box 16/1
akad
—
9.4. Der gruene
Ausschnift aus
ORWARTS, BERL NE.
vom:
Theater.
Charlottenburger Schillertheater: Die Gess
ährtin; Paracelsus; Der grüne Kakadu von Ar¬
zr Schnitzler. Die Aufjuhrung war in der Wahl der Stücke
die in ###dWdergabe eine würdige Feier von Schnitz¬
ers fünfzigstem Geburtstag. In der stimmungs= und sinnvollen,
ronisch=nachdenklichen Art, wie die drei Einakter den Gegensatz von
zllusion und Wirklichkeit, ihr wechselndes Sichkreuzen und Inein¬
inder=Uebergehen beleuchten, prägt die Persönlichkeit des Dichters
ich eindrucksvoll bedeutsamer, wie in so manchem seiner shäteren
imfangreicheren Dramen aus. Das Schweben der Stimmung geht
hier mit sicherer künstlerischer Konzentrierung Hand in Hand; es
ist ein Fließen, kein Zerfließen, wie etwa in dem „Einsamen Wege“
und dem „Ruf des Lebens“
Der feinen, naturalistisch durchgeführten Seelenstudie „Die
Gefährtin“ folgte die graziöse Versdichtung „Paracelsus“.
Im „grünen Kakadu“ dem Schlußstücke des Abends, hat #
Schnitzlers Kunst den bisher nicht übertroffenen Gipfel ihrer Kraft
erreicht. Gespenstisch jagt ein bunter Mummenschanz, indes von
draußen her die Doiner des Bastillesturmes dröhnen, vorüber. Eine#
verrottete Pariser Aristokrat##sippe feiert bei dem Wirt zum grünen
Kakadu, der angeworbene Komödianten zum Nervenkitzel der er¬
lauchten Gäste sensationelle Verbrecherszenen mimen läßt, nächtliche
Orgien. Hinier dem Spiele lauert der Haß der Ausgestoßenen.
Die beiden Gruppen sind in markanten, knappen Zügen vortrefflich
kontrastiert. In das gespielte Verbrechen mischt sich das wirkliche
ein aus dem Zuchthaus entlassener Mörder; und bei dem Mo¬
nologe Henris, des genialen Haupts der Truppe, der erzählt, eben
habe er sein junges, angebetetes Weib mit dem Herzog von Ca¬
dignan überrascht und ihn erstochen, verwischen sich vollends alle
sicheren Grenzen. Was er als Spiel erfunden, war Wirklichkeit
und wird es: Er hört, der Herzog habe ihn mit der Geliebten be¬
trogen, und bohrt in rasendem Schmerze das Messer in des adligen
Rivalen Brust. Von der Straße schallt Lärm und Jubel. Man
ruft: es lebe die Freiheit, es lebe Henri. Drohend klingt hinter
den erschreckt forteilenden Aristokraten die Prophezeiung Grassets:
Laßt sie für heute — laßt sie —, sie werden uns nicht entgehen.
Diese „Groteske“, in ihrer seltsam originellen Eigenart be¬
sonders schwierig, hatte der Regisseur Walter Horst ganz über¬
raschend glücklich inszeniert, die Gegensätze plastisch=malerisch aufs
wirksamste herausgearbeitet. Aus der Fülle der Einzelleistungen
traten insbesondere die spielerisch lüsterne Marquise Hedwig
Paulys, Paeschkes jugendlicher Herzog, Wirths Kellerei¬
besitzer, Gerhards schwärmerischer Henri und Else Wasas
leichtsinnig buhlerische Leocadie hervor. — Als „Paracelsus“ brachte
sich Herr Gerhard durch eine Christusmaske, die für den Aben¬
teurer wenig paßte, um einen Teil des Eindrucks. Desto ge¬
schlossener wirkte Bernecker als breiter, arroganter Bürgers¬
mann. — In der „Gefährtin“ erfreuten Max Reimer und
dt.
Hedwig Pauly durch diskret getönte=Charakteristik.
Das neue Volkstheater (Neue freie Volksbühne) ver¬
anstaltete am Mittwoch gleichfalls einen Schnitzler=Abend,
der den Wiener Dichter in zwei seiner populärsten Stücke
vorführte. Der amüfanten und in allerlei Ironien glitzernden
Plauderei „Literatur“ folgte das Drama Schnitzlers, das
für seine Art am allercharakteristischsten ist: „Liebelei“.
Die echten und die falschen Töne sind in dieser süß=
schwermütigen Liebesgeschichte des Wiener Mädels, die an der
Liebelei des vornehmen jungen Mannes zugrunde geht, aber auch d
der ganze Zauber der Schnitzlerschen Dialog= und Milienkunst. Die k
Darstellung war in beiden Stücken eine recht gute. Nur war der
Gilbert des Herrn Robert Müller (in der „Literatur") wohl in
Maske und Alter etwas vergriffen. Um so besser wirkte desselben
3
Darstellers feine Charakterisierung des alten Viol'nspielers in der
„Liebelei“. Die kontrastierenden Mädchenfiguren wurden von Marthag
Angerstein (die tiefe, heczensechte Christine) und Else Bock (die 1
leichte, nette Mizi Schlager) wahr und ansprechend verkörpert.
akad
—
9.4. Der gruene
Ausschnift aus
ORWARTS, BERL NE.
vom:
Theater.
