racelsus
9.1. P. . d d
box 14/6
„ODSERVEN
Nr. 7
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelö“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Nowyork, Paris, Stockholm.
Ausschnitt aus:
720
vom
M
Die Bühnen.
—— Deutsches Theater. Gestern zum ersten Male
„Winterschlaf“ Drama in drei Akten von Max Dreyer.
Beim Aufgehen des Vorhangs erblicken wir eine gemüthliche,
von einem mächtigen Kachelosen durchwärmte Försterstube; draußen
hinter dem Fenster wirbeln die Schneeflocken zwischen den Tannen,
der Sturm heult um die Wände, und wir glauben es gern, daß
wir uns tiefmitten im Walde, fern jeder heuchlerischen, über¬
tünchten Stadtkultur befinden. Der alte, kreuzbrave, knurrige
Förster Ahrens mit dem riesigen Bart, den riesigen
Stiefeln und den bescheidenen, orthographischen Kenntnissen,
die schwer
behandelnde,
weisheitsvolle Tante
Gerloff“ mit dem ebenfalls riesigen Strickstrumpf, das sich
langweilende, nach Höherem sich sehnende Töchterchen „Trude“,
thörichterweise erzogen in der, Försterbildungsverhältnisse weit
übersteigenden städtischen Pension, der robuste, grob=energische, an¬
Bildung tiefer stehende und daher nicht für sie passende Ver¬
lobte, der Forstgehilfe
„Voigt“
Alles liebe, gute
Bekannte aus Leihbibliotheksromanen!
Jetzt fehlt
nur noch — Wer? — „Er!“, der Geistige! Im Schnee ver¬
Für
50 schüttet, wird er in Gestalt eines wandernden (— von Redaktion sv#
100 zu Redaktion wandernden? —) Schriftstellers von den biederen.
200 Forstleuten aufgefunden, und so kommt er, d. h. er wird herein=ar
500 getragen, die Handlung, das eherne, schnurrbartbewaffnete Schicksal, zus.
1000 wird auf die Bühne getragen. „Er und Sie“, das ewige
das
Iin Paar, diesmal Trude und Hans genannt, verstehen sich sofort
Abonnem
wundervoll. Furchtbar interessant! O seliger Benedix, bist
Abonnent
[Du noch immer nicht todt?! Holde Phrasen von „Menschen¬
beglückung“, von „sozialem Liebeswerk“, von „Lebenausfüllen“.
und „Kräfte bethätigen", wo „draußen“ so viel Kräfte „ge¬
braucht“ werden — na, wenn das nicht modern ist?! — flüstert
man geheimnißvoll. Trude hört athemlos zu; sie hat ein schreck¬
liches Loos getroffen, im Winterschlaf hat sie bis jetzt gelebt,
noch niemals Berlin und — man denke! — noch niemals elektrisches
Licht gesehen. Das arme Kind! Die horchende, alte D#
murmelte etwas wie „Quatsch!“ Sehr richtig! schallt es als
infernalisches Echo aus der litterarischen Loge; denn dieser in
ewigem Kampfe mit dem Gerichtsvollzieher stehende Dichtersmann,
dieser unpraktische, unklare und, was das Schlimmste ist, als
Meusch unbedeutend erscheinende Scribifax, wird niemals
Haus
im Stande sein, aus eigener Kraft sich ein
dazu
zu gründen, viel weniger vermögen, Anderen
oder vielleicht gerade
zu verhelfen. Trotz alledem
darum! — verliebt sich das welt= und menschenunkundige
Mädchen in den Beschnurrbarteten, der nach des Dichters Willen
die geistige Freiheit personifiziren soll, in Wirklichkeit sie jedoch
durch seine unbedeutende, nichtssagende Individualität kläglich
herabsetzt. Trude erfährt von ihm, daß er morgen nach
Berlin reisen will, und, um ihm nahe zu bleiben,
ist sie entschlossen, dort eine Stellung als Kind ergärtnerin an¬
zunehmen, wahrscheinlich um sich an dem „sozialen Liebeswerk“
zu „bethätigen“. Papa Förster schnuppert einen Augenblick be¬
denklich, als ob er den Braten röche, dann aber, als ihm das
Töchterchen vorlügt, daß sie nur, um die Welt kennen
lernen, hinaus wolle, beruhigt er sich und giebt seine
der
Einwilligung, vorausgesetzt, daß „Franz Voigt“
Verlobte nichts einzuwenden habe. Dieser aber läßt sich nicht
irreführen, rasend vor Eifersucht giebt er zwar scheinbar, um
einen offenen Bruch mit der Geliebten zu vermeiden, seine Ein¬
da¬
willigung, schleicht sich jedoch in ihre Kammer,
sie durch ihre gewaltsame Entehrung sich
mit er
sichere — ein ebenso praktischer, als gemüthvoll denkender
moderner Romeo! Am nächsten Morgen erfährt Papa Ahrens
das Gräßliche und in tragischer Entrüstung über den infamen
Bengel, der sich allzu vorzeitig in die Blutsverwandtschaft ein¬
drängen will, greift er zum — Schwert? — nein, zum Stock.
Allein, bevor es zum Aeußersten, d. h. zu Hieben kommt,
ihrer einsamen Kammer das
hat sich Trude in
Merkwürdige- Weise in dem Augen¬
n. Schl##
9.1. P. . d d
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„ODSERVEN
Nr. 7
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelö“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Nowyork, Paris, Stockholm.
