II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 1), Paracelsus. Versspiel in einem Akt, Seite 25


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Alexander Moissi, Renée Stobrawa, Walter Brandt in Schniilers „Paracelsus“.
Es ist jetzt die Jahreszeit da die Theaterdirektoren nicht gute
mit süßer Zunge, er ist der Gütige, und schließlich hat er die große
Stücke für das Publikum heraussuchen, sondern gute Stücke für die
Szene der Demütigung, als er, statt bestraft zu werden, entlaufen
großen Mimen, die sich mal wieder in Berlin sehen lassen.
darf und noch dazu das Gestohlene als Geschenk erhält. Da exekutiert
Publikum und Kritik brauchten sich also eigentlich weder um die
er, durch diese Güte härter gestraft als durch Strafe, die berühmte
Stücke noch um die Aufföhrung kümmern, sondern nur um den,
Verneigung, da bricht Schluchzen aus ihm, da ist er ganz Buße und
um dessentwillen Stück und Aufführung gestartet werden.
Beschämung. Das alles macht Moissi mit schelmischer Grazie, ein
Nur durch eine Wand getrennt, spielt nun in den Kammerspielen
wenig sehr deutlich und wohlgefällig ... immer als Paracelsus wie
Bassermann Schnitzler, und im Deutschen Theater Moissi
Schnitzler... hier der große Bariton, dort der große Tenorio
der Schauspielkunst. Sie spielen gerade den unbedeutendsten
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Schnitzler, denn es wird ja nicht Schnitzler Schnitzlers wegen,
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sondern Bassermanns und Moissis wegen gespielt. Moissi gibt (in

Berlin zum erstenmal) Schnitzlers Versstückchen im Renaissange¬

kostüm „Paracelsus“ das in seiner harmlosen Tändelei
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manchmal an Koppel=Ellfelds „Goldene Eva“ erinnert, aber doch
mit einem tiefen Sinn untermalt ist.
Schnitzler ist bekanntlich der deutsche Dramatiker, in dessen
Stücke am meisten Verführung und Ehebruch getrieben wird. Hier

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nun ist der Trick, daß kein Ehebruch geschehen ist (noch nicht). Die
Frau des Baseler Biebermanns wird jedoch von Paracelsus derart


hypnotisiert, daß sie glaubt, sie habe bereits wirklich Ehebruch ge¬
trieben. So tritt sie (eine Trilby der Renaissance) dem Gaiien

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und dem #eliebten gegenüber, von ihrer Unzucht so überzeugt, und
Die anderen überzeugend, daß keiner mehr weiß, was Wahrheit war.
4.—
Philippus Aureolus Paracelsus Theophrastus von Hohenheim,
genannt Bombastus, ein großer Arzt, Bagant und Philosoph in
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, den man damals als einen
Quacksalber verlästerte, und der gerade deshalb größten Zulauf
hatte (denn immer erwirken die Quacksalber, nicht die Reellen, die
stärksten Erfolge, weshalb sich schon oft Reelle als Quacksalber ver¬
stellten . . . vielleicht war's so auch beim Paracelsus, den heut¬

zutage Aerzte w.. Philosophen wieder recht ernst nehmen und durch
Neudrucke ehren) — Paracelsus also will sich eigentlich nur an dem
hochfahrenden Jugendfreund und dessen Ehesicherheit rächen — er
hatte einst die Frau selbst geliebt, und sie ihn . . . und plötzlich
schwillt aus seinem Experiment eine tiefere Bedeutung hervor, den
uns vor kurzem sehr ergötzlich auch Pirandello in „So ist es —
ist es so“ auf dem Theater auseinanderklabuserte. Die Lehre beider
Stücke stimmt merkwürdigerweise fast wörtlich überein: „Sicher¬
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heit ist nirgends, wir wissen nichts von anderen, nichts von uns.“

Es ist so, als hätte Paracelsus Kant und Einstein gelesen, aber es
Alexander Moissi. #. M13.
ist wahrscheinlicher, daß Kant und Einstein Paracelsus lasen.
als Wanderbursche mit süßer Stimme, ohne süßlich zu werden, aber
Den Paracelsus spielt Moissi halb listig=pfiffig, halb gütig¬
jeden Vokal so auskostend, als sei er ein Schluck 21er Wein.
weise... teils überlegen. teils demütig ..., allerdings ohne die
Und hiermit wirkt er immer noch so zauberisch auf die Jugend
dämonische Magie, die diesem Manne innewohnte, und die auch
daß sie jedesmal nicht eher das Theater verläßt, als bis Moissi, nach
Schnitzler ahnen läßt ... dagegen mit einem Schuß von Apostel¬
altem Brauch, schon abgeschminkt, im Paletot aus dem Türchen des
tum, wie Moissi das liebt, und wie er so etwas am besten von allen
Eisernen Vorhangs tritt, und nun im Leben den Verehrenden die
lebenden Schauspielern kann . .. und wie er sich auch den Wan¬
Hände reicht und lächelt mit schiefgeneigtem Kopf wie vorhin im
derburschen in Tolstois kleiner Studie aus dem russischen Volks¬
Stück. Diese letzte Szene gehört zu jeder Moissi=Aufführung und
leben „Er ist an allem schuld" zurechtgelegt hat. Als
muß deshalb wieder einmal erwähnt werden.
Paracelsus ist er würdig mit lyrischer Salbung, als Wanderbursch
Schnißlers „Paracelsus“ wurde sonst leider gespielt, als wäre er
fast ausgelassen heiter, aber still vor sich hin. Als armseliger, zer¬
wirklich von Koppel Ellfeld und nicht von Schnitzler: wie jene süß.
schlissener Tramp kommt er flachsblond, mit breiter, bunter Kra¬
lichen Kostümstücke des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die so ver¬
watte, mit trippelnden Schritten, verschmitzt, mit aufgelesenen,
fälscht waren wie die Kitscharchitektur dieser Zeit. Ohne Atmo¬
Erst den armen Bauern
angelesenen Fremdwörtern.
sphäre, zerdehnt, mit dilletantischen Humoren; und man vergaß
Gutes antuend, indem er die Saufbolde zur Ruhe bringt (denn er —
sogar die Sonne untergehen zu lassen, womit die Schlußpointe, daß
der Alkohol — ist an allem schuld), dann, sich selbst besaufend, beklaut
die Frau von ihrer Trance geheilt ist, sobald die Sonne sinkt, worauf
er seine Gastgeber und, erwischt, demütigt er sich. Hier kann Moissi
Kurt Pinthus
sich in harmloser Weise ausleben: er singt ein Volkslied, er überredet] alle warten, unwirksam ward.