K
9.4
Der gruene Keadu zyklus
Ausschnitt aus: fllgemeine Rundschau, 1ürehen
vom:
B
Kgl. Residenzthealer. Zu der jüngst neu einstudierten „Gefährtin“
Schnitzlers hat man jetzt „Paracelsus“ und den „grünen Kakadu“
grsellt.— Das erstgenannte Vorspiel gefiel in frischer Darstellung recht gut.
Wenn man die Groteske „Kakadu“ aus der französischen Revolutionszeit
hier nochmals spielen wollte, so wären Schauspielhaus und Kammerspiele
die richtigen Stätten gewesen. Man hat ja zuweilen mit Erfolg Stücke
ausgetauscht. Ich erkenne an, daß Schnitzler diese Szenen, in denen sich
aristokratische Herren und Damen aus Sensationssucht ihrer blasierten
Nerven in ein Milien von Dirnen und katilinarischen Existenzen mischen,
rein artistisch genommen, mit einem gewissen starken Können gestaltet"
hat. — darum sind sie — an einer Hofbühne doch fehl am Ort“
„Daran ändert auch die geschice Inszenierung des Herrn Steinrikf nicks.
Neues Münchener Taghlatt
München
Theater und Konzert.
Einakter=Abend im Residenztheater.
Von den vielen,Einaktern Schnitlerser
hat diese Spezies aus begrer
be¬
vorzugt) bekamen wir Samstag eine Garnitur zu
sehen, die uns schön eismal (vor einem Jahrzehnt
etwa) vorgesetzt ward.
In „Parkcelsus“ wählte Schnitzler einen
sehr geeigneten Schauplatz für die Wunder der
Hyypnose. Die Dialektik exakter Schulmedizin,
mystischen Pfuschertums und gediegener Ratsherrn¬
weisheit verquicken sich mit einer Liebesgeschichte
zu einem recht artigen Versspiel.:
Höfer und Basil, die als Ratsherr und
Paracelsus beinah monumentale Figuren schufen,
sprachen die Verse mit einer heutzutage nicht mehr
gewohnten Technik.
Das 2. Stück „Die Gefährtin“ ist von
uns erst kürzlich gewürdigt worden.
Der 3. Einakter „Der grüne Kakadu“.
zeigt wohl wie kein Stück Schnitzlers die Schran¬
ken seiner Kunst. Er spielt in der französischen
Revolutionszeit. Der „grüne Kakadu“ ist eine
unterirdische Künstler=Kneipe und die Szenen, die
dort gemimt werden, sind, da Spaß und Ernst
fortwährend das Gesicht wechseln, sehr realistische
Vorspiele oder richtiger Spiegelbilder der Revo¬
lution. Neben dem Künstler=Personal verkehrt im
„Kakadu“ ganz Paris von der Dirne und dem
wirklichen Verbrecher bis zum höchsten Adel. Und
der Uebergang vom Spiel zum blutigen Ernst, der
wirklichen Ermordung des Herzogs von Cadignan
durch den Schauspieler Henri, der seine Braut
mit dem Herzog überraschte, bildet die um so
wirksamere Katastrophe, als ihr die Erstürmung
der Bastille unmittelbar vorhergeht. Alles in allem
ein theatralisch wirksames Stück, aber mehr durch
Stoff und Milieu, als durch die Behandlung.
Schnitzler hätte in den alten Schlauch einen besser
ausgegorenen und dem gesteigerten Esprit und der
Größe jener Zeit entsprechend, edleren und feue
rigeren Wein füllen können. Bei wiederholte#
Genuß merkt man eine gewisse Schalheit und Ver¬
schnittenheit..— Gespielt wurde durchweg vor¬
trefflich.
-Üx—
Schaufnieleri#
box 16/1
(Quellepangede ehne Gewans).
