II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 1), Paracelsus. Versspiel in einem Akt, Seite 41


Paracelsus
9.1.
box 14/6
Tarassrsus

Verbarrctet
yBetcrt
schen Zeitung vom Sonnabend, 14. Juli
1928
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eine ganze Literatur der musikalischen Aesthetik durch sein Werk
ruhm erlangt. Ueber den Durchschnitt der dilettantischen Instru¬
„Wer ist musikalisch?“ eingeleitet. Unter dem gleichen Titel
mentalisten reichen allein in Berlin die Leistungen der Medi¬
hat neuerdings der Freiburger Physiologe von Kries ein Buch
ziner His, Czerny, Fedor, Krause, Simons, Wolff (auch als
veröffentlicht, in dem er mit dem ganzen Rüstzeug eigener For¬
Komponist hochbeachtlich), M. Cohn, Lewandowsky, Ziegler,
schung und unter Verarbeiten des gesamten Stoffes die Grund¬
Schillings und mancher anderer hervor.
lagen des musikalisch Schönen festlegt und die Prozesse des
Aerzte waren es auch, die den physiologischen Einfluß
Hörens, der Umwertung der Musik, der Erzeugung schönheitsfreu¬
der Musik auf Kranke und Gesunde studierten und gefunden haben,
diger Gefühle durch die Mulik wissenschaftlich verarbeitet hat.
daß mit der musikalischen Empfindung als Ausdruck der Lust¬
Haecker, Ziehen und Kammerer haben über die Vererbung des
empfindung eine Verlangsamung des Pulses und der Atmung
musikalischen Talents Untersuchungen angestellt. Der Berliner
einteitt. Die stärksten Lustempfindungen treten auf beim Re¬
Physiologe W. Trendelenburg hat die Kunst des Spielens
kapitulieren bekannter Stücke. Französische Untersucher fanden,
der Streichinstrumente nach allen Seiten der Physik und Physio¬
daß Moll=Musik den Blutdruck unwesentlich, Dur=Musik
klogie theoretisch und praktisch durchgearbeitet, und Löwy und wesentlich erhöhe. Daß auch die Leistungsfähigkeit der Muskeln
Schrötter untersuchten den Eyergieverbrauch der klavierspielen¬
durch Musik erhöht ist, weiß man seit langer Zeit. Arbeitende
den Künstler. Max Dessoir hat in seinem Werke „Aesthetik
und marschierende Menschen singen zur Erleichterung ihrer Tätig¬
und Kunstwissenschaft“ Wesentliches zur Frage der Musikästhetik
keit. Pausen und Wechsel im Takt können wesentlich zur Er¬
und Musikpsychologie beigetragen, dem Kurt Singer selbst in
höhung der Arbeitslast beitragen. Auch die Sinnesorgane be¬
seinen Werken über das Wesen der Musik und ihre Heilwirkung
ginnen unter dem Einfluß der Musik anders als sonst zu arbeiten.
gefolgt ist. Flesch und Singer haben in ihren Lehrbüchern
Schon das klassische Griechenland und das Alte Testament kannten
die Berufskrankheiten der Musiker bearbeitet. Der kürzlich ver¬
die Heilkraft der Musik, ebenso bringt das Neue Testament
storbene Professor Dr. Pollack, der ein virtuoser Pianist gewesen
mannigfaltige Beispiele von Beeinflussung seelisch Leidender durch
ist, einst mit Kreisler durch Amerika zog und mit der Teresa
Musik. Singer erinnert daran, daß bei einer bestimmten Art der
Careno auf zwei Flügeln spielte, der Leiter des Berliner Volks¬
seelischen Beeinflussung, nämlich der verbalen Suggestion, schon
chors Zander, sind Mediziner Zur Physiologie des Kunstgesanges
das gesprochene Wort durch besondere Nuancen des Tonfalls und
haben Aerzte, wis Barth, Gutzmann, Flatau, Katzenstein, Nado¬
des Rhythmus als Musik in das Ohr und in die Seele des
leczny, Nadolgwitsch und andere wichtige Beiträge geliefert. Die
Patienten eindringt. Hier ist dem ärztlichen Beruf geradezu
Mediziner de Bary und Briesemeister haben als Sänger Welt= eine musikalische Komponente gegeben.
