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gionssysteme aufgebaut sind, und den zum künstlerischen Motiv zu
nehmen wir sittlich nennen dürfen, wenn auch die Handlung, die
als möglich angedeutet wird, eine unsittliche ist.
Am meisten Erfolg von den drei Dramolets hatte das zweite,
„Die Gefährtin“. Mir hat es am wenigsten gefallen. Zwei edle
Naturen sind zwei gewöhnlichen, oder wollen wir annehmen, zwei
ungewöhnlich niedrigen gegenübergestellt: der Gattin und dem
Freund, die mitsammen durch Jahre den Gatten betrügen, aber
Fnicht durch eine große, innere Leidenschaft unserer nächsichtigen An¬
#theilnahme nähergerückt, sondern durch die Sinnlichkeit zusammen
geführt, in brutaler Gewohnheit den sträflichen Verkehr fortsetzend.
Der Liebhaber ist seit langem heimlich mit einer anderen verlobt:
heimlich vor dem Gatten, aber nicht vor der Frau: denn die weiß
alles, sie findet auch gar nichts dabei, sie hat das Verhältnis fort¬
gesetzt und wäre wohl bereit gewesen, ruhig aus dem einfachen Ehe¬
bruche in den doppelten überzugehen — wenn sie nicht zufällig
ein frühzeitiger Tod um den Genufs dieses Doppel=Raffinates ge¬
bracht hätte. Man sage nicht, das gibt es nicht: ja, das gibt es.
Aber etwas anderes gibt es nicht, nämlich einen solchen unglaub¬
lichen Esel wie den Professor Robert Pilgram, der gewufst hat,
dass sein Assistent seine Assistententhätigkeit auch auf die Gattin
des Chefs ausdehnt, der sich das ruhig gefallen ließ, der noch den
armen Mann, dem der Tod sein Alles entrissen hat, im Herzen
tief bedauert, der bereit war, den Aermsten auf den Friedhof
zu geleiten und ihn in seinen Armen aufzufangen, wenn er
vor Schmerz zusammenbricht — und der ihn jetzt (ach, so viel
zu spät!) entrüstet hinauswirft, weil er sich einbildet, der
Liebhaber habe seine Frau betrogen! Nein, einen solchen
Schafskopf gibt es nicht, und wenn, dann wollen wir ihn
nicht als großdenkenden, edlen Mann, sondern eben als Schafs¬
Kkopf geschildert sehen und über ihn lachen. Wenn ihm dies
erspart blieb so ist das wohl nur ein Beweis für die große
Darstellungskunst der Schauspieler, Sonnenthals, Zeskas und
der Bleibtren. Hinsichtlich der letzteren sei hiemit übrigens con¬
statiert, dass sie noch am Leben und noch am Burgtheater ist, eine
erfreuliche Thatsache, auf die man in den für die Rollenaustheilung
maßgebenden Kreisen schon fast vergessen zu haben schien.
Nicht ohne Widerspruch blieb das dritte Stück „Der grüne
Kakadu“ Und doch dürfte es weitaus das bedeutendste von den
dreien sein. Es ist nicht nur mit meisterhafter Technik gearbeitet,
es enthält nicht nur scharf charakteristische Typen und eine starke
dramatische Steigerung, durch das Ganze geht auch ein gewaltiger
Zug von einem fast wilden Humor, den man Schnitzler gar nicht
zugetraut hatte, und es leuchtet aus der Groteske mancherlei heraus,
auf das ich aber jene, die es nicht von selbst verstanden haben, nicht
#st aufmerksam machen möchte. Denn verstanden scheinen das Stück
nicht alle Leute ganz zu haben, weder vor der Aufführung, noch
bei derselben. Am besten vielleicht jene, die sich eines gewissen unan¬
genehmen Gesühles in der Gegend des Halses durch Zischen zu ent¬
ledigen suchten.