usschnitt aus: Aligemeins Zeitung, München
102
26 4P0
om:
Dralun Mie
Es scheint übrigens, als ob solch' überraschende Wieder¬
belebungen gerade jetzt gegen den Schluß der Saison sich einer
gwissen Beliebtheit erfreuen, denn auch im Residenztheater
Füben wurde bald darauf eine ähnliche Galvanisierung vor¬
genommen. Dort galt es Arthux Schnitzler, bei dem es eben¬
falls den Anschein hat, als sollte er eine Art Hausdichter für
Insere Hofbühne werden. Letzthin konnten wir schon erzäh¬
len, daß der zweite Dramaturg Dr. Wollf als neuer Regis¬
seur Schnitzlers Einakter „Die Gefährtin“, neu in Szene
setzte. Nun folgten die beiden anderen Stücke nuch, die im
Mai 1899 an derselben Stelle unter Oberregisseur Savits mit
der „Gefährtin“ zusammen einen interessanten Schnitzler¬
Abend gebildet hatten: „Paracelsus" und „Der grüne
Kakadu“. Nur hatte man diesmal nicht wie damals „Die
Gefährtin“ an den Anfang gestellt, sondern sie in die Mitte
genommen und neben Dr. Wollf noch zwei Regisseure, Herrn
Basil und Herrn Steinrück, zu diesem Abend bemüht. Dies¬
mal aber kam es ziemlich umgekehrt: Die düstere „Gefähr¬
Atin“, die jedoch literarisch die sauberste Arbeit von den drei
Stücken ist, fand so ziemlich die meiste Anerkennung. Die
lärmende Groteske „Der grüne Kakadu“ wirkte mehr ab¬
Jonderlich als erfreulich. Für die hypnotischen Künste des
„Paracelsus“, den wieder Herr Basil gab, hatte man diesmal
etwas mehr Verständnis als damals, da inzwischen Hypno¬
tismus und Telepathie auch in deutschen Spitälern, wenn
auch lange nicht so stark wie in den französischen, Eingang
gefunden haben. Im „Paracelsus“ wurde Herr Basil von
Frau v. Hagen, Fräulein Wimplinger und den Herren Höfer,
Wohlmuth und Teschendorff wirksam unterstützt. Im¬
„grünen Kakadu“ gab er wieder den Wirt, der zugleich
Schmierendirektor ist, Herr v. Jacobi, Frau v. Hagen und dis
Herren Graumann, Ulmer und Schwanneke die übrigen
Hauptrollen aus der Reihe der verkommenen Revolutions¬
typen aus den Tagen der Erstürmung der Bastille. Man
sollte fast annehmen, daß man heute noch mehr Verständnis
für die Zeichnung dieser korrumpierten Pariser Gesellschaft
haben könnte als bei der ersten Aufführung, denn inzwischen
hat sich auch die heutige Gesellschaft, und die Pariser nicht
allein, leider mehr jenen Zustünden genähert, als man in
den ersten Jahrzehnten nach dem großen Kriege hätte glauben
sollen. Auch heute gibt es schon bald nichts mehr, was die
erschlafften Nerven unserer Genußmenschen genug aufpeit¬
schen kann, und die Suche nach neuen Reizmitteln ist für
ganze Bevölkerusigsklassen zum einzigen Lebenszweck ge¬
worden.
ZTTren Fr
9.4
Der gruene Keadu zyklus
Ausschnitt aus: fllgemeine Rundschau, 1ürehen
vom:
B
Kgl. Residenzthealer. Zu der jüngst neu einstudierten „Gefährtin“
Schnitzlers hat man jetzt „Paracelsus“ und den „grünen Kakadu“
grsellt.— Das erstgenannte Vorspiel gefiel in frischer Darstellung recht gut.
Wenn man die Groteske „Kakadu“ aus der französischen Revolutionszeit
hier nochmals spielen wollte, so wären Schauspielhaus und Kammerspiele
die richtigen Stätten gewesen. Man hat ja zuweilen mit Erfolg Stücke
ausgetauscht. Ich erkenne an, daß Schnitzler diese Szenen, in denen sich
aristokratische Herren und Damen aus Sensationssucht ihrer blasierten
Nerven in ein Milien von Dirnen und katilinarischen Existenzen mischen,
rein artistisch genommen, mit einem gewissen starken Können gestaltet"
hat. — darum sind sie — an einer Hofbühne doch fehl am Ort“
„Daran ändert auch die geschice Inszenierung des Herrn Steinrikf nicks.
Neues Münchener Taghlatt
München
Theater und Konzert.
Einakter=Abend im Residenztheater.
Von den vielen,Einaktern Schnitlerser
hat diese Spezies aus begrer
be¬
vorzugt) bekamen wir Samstag eine Garnitur zu
sehen, die uns schön eismal (vor einem Jahrzehnt
etwa) vorgesetzt ward.
In „Parkcelsus“ wählte Schnitzler einen
sehr geeigneten Schauplatz für die Wunder der
Hyypnose. Die Dialektik exakter Schulmedizin,
mystischen Pfuschertums und gediegener Ratsherrn¬
weisheit verquicken sich mit einer Liebesgeschichte
zu einem recht artigen Versspiel.:
Höfer und Basil, die als Ratsherr und
Paracelsus beinah monumentale Figuren schufen,
sprachen die Verse mit einer heutzutage nicht mehr
gewohnten Technik.
Das 2. Stück „Die Gefährtin“ ist von
uns erst kürzlich gewürdigt worden.
