II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 678

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wie sie jetzt dem schmachtenden Junker bald zum Opfer gefallen wäre,
kurz wie sie gesündigt habe in ihrem Herzen. Fast erscheint im Spiegel dieser
Wahrheit auch der lügenhafte Traum als Wahrheit! Ja, Paracelsus selbst wird
irre an seiner Kunst: „Sicherheit ist nirgends!“ Cyprian aber athmet auf, als
bei Sonnenuntergang — nur so lange soll Justinas zweiter Bann nach
* Paracelsus Willen dauern — die nackte Wahrheitsliebe wieder in Justinas!
Herzen erstickt ist, und Lüge und Wahrheit wieder ihr gefälliges, ab¬
wechselungsreiches Spiel treiben. Er selber weiß nun, daß wir spielen, er
weiß genug und ist auf seiner Hut, und seine Vertrauensseligkeit und seine!
Hochfahrenheit haben ihr Ende gefunden.
Professor Pilgramms Frau ist gestorben, er fühlt keine Trauer
seinem Herzen, denn seine „Gefährtin“ ist sie, die zwanzig
in
Jahre jünger war als er, nie gewesen. Er weiß, daß ihr
Herz und ihre Liebe feit langen Jahren seinem Assistenten Dr. Hausmann
gehört haben, doch er ist zu feige gewesen, das Gemisch von Lüge und
Wahrheit zu zerstören und den Liebenden zu sagen: „Ihr seid frei, nehmt
Euch hin!“ Doch während er sich in dem Glauben befunden, seine Frau
sei, wenn auch nicht ihm, so doch seinem Assistenten gestorben, er betraure
ihren Verlust, da eröffnete ihm dieser, daß er sich — verlobt habe. Diese
Untreue des Liebhabers gegen die verführte Frau empört ihn tief
und er weist ihn aus seinem Hause, um nachträglich von einer
Freundin seiner Frau zu erfahren, daß diese ja um Dr. Hausmanns
Verlobung — gewußt habe! Und deßhalb, um einer bloßen Liebelei wegen,
um einer Liebschaft Willen, die so schnell erkaltete, hatte er auf alle Glück¬
seligkeit der Ehe verzichtet! Er war zu spät wissend geworden, die Weis¬
heit des Paracelsus: „Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug!“ war
ihm zu spät gekommen.
Zu spät auch kam sie dem Heldenspieler aus der Pariser Revolutionär¬
Prospère, ein verkrachter Theater¬
Spelunke „Der grüne Kakadu“.
director war auf den originellen Gedanken gekommen, eine Ver¬
brecherkneipe des Scheines zu gründen. Die ehemaligen Mitglieder
seiner Truppe spielten gegen Gage allabendlich in seinem Keller die Ver¬
brecher, und die vornehme, an starken Sinnenkitzel gewöhnte Welt ging bei
ihm aus und ein und hatte ihr Amusement dabei, in gesättigter Ruhe
mitten unter Dieben und Mördern zu verkehren. Der Schauspieler Henri,
der begabteste von den Darstellern Prospères, hat sich verheirathet.
Eine furchtbare Eifersucht verzehrt sein Herz und zur Unterhaltung
der reichen Gäste spielt er heute, was ihm am nächsten liegt —
ein Eifersuchtsdrama. Er stürzt herein, und in gut geheuchelter Aufregung
erzählt er, wie er den jungen Herzog von Cadignan, den Verführer seiner
Frau, in der Garderobe des Theaters erstochen habe. Man ist
Eingeweihte, die kurz vorher aus dem Munde eines
entsetzt
Strolches gehört hatten, daß in Wirklichkeit der junge, schöne
Herzog mit Henris Frau verkehre, kommen in den Glauben, daß
Er soll fliehen vor der Polizei! So
Henri die Wahrheit rede.
erfährt er denn, was ihm bisher verborgen geblieben, und als der Herzog,
dessen Namen er nur willkürlich gewählt hatte, den Keller betritt, stößt er
ihm den Dolch ins Herz. Wild jubeln die hereinstürmenden Revolutionäre
über den Tod des Herzogs, hat doch das Morden — es ist der 14. Juli
soeben seinen Anfang genommen. Dem armen Schau¬
1789 —
spieler aber, der so geschickt berufsmäßig die Lüge als Wahrheit,
den Traum als Wirklichkeit aufgespielt, war die Lüge nun
daß
spät,
Er erfuhr
zu
wirklich zur Wahrheit geworden!