Der „grüne Kakadu“ ist eine Schenke, in der der verehrliche
französische Adel lin de sieele (natürlich XVIII.) sich von Komö¬
dianten eine Diebs= und Mörderspelunke vorspielen läfst. Aber der
zeitgemäße Scherz geht über in blutigen Ernst, und die Zuseher
und die Mitspielenden werden über die Grenzen zwischen beiden
irre. Und so erfährt der Schauspieler Heuri, dem eben erst die
leichtlebige Leocadie angetraut wurde, indem er die Rolle des be¬
trogenen Ehemannes, der seine Ehre gerächt hat, nur allzu meister¬
haft spielt, dass er wirklich schon Anlass zur Rache erhalten hat,
und ermordet seinen eben eintretenden Nebenbuhler, den Herzog
von Cadignan, nun auch in der That. Draußen aber branden bereits
die Wogen der Revolution, eine Bande, die beim Sturm der
Bastille betheiligt war, dringt in die Schenke, und der Aufbau und die
Entwickelung des Dramas würden nun wohl dazu drängen, dass die leicht¬
fertige Schar von Marquis und Chevaliers 2c., während sie, noch
immer wähnend, alles sei bloße Komödie, jubelt, lacht und applaudiert,
der Revolution selbst zum Opfer fällt. Natürlich geht das aber
nicht, und so schließt eben das Stück nur mit einer zarten Hin¬
weisung auf die Zukunft. Ich habe einige Eingeweihte die Besorgnis
aussprechen gehört, die Aufführung dieses Stückes könnte dem Director
verdacht werden. Da bin ich denn doch offenbar noch immer sehr naiv.
Er hat es ja nicht geschrieben und würde es gewiss nicht haben
geben können, wenn man ihm das nicht erlaubt hätte. Nein, da
haben die Leute sicher Unrecht, denn das wäre ja eine Falle, wenn
man jemandem zuerst etwas gestattet, und ihm dann einen Vor¬
wurf daraus macht.
In der Darstellung fand sich viel Gutes, wenngleich gerade
im „grünen Kakadu“ manches im Gesammtbild nicht recht heraus¬
kam. Eine sehr charakteristische Maske, interessant und unheimlich, mit
einem steten Zug überlegenen Lächelns, hatte sich Herr Robert
für den Paracelsus zurechtgelegt, den er auch in Sprache und Spiel
zu voller Wirkung brachte. Aus einer ganzen Reihe vorzüglicher
„grotesker" Chargen in der „Groteske“ ist ganz besonders Herr
Einige der neuenga¬
Zeska als Strolch Grain hervorzuheben.
gierten Darsteller sind in allen Novitäten beschäftigt, an manchen
Abenden sogar zweimal. Soll dadurch das Publieum um jeden
Preis an sie gewöhnt werden?
Max Burckhard.
gionssysteme aufgebaut sind, und den zum künstlerischen Motiv zu
nehmen wir sittlich nennen dürfen, wenn auch die Handlung, die
als möglich angedeutet wird, eine unsittliche ist.
Am meisten Erfolg von den drei Dramolets hatte das zweite,
„Die Gefährtin“. Mir hat es am wenigsten gefallen. Zwei edle
Naturen sind zwei gewöhnlichen, oder wollen wir annehmen, zwei
ungewöhnlich niedrigen gegenübergestellt: der Gattin und dem
Freund, die mitsammen durch Jahre den Gatten betrügen, aber
Fnicht durch eine große, innere Leidenschaft unserer nächsichtigen An¬
#theilnahme nähergerückt, sondern durch die Sinnlichkeit zusammen
geführt, in brutaler Gewohnheit den sträflichen Verkehr fortsetzend.
Der Liebhaber ist seit langem heimlich mit einer anderen verlobt:
heimlich vor dem Gatten, aber nicht vor der Frau: denn die weiß
alles, sie findet auch gar nichts dabei, sie hat das Verhältnis fort¬
gesetzt und wäre wohl bereit gewesen, ruhig aus dem einfachen Ehe¬
bruche in den doppelten überzugehen — wenn sie nicht zufällig
ein frühzeitiger Tod um den Genufs dieses Doppel=Raffinates ge¬
bracht hätte. Man sage nicht, das gibt es nicht: ja, das gibt es.
Aber etwas anderes gibt es nicht, nämlich einen solchen unglaub¬
lichen Esel wie den Professor Robert Pilgram, der gewufst hat,
dass sein Assistent seine Assistententhätigkeit auch auf die Gattin
des Chefs ausdehnt, der sich das ruhig gefallen ließ, der noch den
armen Mann, dem der Tod sein Alles entrissen hat, im Herzen
tief bedauert, der bereit war, den Aermsten auf den Friedhof
zu geleiten und ihn in seinen Armen aufzufangen, wenn er
vor Schmerz zusammenbricht — und der ihn jetzt (ach, so viel
zu spät!) entrüstet hinauswirft, weil er sich einbildet, der
Liebhaber habe seine Frau betrogen! Nein, einen solchen
Schafskopf gibt es nicht, und wenn, dann wollen wir ihn
nicht als großdenkenden, edlen Mann, sondern eben als Schafs¬
Kkopf geschildert sehen und über ihn lachen. Wenn ihm dies
erspart blieb so ist das wohl nur ein Beweis für die große
Darstellungskunst der Schauspieler, Sonnenthals, Zeskas und
der Bleibtren. Hinsichtlich der letzteren sei hiemit übrigens con¬
statiert, dass sie noch am Leben und noch am Burgtheater ist, eine
erfreuliche Thatsache, auf die man in den für die Rollenaustheilung
maßgebenden Kreisen schon fast vergessen zu haben schien.