Ausschnitt aus:
720
vom
M
Die Bühnen.
—— Deutsches Theater. Gestern zum ersten Male
„Winterschlaf“ Drama in drei Akten von Max Dreyer.
Beim Aufgehen des Vorhangs erblicken wir eine gemüthliche,
von einem mächtigen Kachelosen durchwärmte Försterstube; draußen
hinter dem Fenster wirbeln die Schneeflocken zwischen den Tannen,
der Sturm heult um die Wände, und wir glauben es gern, daß
wir uns tiefmitten im Walde, fern jeder heuchlerischen, über¬
tünchten Stadtkultur befinden. Der alte, kreuzbrave, knurrige
Förster Ahrens mit dem riesigen Bart, den riesigen
Stiefeln und den bescheidenen, orthographischen Kenntnissen,
die schwer
behandelnde,
weisheitsvolle Tante
Gerloff“ mit dem ebenfalls riesigen Strickstrumpf, das sich
langweilende, nach Höherem sich sehnende Töchterchen „Trude“,
thörichterweise erzogen in der, Försterbildungsverhältnisse weit
übersteigenden städtischen Pension, der robuste, grob=energische, an¬
Bildung tiefer stehende und daher nicht für sie passende Ver¬
lobte, der Forstgehilfe
„Voigt“
Alles liebe, gute
Bekannte aus Leihbibliotheksromanen!
Jetzt fehlt
nur noch — Wer? — „Er!“, der Geistige! Im Schnee ver¬
Für
50 schüttet, wird er in Gestalt eines wandernden (— von Redaktion sv#
100 zu Redaktion wandernden? —) Schriftstellers von den biederen.
200 Forstleuten aufgefunden, und so kommt er, d. h. er wird herein=ar
500 getragen, die Handlung, das eherne, schnurrbartbewaffnete Schicksal, zus.
1000 wird auf die Bühne getragen. „Er und Sie“, das ewige
das
Iin Paar, diesmal Trude und Hans genannt, verstehen sich sofort
Abonnem
wundervoll. Furchtbar interessant! O seliger Benedix, bist
Abonnent
[Du noch immer nicht todt?! Holde Phrasen von „Menschen¬
beglückung“, von „sozialem Liebeswerk“, von „Lebenausfüllen“.
und „Kräfte bethätigen", wo „draußen“ so viel Kräfte „ge¬
braucht“ werden — na, wenn das nicht modern ist?! — flüstert
man geheimnißvoll. Trude hört athemlos zu; sie hat ein schreck¬
liches Loos getroffen, im Winterschlaf hat sie bis jetzt gelebt,
noch niemals Berlin und — man denke! — noch niemals elektrisches
Licht gesehen. Das arme Kind! Die horchende, alte D#
murmelte etwas wie „Quatsch!“ Sehr richtig! schallt es als
infernalisches Echo aus der litterarischen Loge; denn dieser in
ewigem Kampfe mit dem Gerichtsvollzieher stehende Dichtersmann,
dieser unpraktische, unklare und, was das Schlimmste ist, als
Meusch unbedeutend erscheinende Scribifax, wird niemals
Haus
im Stande sein, aus eigener Kraft sich ein
dazu
zu gründen, viel weniger vermögen, Anderen
oder vielleicht gerade
zu verhelfen. Trotz alledem
darum! — verliebt sich das welt= und menschenunkundige
Mädchen in den Beschnurrbarteten, der nach des Dichters Willen
die geistige Freiheit personifiziren soll, in Wirklichkeit sie jedoch
durch seine unbedeutende, nichtssagende Individualität kläglich
herabsetzt. Trude erfährt von ihm, daß er morgen nach
Berlin reisen will, und, um ihm nahe zu bleiben,
ist sie entschlossen, dort eine Stellung als Kind ergärtnerin an¬
zunehmen, wahrscheinlich um sich an dem „sozialen Liebeswerk“
zu „bethätigen“. Papa Förster schnuppert einen Augenblick be¬
denklich, als ob er den Braten röche, dann aber, als ihm das
Töchterchen vorlügt, daß sie nur, um die Welt kennen
lernen, hinaus wolle, beruhigt er sich und giebt seine
der
Einwilligung, vorausgesetzt, daß „Franz Voigt“
Verlobte nichts einzuwenden habe. Dieser aber läßt sich nicht
irreführen, rasend vor Eifersucht giebt er zwar scheinbar, um
einen offenen Bruch mit der Geliebten zu vermeiden, seine Ein¬
da¬
willigung, schleicht sich jedoch in ihre Kammer,
sie durch ihre gewaltsame Entehrung sich
mit er
sichere — ein ebenso praktischer, als gemüthvoll denkender
moderner Romeo! Am nächsten Morgen erfährt Papa Ahrens
das Gräßliche und in tragischer Entrüstung über den infamen
Bengel, der sich allzu vorzeitig in die Blutsverwandtschaft ein¬
drängen will, greift er zum — Schwert? — nein, zum Stock.
Allein, bevor es zum Aeußersten, d. h. zu Hieben kommt,
ihrer einsamen Kammer das
hat sich Trude in
Merkwürdige- Weise in dem Augen¬
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