II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 680

geben und das Geheimniß ihrer ganzen Schaffensart entschleiern.
Dabei kommt es ihnen selbstverständlich darauf an, Werke von
ganz verschiedener Grundstimmung zu vereinen. Das war in
Sudermann's „Morituri“ ebenso der Fall, wie in Hartleben's
„Befreiten“, das ist fast in noch höherem Grade der Fall bei
Schnitzler's Einactern.
„Paracelsus“ ist ein Vorspiel, oder besser eine gereimte
Spielerei, bei welcher der Hypnotisirung die Hauptrolle zufällt.
Der „wunderthätige Magus“ und Arzt Theophrastus Bombastus
Hohenheim, genannt Paracelsus, der nichts weniger als den „Stein
der Weisen“ zu entdecken suchte und nach einem wüsten Leben in
Salzburg starb, wird uns in dem Stücke mehr als Charlatan
und Wunderdoctor vor Augen geführt, denn als Gelehrter. Bei
einem Aufenthalt in Basel dringt die Kunde von seinen Wunder¬
thaten auch in das Haus des Waffenschmieds Cyprian, dessen
Weik Justina ihn einst, da er noch zu Basel studirte, geliebt hat.
Die Erinnerung an diese gkückliche Jugendzeit regt Justina's
ganze Sinnenlust auf, und sie ist fast geneigt, da sie das zwar
biedermännische aber philiströse, geschwätzige und nüchterne Wesen
ihres Gatten nicht befriedigt, dem Liebeswerben des Junkers
Anselm Gehör zu schenken. Da sieht sie Paracelsus wieder, der
von ihrem Manne als Gast ins Haus gebracht, aber brutal be¬
handelt wird und deshalb sich mit seiner Kunst zu rächen be¬
schließt. Er soll eine Probe derselben geben:
„Denn hat man solchen Gast ins Haus geladen.
So zeig' er, was er kann“,
meint Cyprian, der den Arzt auf eine Stufe mit dem fahrenden
Volk stellt. Und Paracelsus versetzt Justina in einen hypnotischen
Schlaf, wobei er ihr einen Ghebruch mit Junker Anselm
suggerirt. Erwachend, flieht sie ihren Mann, da sie den unter¬
geschobenen Ehebruch für wahr hält. Nun ist Cyprian in Ver¬
zweiflung und beschwört Paracelsus, den Bann von seinem Weibe
zu nehmen. Justina kommt schließlich reumüthig zurück und
beichtet dem Gatten den nie begangenen Ehebruch, ja, sie hält ihn
dem Junker Anselm gegenüber selbst aufrecht, was die Ver¬
wirrung und Bestürzung mehrt. Endlich läßt Paracelsus sich er¬
!
weichen, dem Spuk ein Ende zu machen. Er schlafert Justina
abermals ein, zwingt sie, die früheren Eindrücke zu vergessen und
wahr zu sein. Cyprian, der von Paracelsus in Zweifel gehalten
wird, ob wirklich ein Ehebruch vorliegt oder nicht,
wird nun von der
Er erfährt
Folter befreit.
vom Munde seines Weibes die Wahrheit, ihre
eheliche Treue. Freilich erfuhr er noch mehr . . ., daß nämlich
sein Weib sehr heißes Blut hat und von ihm behütet sein will,
wenn diese Treue nicht doch einmal Schiffbruch erleiden soll. Von
dem Munde des Paracelsus quellen natürlich einzelne geistreiche
und geistreich sein wollende Betrachtungen über Traum und Leben,
Schein und Wirklichkeit, Wahrheit und Lüge, aber im Ganzen
fehlt es dem Versspiel doch an der Verkörperung einer Idee, die
allein im Stande wäre, uns für die Handlung zu interessiren.
Die Hypnose der Justina, die an die Hypnose in Schnitzler's
Plauderei „Eine Frage an das Schicksal“ erinnert, soll das Eine
lehren, daß wir Menschen im Leben nur allzuoft mit einander
spielen, und Keiner vom Anderen die Wahrheit weiß, wie eng er
auch mit ihm verbunden sei. So klingt das Stück mit seinen
oft sehr grüblerischen Versen mit den Worten aus:
Es war ein Spiel..
Mit wilden Söldnerschaaren spielt der Eine,
Ein And'rer spielt mit tollen Abergläub'schen,
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
Wird nur von Dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von Andern, nichts von uns.
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.
Den Paracelsus hob Herr Körner nicht auf die Höhe künst¬
lerischer Wirkung, wie Kainz am Deutschen Theater in Berlin,
woo wir die Stücke im Mai dieses Jahres sahen. Paracelsus ist
grüblerisch, aber über seine Grübeleien siegt immer die starke
Sinnenlust in ihm. Es liegt etwas vom Faust in seiner Natur,
aber auch vom Mephisto, dem die Waffen des Spottes zu Gebote
stehen. Werden diese Charakterzüge nicht zu einem einheitlichen
Ganzen vereinigt, so bleibt nichts übrig, als der — Charlatan!