Nicht ohne Widerspruch blieb das dritte Stück „Der grüne
Kakadu“ Und doch dürfte es weitaus das bedeutendste von den
dreien sein. Es ist nicht nur mit meisterhafter Technik gearbeitet,
es enthält nicht nur scharf charakteristische Typen und eine starke
dramatische Steigerung, durch das Ganze geht auch ein gewaltiger
Zug von einem fast wilden Humor, den man Schnitzler gar nicht
zugetraut hatte, und es leuchtet aus der Groteske mancherlei heraus,
auf das ich aber jene, die es nicht von selbst verstanden haben, nicht
#st aufmerksam machen möchte. Denn verstanden scheinen das Stück
nicht alle Leute ganz zu haben, weder vor der Aufführung, noch
bei derselben. Am besten vielleicht jene, die sich eines gewissen unan¬
genehmen Gesühles in der Gegend des Halses durch Zischen zu ent¬
ledigen suchten.
Der „grüne Kakadu“ ist eine Schenke, in der der verehrliche
französische Adel lin de sieele (natürlich XVIII.) sich von Komö¬
dianten eine Diebs= und Mörderspelunke vorspielen läfst. Aber der
zeitgemäße Scherz geht über in blutigen Ernst, und die Zuseher
und die Mitspielenden werden über die Grenzen zwischen beiden
irre. Und so erfährt der Schauspieler Heuri, dem eben erst die
leichtlebige Leocadie angetraut wurde, indem er die Rolle des be¬
trogenen Ehemannes, der seine Ehre gerächt hat, nur allzu meister¬
haft spielt, dass er wirklich schon Anlass zur Rache erhalten hat,
und ermordet seinen eben eintretenden Nebenbuhler, den Herzog
von Cadignan, nun auch in der That. Draußen aber branden bereits
die Wogen der Revolution, eine Bande, die beim Sturm der
Bastille betheiligt war, dringt in die Schenke, und der Aufbau und die
Entwickelung des Dramas würden nun wohl dazu drängen, dass die leicht¬
fertige Schar von Marquis und Chevaliers 2c., während sie, noch
immer wähnend, alles sei bloße Komödie, jubelt, lacht und applaudiert,
der Revolution selbst zum Opfer fällt. Natürlich geht das aber
nicht, und so schließt eben das Stück nur mit einer zarten Hin¬
weisung auf die Zukunft. Ich habe einige Eingeweihte die Besorgnis
aussprechen gehört, die Aufführung dieses Stückes könnte dem Director
verdacht werden. Da bin ich denn doch offenbar noch immer sehr naiv.
Er hat es ja nicht geschrieben und würde es gewiss nicht haben
geben können, wenn man ihm das nicht erlaubt hätte. Nein, da
haben die Leute sicher Unrecht, denn das wäre ja eine Falle, wenn
man jemandem zuerst etwas gestattet, und ihm dann einen Vor¬
wurf daraus macht.
In der Darstellung fand sich viel Gutes, wenngleich gerade
im „grünen Kakadu“ manches im Gesammtbild nicht recht heraus¬
kam. Eine sehr charakteristische Maske, interessant und unheimlich, mit
einem steten Zug überlegenen Lächelns, hatte sich Herr Robert
für den Paracelsus zurechtgelegt, den er auch in Sprache und Spiel
zu voller Wirkung brachte. Aus einer ganzen Reihe vorzüglicher
„grotesker" Chargen in der „Groteske“ ist ganz besonders Herr
Einige der neuenga¬
Zeska als Strolch Grain hervorzuheben.
gierten Darsteller sind in allen Novitäten beschäftigt, an manchen
Abenden sogar zweimal. Soll dadurch das Publieum um jeden
Preis an sie gewöhnt werden?
Max Burckhard.