bloß mir in der gesamten Dichtung
Hauptmanns, was mir die Begeisterung für ihn nicht rückhaltlos
machen kann. Dieses Etwas bieten mir die neuesten Dichtungen
Schnitzlers und Hofmannsthals, so vielfach sie auch im Kaliber
hinter der Doesie Hauptmanns zurückstehen mögen. Das ist der
über das unmittelbar Dargestellte hinausführende geistige Gehalt
in dieser neuesten Doesie; sie wird nicht durch das sichtbare Bild
erschöpft, es steht noch eine Unendlichkeit dahinter — die weite
Welt der Ideen. Gelangt Hauptmann zu dieser Kunst, dann ist
ihm das Allerhöchste zuzutrauen, dann vereinigt er alles, was
man von der Doesie füglich erwarten darf.
Die Darstellung des „Fuhrmar“ Heuschel“ im Burgtheater
ist die liebevollste, die man sich denken kann. Die Nachahmung der
Wirklichkeit geht so weit, daß man sogar den Duft des Sauerkrauts
auf dem bescheidenen Mittagstische des Heuschel im ganzen Parterre
Eise Lehmann als Hanne.