Der 3. Einakter „Der grüne Kakadu“.
zeigt wohl wie kein Stück Schnitzlers die Schran¬
ken seiner Kunst. Er spielt in der französischen
Revolutionszeit. Der „grüne Kakadu“ ist eine
unterirdische Künstler=Kneipe und die Szenen, die
dort gemimt werden, sind, da Spaß und Ernst
fortwährend das Gesicht wechseln, sehr realistische
Vorspiele oder richtiger Spiegelbilder der Revo¬
lution. Neben dem Künstler=Personal verkehrt im
„Kakadu“ ganz Paris von der Dirne und dem
wirklichen Verbrecher bis zum höchsten Adel. Und
der Uebergang vom Spiel zum blutigen Ernst, der
wirklichen Ermordung des Herzogs von Cadignan
durch den Schauspieler Henri, der seine Braut
mit dem Herzog überraschte, bildet die um so
wirksamere Katastrophe, als ihr die Erstürmung
der Bastille unmittelbar vorhergeht. Alles in allem
ein theatralisch wirksames Stück, aber mehr durch
Stoff und Milieu, als durch die Behandlung.
Schnitzler hätte in den alten Schlauch einen besser
ausgegorenen und dem gesteigerten Esprit und der
Größe jener Zeit entsprechend, edleren und feue
rigeren Wein füllen können. Bei wiederholte#
Genuß merkt man eine gewisse Schalheit und Ver¬
schnittenheit..— Gespielt wurde durchweg vor¬
trefflich.
-Üx—
Schaufnieleri#
box 16/1
(Quellepangede ehne Gewans).
usschnitt aus: Aligemeins Zeitung, München
102
26 4P0
om:
Dralun Mie
Es scheint übrigens, als ob solch' überraschende Wieder¬
belebungen gerade jetzt gegen den Schluß der Saison sich einer
gwissen Beliebtheit erfreuen, denn auch im Residenztheater
Füben wurde bald darauf eine ähnliche Galvanisierung vor¬
genommen. Dort galt es Arthux Schnitzler, bei dem es eben¬
falls den Anschein hat, als sollte er eine Art Hausdichter für
Insere Hofbühne werden. Letzthin konnten wir schon erzäh¬
len, daß der zweite Dramaturg Dr. Wollf als neuer Regis¬
seur Schnitzlers Einakter „Die Gefährtin“, neu in Szene
setzte. Nun folgten die beiden anderen Stücke nuch, die im
Mai 1899 an derselben Stelle unter Oberregisseur Savits mit
der „Gefährtin“ zusammen einen interessanten Schnitzler¬
Abend gebildet hatten: „Paracelsus" und „Der grüne
Kakadu“. Nur hatte man diesmal nicht wie damals „Die
Gefährtin“ an den Anfang gestellt, sondern sie in die Mitte
genommen und neben Dr. Wollf noch zwei Regisseure, Herrn
Basil und Herrn Steinrück, zu diesem Abend bemüht. Dies¬
mal aber kam es ziemlich umgekehrt: Die düstere „Gefähr¬
Atin“, die jedoch literarisch die sauberste Arbeit von den drei
Stücken ist, fand so ziemlich die meiste Anerkennung. Die
lärmende Groteske „Der grüne Kakadu“ wirkte mehr ab¬
Jonderlich als erfreulich. Für die hypnotischen Künste des
„Paracelsus“, den wieder Herr Basil gab, hatte man diesmal
etwas mehr Verständnis als damals, da inzwischen Hypno¬
tismus und Telepathie auch in deutschen Spitälern, wenn
auch lange nicht so stark wie in den französischen, Eingang
gefunden haben. Im „Paracelsus“ wurde Herr Basil von
Frau v. Hagen, Fräulein Wimplinger und den Herren Höfer,
Wohlmuth und Teschendorff wirksam unterstützt. Im¬
„grünen Kakadu“ gab er wieder den Wirt, der zugleich
Schmierendirektor ist, Herr v. Jacobi, Frau v. Hagen und dis
Herren Graumann, Ulmer und Schwanneke die übrigen
Hauptrollen aus der Reihe der verkommenen Revolutions¬
typen aus den Tagen der Erstürmung der Bastille. Man
sollte fast annehmen, daß man heute noch mehr Verständnis
für die Zeichnung dieser korrumpierten Pariser Gesellschaft
haben könnte als bei der ersten Aufführung, denn inzwischen
hat sich auch die heutige Gesellschaft, und die Pariser nicht
allein, leider mehr jenen Zustünden genähert, als man in
den ersten Jahrzehnten nach dem großen Kriege hätte glauben
sollen. Auch heute gibt es schon bald nichts mehr, was die
erschlafften Nerven unserer Genußmenschen genug aufpeit¬
schen kann, und die Suche nach neuen Reizmitteln ist für
ganze Bevölkerusigsklassen zum einzigen Lebenszweck ge¬
worden.
ZTTren Fr