nicht bloß in Prospères Verbrecherkeller, sondern auch im Leben Traum
und Wachen, Lüge und Wahrheit ineinander fließen. „Wir spielen immer;
wer es weiß, ist klug!“
Wir sagten schon gestern in einem kurzen Vorbericht, daß „Der grüne
Kakadu“ das bedeutendste der drei Stücke sei. Was wir hier davon mit¬
theilten, ist nur das Skelett — bedeutend wird das Stück durch seine
geradezu meisterliche Sittenschilderung und das äußerst geschickte
dramatische Arrangement. Dieses figurenreiche Drama spricht aus
vielen Zungen, und wer zu beobachten weiß, wird unzählige sehr feine
Züge in dem geistreichen Spiele der Lüge finden, die für den objectiven
Zuschauer die Wahrheit ist. Ganz unverständlich ist es uns, wie das
Publicum für den Stoff, die revolutionären und verkommenen Zustände,
die der Dichter so packend schildert und die doch nun einmal grell sein müssen,
den Dichter selbst zur Verantwortung ziehen und sich in seinen Ausdrucks¬
mitteln — es wurde sogar gepfiffen! — so böse vergreifen konnte. Einem
Kunstwerke wie diesem gegenüber greift man nicht zu Mitteln, die nur in
Prospères Spelunke angebracht sein würden. Die Pfeifer mögen sich ihr
Eintrittsgeld wieder geben lassen denn für sie ist umsonst gespielt worden,
das Leipziger Stadttheater aber ist kein Ort, an dem man sein Mißfallen
oder seinen Unverstand durch Pfeifen äußert.
Es mag bizarr klingen, aber es ist wahr — wäre weniger gut gespielt
worden, der „Grüne Kakadu“ hätte weniger Opposition herausgefordert,
denn die Schilderung des damaligen Pariser Lebens wäre ja dann weniger
eindrucksvoll gewesen. Wir aber danken unseren Darstellern für dieses
Leben sprühende Bild und machen der Regie — Herrn Oberregisseur
Adler — unser Compliment. Bei der langen Reihe der Mitwirkenden
können wir nur die besonders Hervorstechenden namhaft machen, so Herrn
Grelle für die temperamentvolle Darstellung des Henri, Herrn Ernst
Müller für die komische Wiedergabe der Eigenheiten des Strolches
Grain, Herr Borcherdt für seinen Grasset, Frau Franck für die Séve¬
rine Herrn Hänseler für den Prospère. Auch die Herren Otto,
Körner, Proft, Greiner, Huth, Krause die Damen Frl. Marie
Laue, Frau Huth mögen wenigstens flüchtig Erwähnung finden. Nur
hätte Frau Huth ihre letzten Worte an der Leiche des Herzogs
In der „Gefährtin“, einem
etwas bedeutender sprechen müssen.
Stücke, das nicht mit großen dramatischen sondern mit Stim¬
mungsmitteln arbeitet und daher leicht ermüdet, war die Haupt¬
aufgabe Herrn Taeger (Prof. Pilgram) zugefallen, die derselbe auch zur
Zufriedenheit löste, während Herr Grelle als Dr. Hausmann weniger
unsympathisch hätte sein können. Die Dame in Schwarz — Olga Mer¬
holm — gab sehr eindrucksvoll Frl. Marie Laue. In „Paracelsus“
war es besonders Herr Körner, der in der Titelrolle durch seine fasci¬
nirende Maske und sein packendes Spiel wirkte, im Uebrigen verdienten
sämmtliche Mitwirkende — Herr Borchert (Cyprian), Frl. Rocco
(Justina), Herr Krause (Dr. Copus), Herr Otto (Anselm), Frl. Ebba
Laue (Cäcilia) — Anerkennung. Frl. Rocco lag die Rolle der Hypno¬
tisirten recht gut, wie denn überhaupt die Kräfte gut ausgewählt waren
Arthur Gadebusch.)
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