Auch Frl. Rocco konnte den Uebergang aus dem Traumleben
in die Wirklichkeit noch packender ausmalen, wurde im Uebrigen
aber der Rolle der Justina gerecht. Die übrigen Personen sind
von geringer Bedeutung. Herr Otto spielte den Junker An¬
selm, Frl. Ebba Laue die Cäcilie und Herr Borcherdt
den poliernden, von sich eingenommenen Cyprian anerkennens¬
werth. Die komische Verzweiflung Cyprian's blieb freilich im
Spiek des Herrn Borcherdt ohne — Komik.
„Die Gefährtin“ ist im Gegensatz zu dem ersten Ein¬
acter ein durchaus modernes Stück, das den bisherigen Dramen
Schnitzler's am nächsten kommt. Es ist ein Sittenstück, das mit
seelischen Problemen spielt, die eine tiefere psycho¬
logische Behandlung verdienten. Wir wollen jedoch
psychologische Entwickelung der
nicht sagen, daß die
so ge¬
logischen Folgerungen entbehrte. Aber ein
wagtes Problem will eingehender motivirt sein, wenn man an
seine Lösung glauben soll.
Professor Pilgram hat eine Frau geheirathet, welche zwanzig
Jahre jünger ist, als er. Ein Jahr ist er glücklich mit ihr ge¬
wesen, dann macht sich die Natur geltend. Sie wendet sich vor
dem ernsten, älieren Manne ab und lebt im Ehebruch mit seinen
than's. In dem „grünen Kakadu“, wie die Kellerkneipe des
Prospäre genannt wird, befinden wir uns gerade am Tage des
Bastillensturmes. Wir spüren hier nur die letzten Ausläufer der
Bewegung, und es herrscht in dem Ganzen eine kecke über¬
legene Satire, die nicht immer voll vom Publicum erfaßt wurde.
Der Werth des Stückes liegt in seiner Detailmalerei. „Welch'
eine charakteristische Figur ist die von Frau Franck trefflich ge¬
spielte Marquise von Lansac, das verkörperte Zeitalter Lud¬
wigs XVI.! Im Mittelpunct steht die Liebesaffäre des Schau¬
spielers Henri. Er hat sich mit Léocadie, einer Schauspielerin
von der Porte St. Martin verheirathet. Nun spielt er frivoler
Weise eine Scene im Verbrecherkeller, welche die Untreue seiner
Frau zum Gegenstand hat, und ahnt nicht, daß diese ihm that¬
sächlich mit dem Herzog von Cadignan hintergeht. Seine Um¬
gebung glaubt aber, Henri sage die Wahrheit und kenne die
Untreue seines Weibes. So wird sie ihm enthüllt, und in einem
elementaren Wuthausbruch stößt er den Herzog, der gerade nach
dem Komödiantenkeller kommt, nieder. Herr Grelle beging als
Henri den Fehler, daß er das Publicum nicht ahnen ließ, daß er
zunächst nur Komödie spiele. Er ließ nicht nur die Besucher des
Verbrecherkellers, sondern auch das Publicum an die Wahrheit
seiner Erzählung glauben. Das führte beim Auftreten des Her¬
zogs und dessen Tödtung zu einer Verblüffung. Im Uebrigen
hatte der Darsteller hinreißendes Feuer. Vielleicht hätte Herr
Taeger die Rolle noch glaubwürdiger gestaltet. Die treulose Léo¬
cadie wurde von Frau Huth mit der nöthigen Frivolität dar¬
gestellt. Diese phrynenhafte Gestalt bewerthet sich selbst mit
Selbstironie am besten, wenn sie am Schluß beim Anblick der
Leiche zu Henri sagt: „Das hast Du um meinetwillen gethan?
Nein, nicht um mich — denn so viel bin ich nie werth gewesen.
Das Belustigende an der Episode, welche durch die hereinströmende
Volksmenge, die vom Sturm der Bastille zurückkehrt, noch be¬
sondere theatralische Wirkung erhält, liegt darin, daß die Aristo¬
kraten nie recht wissen, ob das, was sich da vor ihnen abspielt,
Wahrheit oder Komödie ist. Unter die Pseudoverbrecher hat sich
übrigers auch ein echter Gauner gemischt, den sich der Dichter
wohl anders gedacht hat, als ihn Herr Müller spielte. Der
larmoyante Ton dieses Mörders war wenig angebracht. Von den
übrigen Mitwirkenden ist noch der Prospère des Herrn Hänse¬
ler und der Chevalier des Fräulein Marie Laue lobend her¬
vorzuheben. Herr Oberregisseur Adler hatte die Stücke treff¬
lich inscenirt.
Hermann Pilz.