II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 387

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9.4. Der gruene KakaduZuklus
Mnser wiener Correspondent schreibt uns über
die Fstern (Mittwoch) im Burgtheater zur ersten
Aufführung gelangten drei Einacter von Arthur
sSchnitzler: „Paracelsus“
„Die Ge¬
ffährtin“ — „Der grüne Kakodu“:
Die allererste Bekanntschaft der drei Einacter
haben wir nur dem Umstande zu danken, daß einer
derselben („Der grüne Kakadn“) von der berliner sdaß sie ihn bitten würden, sie freizugeben. Tief
Censur mit dem Aufführungsverbot belegt wurde.fleuchtei dieser Stoiker hinein in die Komödie seiner
Der Zusall und nicht wie bei „Morituri“ die Absicht feigenen Ehe. ... Und mitten in der Unterredung
hat die drei Stücke zusammengekoppelt, in denen man mit der Freundin der Verblichenen erscheint, direct
alsch vergebens irgendwelche Geneinsamkeit suchen vom Bahnhof kommend, Doctor Hausmann, dem der
wird, es wär denn, daß sie in den verschiedensten Professor ganz unbefangen gegenübertritt. Er hat
Milieus immer auf andere Art die Charakterschwäche förmlich Mitleid mit ihm, und man wartet jeden
der Männer und die Sündhaftigkeit des schwachenAugenblick, daß er — der Wittwer —
ihm — dem
Geschlechtes zu den verschiedensten Epochen aufgezeigt Junggesellen — condolirt. Doctor Hausmann ist¬
werden.
faber in ganz anderer Stimmung als der Professor¬
In „Paracelsus“ bersetzt uns der Dichter in serwartet hatte. Des Räthsels Lösung folgt sogleich:
das Basel des sechzehnten Jahehunderts. Von den Hausmann macht seinem Freunde bei diesem etwas¬
Wundern, die der geniale Heilkünstler vollbracht, ungewöhnlichen Anlasse seine Verlobungsanzeige und
widerhallt die ganze Stadt. Auf dem Marktplatze,
fügt bei, daß er seine Braut seit zwei Jahren
allwo er auf einem hohen Gerüste coram publicos liebe. Nun vollzieht sich eine tiefe Wandlung
ordinirt, drängt die Menge, und die auf ihre Gelehr=n dem Wesen des Professors. Er ist entrüstet, das
samkeit sich nicht wenig zu gute haltenden Stadtärzte 1Hausmann so herzlos an der Todten gehandelt und
bersten vor Galle ob der kühnen neuen Heilmethoden hält ihm eine
— allerdings auf der Messerspitze
dieses Eindringlings, der ja in der That so eine Art balancirende — Standrede, in der er u. a. sagte
Secessionist der ärztlichen Wissenschaft war, die in der
er „wäre an ihr Grab mit ihm gegangen, wie wenn¬
Reformationsperiode noch sehr im Argen lag.
es seine Geliebte wäre, die da draußen läge, aber¬
Theophrastus Bombastus Hohenheim, genannt Para=Hausmann habe sie zu seiner Dirne gemacht, das
celsus, war der Erste, der in der Mediein von den über¬
Haus mit Schmutz und Lüge gefüllt.
“ und darum
kommenen Bücherlehren der Alten zur Natur und zur
jage er ihn hinaus ... Und da Hausmann sich ent¬
unmittelbaren Auschauung zurückging. In der jüngsten ffernt hat, versetzt die Freundin dem Professor nocht
Dramatisirung des erst spät ane kannten und geseinen letzte Schlag indem sie ihm sagt, Eveline habe
würdigten zu seiner Zeit lange als Kurpfuscher und sum die Verlobungsabsicht Hausmanns gewußt und
Charlatan verschrienen Arztes — den zuletzt Bauer
ihn trotzdem geliebt mit Leib und Seele ... Der
und Wittmann in der Operette „Die sieben Schwaben“
Professor, aus allen Himmeln gefallen, verläßt mit
allerdings mehr parodistisch auf die Bühne gebracht
Abschen die Stätte, die ihm so grausame Enttäuschun¬
haben — macht sich der Dichter auch nach dem be¬
gen gebracht nicht ohne zuvor in einem Anflug von
rühmten Moliére'schen Vorbilde über die Aerzte der
Schadenfreude den Kranz, den kurz zuvor Hausmann
damaligen Tage weidlich lustig. Doch nicht darin
gesandt, auf Evelinen's Schreibtisch gelegt zu haben.
liegt der Kernpunkt des kleinen Dramolets. Paracelsus
Der sonderbare Heilige, Professor Pilgram, ist
kommt durch eine sehr geschickt gesonnene Intrigue
jedenfalls eine der eigenartigsten Charaktere, welche
im Hause des Waffenschmiedes Cyprian, der in ihm
die Phantasie eines modernen Dichters noch hervor¬
einen Bekannten aus seiner Studienzeit wieder¬
gebracht hat. Auch in diesem blitzartig vorüber¬
gefunden und Paracelsus zu sich als Gast gebeten
huschenden, stark al tresco gezeichneten Stückchen ist
hat, in die Lage, den Beweis zu erbringen, daß seine
die Technik eine geradewegs mustergiltige.
