II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 395

das ist ein unmoralischer Antor. Sie genießen mit Vergungen die
schlüpfrigsten Ehebruchskomödien, wenn sie sehen, man will sie nur
titzeln und amüsieren: sie sind aber moralisch indigniert, wenn die
Sache einen ernsteren Hintergrund hat, wenn man an dem schön
drapierten Faltenwurf des zur allgemeinen Bürgeruniform
ge
hörigen Tugendmantels rührt und die Hülle etwas zu lüften
versucht.
Da haben wir gleich das erste Stück, den „Paracelsus“
An sich vielleicht nur eine niedliche Kleinigkeit. Etwas befremdend
vielleicht durch die Einführung des Hypnotismus und der Sug¬
gestion, nicht deshalb etwa, weil man zweifelt, ob zu Paracelsus
Zeiten derlei bekannt und möglich war, sondern weil die Meisten
in derlei animistisch=spiritistischen Dingen auch heute noch sich
skeptisch verhalten. Aber gerade dort, wo die Möglichkeit eines
Fehltrittes in die Seele einer als brav und tugendhaft geschilderten
Frau hereinlugt, gerade dort liegt im Stück der gesunde, ja mora¬
lische Kern des Ganzen. Nicht jene Stelle meine ich, wo Justina
im Banne der Hypnose sich fälschlich begangener Untreue zeiht:
dessen bedarf der Dichter nur als Folie für die zweite Suggestion,
für die zwangsweise Erschließung der Seele zur Wahrheit. Aber
wenn wir einmal tugendhaft gehandelt haben, so sind wir so hoch¬
müthig, dass wir in dem ausgesprochenen Gedanken, es hätte auch
anders kommen können, eine Beleidigung erblicken. So tief steckt
die Freude an der äußeren Werkheiligkeit in uns, dass wir unsere
Tugend nur als unser Verdienst betrachten und nichts davon hören
wollen, dass Erziehung, Umgang, tausend Aeußerlichkeiten an ihr
Theil haben, dass es vielleicht nur eines Zufalles bedurft hätte, sie
kläglich zu Fall bringen. Wo ist der Mensch, der so vermessen sein
darf, zu sagen, er wäre unter allen Umständen gut und ehrlich
geworden, die Frau, die behaupten kann, sie wäre bestimmt tugend¬
haft geblieben, auch wenn schon dem Kinde Laster und verderb¬
liches Beispiel täglich nahegetreten, dem heranwachsenden Mädchen
Noth und Verführung auf jedem Schritt begegnet wären? Und so
ist es genug Ehre für die Frau, dass sie gekämpft und gesiegt hat,
der Dichter erniedrigt sie nicht, wenn er uns andeutet, sie hätte
wohl schließlich unterliegen können, falls weitere Versuchung ihr
nicht erspart geblieben wäre, er zeigt uns nur, in das innere der
menschliche Seele hineinleuchtend, einen echt menschlichen Zug, den
unserer Schwäche, einen Zug, auf dem auch hervorragende Reli¬
gionssysteme aufgebaut sind, und den zum künstlerischen Motiv zu
nehmen wir sittlich nennen dürfen, wenn auch die Handlung, die
als möglich angedeutet wird, eine unsittliche ist.
Am meisten Erfolg von den drei Dramolets hatte das zweite,
Die Gefährtin“ Mir hat es am wenigsten gefallen. Zwei edle
Naturen sind zwei gewöhnlichen, oder wollen wir annehmen, zwei
ungewöhnlich niedrigen gegenübergestellt: der Gattin und dem
Freund, die mitsammen durch Jahre den Gatten betrügen, aber
Inicht durch eine große, innere Leidenschaft unserer nächsichtigen An¬
#theilnahme nähergerückt, sondern durch die Sinnlichkeit zusammen¬
geführt, in brutaler Gewohnheit den sträflichen Verkehr fortsetzend.
Der Liebhaber ist seit langem heimlich mit einer anderen verlobt:
heimlich vor dem Gatten, aber nicht vor der Frau; denn die weiß
alles, sie findet auch gar nichts dabei, sie hat das Verhältnis fort¬
gesetzt und wäre wohl bereit gewesen, ruhig aus dem einfachen Ehe¬
bruche in den doppelten überzugehen — wenn sie nicht zufällig
ein frühzeitiger Tod um den Genufs dieses Doppel=Raffinates ge¬
bracht hätte. Man sage nicht, das gibt es nicht: ja, das gibt es.
Aber etwas anderes gibt es nicht, nämlich einen solchen unglaub¬
lichen Esel wie den Professor Robert Pilgram, der gewusst hat,
dass sein Assistent seine Assistententhätigkeit auch auf die Gattin
des Chefs ausdehnt, der sich das ruhig gefallen ließ, der noch den
armen Mann, dem der Tod sein Alles entrissen hat, im Hergen
tief bedauert, der bereit war, den Aermsten auf den Friedhof
zu geleiten und ihn in seinen Armen aufzufangen, wenn er
vor Schmerz zusammenbricht — und der ihn jetzt (ach, so viel
zu spät!) entrüstet hinauswirft, weil er sich einbildet, der
Liebhaber habe seine Frau betrogen! Nein, einen solchen
Schafskopf gibt es nicht, und wenn, dann wollen wir ihn
nicht als großdenkenden, edlen Mann, sondern eben als Schafs¬
Lkopf-geschildert sehen und über ihn lachen. Wenn ihm dies
erspart blieb so ist das wohl nur ein Beweis für die große
Darstellungskunst der Schauspieler, Sonnenthals, Zeskas und
der Bleibtren. Hinsichtlich der letzteren sei hiemit übrigens con¬
statiert, dass sie noch am Leben und noch am Burgtheater ist, eine
Areuliche Thatsache, auf die man in den für die Rollenaustheilung
maßgebenden Kreisen schon fast vergessen zu haben schien.
Nicht ohne Widerspruch blieb das dritte Stück „Der grüne
Kakadn“. Und doch dürfte es weitaus das bedeutendste von den
dreien sein. Es ist nicht nur mit meisterhafter Technik gearbeitet,
es enthält nicht nur scharf charakteristische Typen und eine starke
dramatische Steigerung, durch das Ganze geht auch ein gewaltiger
Zug von einem fast wilden Humor, den man Schnitzler gar nicht
zugetraut hatte, und es leuchtet aus der Groteske mancherlei heraus,
auf das ich aber jene, die es nicht von selbst verstanden haben, nicht
erst aufmerksam machen möchte. Denn verstanden scheinen das Stück
nicht alle Leute ganz zu haben, weder vor der Aufführung, noch
bei derselben. Am besten vielleicht jene, die sich eines gewissen unan¬
genehmen Gefühles in der Gegend des Halses durch Zischen zu ent¬
ledigen suchten.
Der „grüne Katadu“ ist eine Schenke, in der der verehrliche
französische Adel lin de sieele (natürlich XVIII. sich von Komö¬
dianten eine Diebs= und Mörderspelunke vorspielen lässt. Aber der
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