Charlottenburger Schillertheater: Die Gess
ährtin; Paracelsus; Der grüne Kakadu von Ar¬
zr Schnitzler. Die Aufjuhrung war in der Wahl der Stücke
die in ###dWdergabe eine würdige Feier von Schnitz¬
ers fünfzigstem Geburtstag. In der stimmungs= und sinnvollen,
ronisch=nachdenklichen Art, wie die drei Einakter den Gegensatz von
zllusion und Wirklichkeit, ihr wechselndes Sichkreuzen und Inein¬
inder=Uebergehen beleuchten, prägt die Persönlichkeit des Dichters
ich eindrucksvoll bedeutsamer, wie in so manchem seiner shäteren
imfangreicheren Dramen aus. Das Schweben der Stimmung geht
hier mit sicherer künstlerischer Konzentrierung Hand in Hand; es
ist ein Fließen, kein Zerfließen, wie etwa in dem „Einsamen Wege“
und dem „Ruf des Lebens“
Der feinen, naturalistisch durchgeführten Seelenstudie „Die
Gefährtin“ folgte die graziöse Versdichtung „Paracelsus“.
Im „grünen Kakadu“ dem Schlußstücke des Abends, hat #
Schnitzlers Kunst den bisher nicht übertroffenen Gipfel ihrer Kraft
erreicht. Gespenstisch jagt ein bunter Mummenschanz, indes von
draußen her die Doiner des Bastillesturmes dröhnen, vorüber. Eine#
verrottete Pariser Aristokrat##sippe feiert bei dem Wirt zum grünen
Kakadu, der angeworbene Komödianten zum Nervenkitzel der er¬
lauchten Gäste sensationelle Verbrecherszenen mimen läßt, nächtliche
Orgien. Hinier dem Spiele lauert der Haß der Ausgestoßenen.
Die beiden Gruppen sind in markanten, knappen Zügen vortrefflich
kontrastiert. In das gespielte Verbrechen mischt sich das wirkliche
ein aus dem Zuchthaus entlassener Mörder; und bei dem Mo¬
nologe Henris, des genialen Haupts der Truppe, der erzählt, eben
habe er sein junges, angebetetes Weib mit dem Herzog von Ca¬
dignan überrascht und ihn erstochen, verwischen sich vollends alle
sicheren Grenzen. Was er als Spiel erfunden, war Wirklichkeit
und wird es: Er hört, der Herzog habe ihn mit der Geliebten be¬
trogen, und bohrt in rasendem Schmerze das Messer in des adligen
Rivalen Brust. Von der Straße schallt Lärm und Jubel. Man
ruft: es lebe die Freiheit, es lebe Henri. Drohend klingt hinter
den erschreckt forteilenden Aristokraten die Prophezeiung Grassets:
Laßt sie für heute — laßt sie —, sie werden uns nicht entgehen.
Diese „Groteske“, in ihrer seltsam originellen Eigenart be¬
sonders schwierig, hatte der Regisseur Walter Horst ganz über¬
raschend glücklich inszeniert, die Gegensätze plastisch=malerisch aufs
wirksamste herausgearbeitet. Aus der Fülle der Einzelleistungen
traten insbesondere die spielerisch lüsterne Marquise Hedwig
Paulys, Paeschkes jugendlicher Herzog, Wirths Kellerei¬
besitzer, Gerhards schwärmerischer Henri und Else Wasas
leichtsinnig buhlerische Leocadie hervor. — Als „Paracelsus“ brachte
sich Herr Gerhard durch eine Christusmaske, die für den Aben¬
teurer wenig paßte, um einen Teil des Eindrucks. Desto ge¬
schlossener wirkte Bernecker als breiter, arroganter Bürgers¬
mann. — In der „Gefährtin“ erfreuten Max Reimer und
dt.
Hedwig Pauly durch diskret getönte=Charakteristik.
Das neue Volkstheater (Neue freie Volksbühne) ver¬
anstaltete am Mittwoch gleichfalls einen Schnitzler=Abend,
der den Wiener Dichter in zwei seiner populärsten Stücke
vorführte. Der amüfanten und in allerlei Ironien glitzernden
Plauderei „Literatur“ folgte das Drama Schnitzlers, das
für seine Art am allercharakteristischsten ist: „Liebelei“.
Die echten und die falschen Töne sind in dieser süß=
schwermütigen Liebesgeschichte des Wiener Mädels, die an der
Liebelei des vornehmen jungen Mannes zugrunde geht, aber auch d
der ganze Zauber der Schnitzlerschen Dialog= und Milienkunst. Die k
Darstellung war in beiden Stücken eine recht gute. Nur war der
Gilbert des Herrn Robert Müller (in der „Literatur") wohl in
Maske und Alter etwas vergriffen. Um so besser wirkte desselben
3
Darstellers feine Charakterisierung des alten Viol'nspielers in der
„Liebelei“. Die kontrastierenden Mädchenfiguren wurden von Marthag
Angerstein (die tiefe, heczensechte Christine) und Else Bock (die 1
leichte, nette Mizi Schlager) wahr und ansprechend verkörpert.