Kunst nicht auf Lug und Trug aufgebaut ist. Des
„Der grüne Kakadu“ ist eine kühne, farben¬
Waffenschmiedes Frau und Paracelsus haben sich einst¬
satte, beispiellos freimüthige Schilderung aus der
mals platonisch geliebt, und sie nahm statt des armen
sturmbewegtesten Periode der französischen Revolution.
Bruder Studio den ungeliebten Waffenschmied, für
Schauplatz der Handlung: die Spelunke zum grünen
dessen Schüler Anselm sie nun eine stille Schwärmerei! Kakadu, die einem ehemaligen Theaterdirector,
im Busen trägt, der sie mit Liebesanträgen verfolgt,
Prospère, gehört, der ein glänzendes Geschäft macht,
zum tiefen Kummer ihrer Schwägerin, der Jungfrau
weil er auf den famosen Einfall gerathen ist, die Mit¬
Cäcilia, die Anselm liebt. Paracelsus scharfem Blick
glieder seiner Truppe statt auf der Bühne in seinem
wird mit einer allerdings kaum glaubwürdigen blitz¬
Schankzimmer tragiren zu lassen und zwar in der
artigen Geschwindigkeit offenbar, wie es um die drei
Art, daß
mit
großem
schauspielerischem
steht. Da ihn Cyprian sehr wegwerfend behandelt.
Geschick haarsträubende Verbrechen detaillirt er¬
ihn verhöhnt und des Charlatanismus zeiht, beschließt
zählen, die sie nie begangen. Auch herabge¬
er, sich an ihm zu rächen. Er wiegt Justina (frei nachkommene Aristokraten, darunter der Herzog von
Svengali) in hypnotischen Schlaf, nachdem er ihr suggerirt Cadignan sind Prospère's Gäste, der sie, stolz darauf,
sie habe mit Anselm ihren Gatten betrogen. Cyprian; Citoyen zu sein, sehr bagatellmäßig behandelt. Licht¬
sträuben sich die Haare zu Berge, da Justina in der
scheues Gesindel mischt sich unter die bunt zusammen¬
Hypnose von ihrer ihr suggerirten Untreue spricht, er
gewürfelte Gesellschaft, in der es einen Dichter, einen
verlangt, daß Paracelsus schleunigst den Zauber von] Philosophen — wie deren ja in den Julitagen von
ihr löse, doch Paracelsus sagt ihm bittere Wahrheitenj 1789 so viele in Paris umherliefen — 2c. giebt. Die
und weigert sich, sie aus dem Traumzustande zu be¬
great attraction des grünen Kakadu ist der Schau¬
freien. Auselm erscheint, und zu dessen namenlosem
spieler Henri. Er kommt eben, um dem Wirthe an¬
Stannen sagt Justina nun auch ihm ins Gesicht, daß
zukündigen, daß er heute zum letzten Male auftreten
sie das Opfer seiner Verführungskünste ward.
In
werde. Er wolle mit der Schauspielerin Léocadie, die
diesem kritischen Augenblicke löst Paracelsus den
er geheirathet, Paris verlassen. Nach einer Weile
Knoten, indem er Justina aufs Neue hypnotisirt und
kehrt er wieder und schildert voll Verzweiflung, wie er
ihr befiehlt, sie möge, wenn sie erwacht, wahrereben Léocadie der Untreue überwiesen und ihren
sein, als
je gewesen, bis sie von diesem letzten
Galan, den Herzog von Cadignan, ermordet habe....
Zauberspruch erlöst wird. Und nun erschließt Justina
Die Versammelten werden von Grauen erfaßt,
rückhaltlos ihr Inneres, sagt, daß sie Amseln wohl
denn man wußte, das Léocadie es mit dem Herzog
gut sei, ihrem Gatten indeß als treues Weib in die
hielt. Er aver, Heuri, erfährt dies erst durch die
Augen schauen könne und daß sie dereinst Paracelsus
Worte, die im Kreise fallen, #enn seine Schilderung
geliebt und ihm, wenn er es nur gewollt, Alles ge¬
war nur Komödie, ein Schau pielerkunststückchen à la
opfert hätte.: Und ihrer Schwester redet sie ins
Garrick.
In diesem Augenblick tritt der Herzog
Gewissen, Anselm ziehen zu lassen, so wie sie einst
ahnungslos ein, und Henri stürzt auf ihn zu und er¬
Paracelsus von dannen gehen ließ... Cyprian weiß
mordet ihn auf offener Scene. Und draußen johlt
nicht wie er daran ist und fragt naiv: ob's Ernst,
indeß die vom Bastillensturm kommende Menge, und
ob's Spiel war, was Paracelsus bor? Der antwortet
in das Röcheln des Sterbenden mischt sich der tausend¬
voll tiefen Sinnes daß ja Alles Spiel sei auf
stimmige Ruf: Es lebe die Freiheit
Erden und
Die Kraft der Schilderung ist des höchsten Lobes
Ein Sinn
swerth; Schnitzler giebt ein grelles Bild der Stimmung
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
und der Leidenschaften, die in jenen Fiebertagen
Es fließen in einander Traum und Wachen,
Paris beherrscht, und glänzender Sarkasmus durch¬
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
zieht die Reden der Aufwiegler. ... Das Verbot der
Der Tropf von Gatten giebt sich mit diesem
delphischen Spruch zufrieden, Auselm und Cäciliä
Groteske in Berlin erscheint indeß verwunderlich.
finden sich und Paracelsus verläßt nach einer den
S. L.
S