II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 379

potencirtesten Maße vorhanden. Dem Verfasser haben offenbar
die drei Einacter Sudermann's, die durch ein allerdings
den Collectivtitel „Morituri“ miteinander im Zusammenhang
gebracht sind, als Vorbild gedient, das Gemeinsame seiner
Stücke scheint ihm aber selbst so wenig zum Bewußtsein ge¬
kommen zu sein, daß er von der ursprünglichen Absicht, dem
Beispiel Sudermann's vollständig zu folgen, abgegangen ist.
Wenn wir den Verfasser richtig verstanden haben
wir gestehen die Möglichkeit eines Irrthums ruhig
ein — wollte er zeigen, wie schwer oft die Grenzen
zwischen Wahrheit und Komödie im menschlichen Leben
zu unterscheiden sind, und wie sehr manchmal Wirklich¬
keit und Phantasie ineinander verschwimmen. Schnitzler hat,
sowie Sudermann, räumlich und zeitlich weit auseinander¬
liegende Stoffe gewählt, um uns in überaus gekünstelter
Weise seine Absicht mitzutheilen. Im ersten der drei Einacter
hat er den Geist des seligen Theophrastus Paracelsus, des be¬
rühmten Wunderarztes des XVI. Jahrhunderts, beschworen, der
die Frau eines Baseler Waffenschmiedes, die er als Student¬
geliebt hatte und deren Gatten er nun einen bösen Streich
spielen will, in eine Art hypnotischen Schlafes versenkt. Er
suggerirt ihr, daß sie mit einem im Hause ver¬
kehrenden Junker ein Schäferstündchen hatte und
sie glaubt daran auch nach ihrem Erwachen. Der bestürzte
Gatte bittet nun den Paracelsus, sein Weib aus ihrem irrigen
Glauben zu reißen. Sie versinkt neuerlich in Schlaf und erhält
von Paracelsus den Auftrag, nach ihrem neuerlichen Erwachen
die Wahrheit und nur die Wahrheit zu sprechen. Was ge¬
schieht? Die ehr= und tugendsame Meisterin verräth nicht nur,
daß sie im Begriffe war, dem feurigen Liebeswerben des
Junkers wirklich zu unterliegen, sondern sie erzählt auch, daß
Paracelsus die Sehnsucht ihrer Jugend gewesen ist. Meister
Waffenschmied zieht aus dieser Episode die Lehre, von
nun an weniger vertrauensselig und desto wachsamer zu sein. —
Der zweite der Einacter spiel in unserer Zeit in einer
Sommerfrische nächst Wien. Professor Pilgram hat soeben
seine um zwanzig Jahre jüngere Gattin begraben. Er ist
seelisch wenig erschüttert, denn seit langer Zeit ist sie ihm nur
Hausgenossin und Gefährtin, sonst nichts gewesen. Er wußte,
daß sie einen jungen Arzt liebte und er hat dazu geschwiegen.
Nun, nach ihrem Tode erfährt er erst, welcher Art dieses Ver¬
hältnis gewesen ist. Der junge Arzt ist seit zwei Jahren ver¬
lobt und trotzdem seine Frau dies wußte, blieb sie doch seine
Geliebte. Was der Professor für ernste Neigung
gehalten und daher stillschweigend geduldet hatte, war
blos Sinnengenuß und leichtfertige Komödie gewesen. Der
nun erst recht betrogene Gatte wappnet sich mit Resig¬
nation und sucht Vergessen in einer Reise. Das dritte
Stück führt den weithergeholten Titel „Der grüne Kakadu“
und nannte sich „Groteske“ Hier kommt das, was uns
Schnitzler sagen wollte, am sinnfälligsten zum Ausdruck. Wir
slehen am Vorabende der großen französischen Revolution des
Jahres 1789. Alles ist bereits für die Erhebung der Massen
vorbereitet und es fehlte nur noch der „zündende Funke“. In
einer Kellerwirthschaft, deren Besitzer ein gewesener Theater¬
director ist, verkehrt die ehemalige Truppe desselben in der
Maske von allerlei lichtscheuem Gesindel, das auch die
aufreizendsten Reden führt. Das Publikum dieser merk¬
würdigen Vorstellungen sind adelige Stutzer, die es
angenehm gruselt, wenn sie ihren Stund und ihre Privilegien
von den Komödianten schmähen hören. Einer derselben, der
erst Tags zuvor eine der schönsten, aber auch der männer¬
tollsten seiner Colleginnen geheiratet hat, stürzt herein und gibt
vor, einen jungen Herzog ermordet zu haben, den er in téte
### téte mit seiner Frau überraschte. Er spielt diesmal so
vorzüglich, daß Alle, auch die Komödianten glauben, er
spreche die Wahrheit. So erfährt er, daß der Herzog
wirklich der Geliebte feiner Frau ist und als dieser den
Keller betritt, trifft ihn der Dolch des Eifersüchtigen. Der
Komödiant wird zum wirklichen Mörder und seine Collegen
werden zu wirklichen Revolutionären, als es bekannt wird,
daß die Menge die Bastille erstürmt hat. Damit ist der Abend
zu Ende und die meisten der Theaterbesucher gehen mit einem
ungelösten Räthsel nach Hause. Die Freunde Schnitzler's aber
sagen wieder einmal, wohl in erster Linie deshalb, weil sie ihn
nicht verstanden haben: „Gott, wie geistreich!“ ... Die Auf¬
nahme der Novitäten war übrigens, wenn man von
dem lärmenden Applaus von ein paar Dutzend Enthusiasten
es gibt auch Schnitzler=Enthusiasten
absieht,
eine ziemlich kühle. Auch die Darstellung ließ Manches zu
wünschen übrig. Wir wollen summarisch vorgehen. Die Damen
[Schratt, Mitterwurzer, Witt, Bleibtreu
und Häberle verdienen volles Lob, ebenso die Herren
[Zeska, Thimig, Gimnig und Römpler. Herr
Sonnenthal entsetzte uns wieder einmal durch
seine gurgelnden Laute, ebenso Herr Robert durch seine
heisere, konlose Stimme, die einer Movulatlon gänzlich unfähig
ist. Herr Frank sieht schmuck aus. Das ist aber auch Alles,
was man zu seinem Lobe sagen kann
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