Paracelsus-Renaissance
„Sagekraft“ und „Sichtrede“ willen rückt er den Paracelsus unter
Zu Friedrich Gundolfs Buch
die großen Rede=Menschen, die genialen Sager, in die Nähe
Luthers etwa oder Sebastian Franks.
Es gibt, neben vielen anderen, auch eine Paracelsus=Renaissance.
Der Name des Theophrastus Bombastus von Hohen¬
Diese Untersuchung führt Gundolf über den Paracelsus hinaus
heim wird nicht nur von Fachmedizinern, die ja neuerdings so
zu einem ganz allgemeinen Problem, dem Problem des Gelehrten¬
viel Sinn für die Geschichte ihrer Wissenschaft haben, bei fest¬
Stils überhaupt: wie weit ist naturwissenschaftliche, ja wissen¬
lichen Gelegenheiten
Rektoratsreden, Kongressen, populären
schaftliche Literatur möglich, die mehr ist als bloße Fach=Literatur?
Vorträgen — fast so gern und häufig zitiert wie Altmeister Hippo¬
Es ist klar, daß der Naturforscher hier schlimmer daran ist als
krates. Der Leipziger Medizinhistoriker Sudhoff gibt, nach
der Geisteswissenschaftler, weil er schon durch seinen Gegenstand
streng philologischer Methode, des Paracelsus sämtliche Werke her¬
— und sei es der Mensch — immer weiter weggerät vom Menschen,
aus; das „Paramirum“ erschien bei Diederichs unter dem Titel
weil er selbst das Leben — auch das des Kranken — als „Ding.
„Von Krankheit und gesundem Leben“, kommentiert von I. D.
masse“ zu behandeln geneigt oder genötigt ist Immerhin könnte
Achelis. Erwin Guido Kolbenheyer, Mitglied der
man sagen, bleibt auch die Sprache eines Max Weber (bei dem
Dichterakademie und Dr. med h. c., baute um den Arzt und
ja übrigens das sogenannte Gedanken=Experiment eine
Mystiker eine Romantrilogie, und Arthur Schnitzler legte
methodisch wichtige Rolle spielt!) kaum hinter der naturwissen¬
ihm, vor Jahren schon, seine oberflächlich=tiefsinnige Weisheit in
schaftlichen zurück auf dem Wege der „Entichung und Dingver¬
den Mund, die für den Arzt des ausgehenden neunzehnten Jahr¬
formelung“, ist fast ebensosehr bloße Chiffersprache geworden mit
hunderts charakteristischer sein dürfte als für den des sechzahntens
dem geradezu bewußten Ideal der chemischen oder mathematischen
„Sicherheit ist nirgends. Wir wissen nichts von anderen, nichts
Symbolsprache. Damit aber ist die Ausschaltung des
von uns; wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“
Menschlichen vollzogen, die „Forschungssprache ist Hand¬
Gundolf in seinem „Paracelsus“ (Georg Bondi, Berlin)
werksgerät wie Mikroskop und Retorte, Geburtszange und Akku¬
ist gleich weit entfernt von Schnitzlers spielerisch=modernem Skep¬
mulator“. Ueberflüssig zu sagen, daß dies Gundolf ein Greuel
tizismus, Kolbenheyers „gotelnder und mystelnder“ Romantik, wie
sein muß. Er war ja auf die Medizin und auf die Naturwissen¬
freilich auch von irgendwelcher medizinischen Philologie und ge¬
schaft nie sehr gut zu sprechen, an vielen Stellen finden sich bei
lehrten Kommentatoren=Tätigkeit. Er will hier so wenig wie sonst
ihm prinzipielle Ausfälle oder kleine Seitenhiebe auf diese wenn
je die fachlich=philologische Literatur vermehren, sondern „die
nicht Erfindung so doch Renommierleistung des von dem George¬
Kreis in Bausch und Bogen verdammten neunzehnten Jahr¬
gesamtgeistige Art des Mannes zeigen, der wie kein anderer Arzt
der neueren Zeit unmittelbar der Geistesgeschichte angehört“. Was
hunderts. Wenn er jetzt versucht, der Medizin sozusagen eine
bessere Seite abzugewinnen so ist es charatteristise
Drei
ihn an der Gestalt des Paracellus reizt, ist das, mas über das