II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 1), Paracelsus. Versspiel in einem Akt, Seite 56

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Telephon 12.801.
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l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschultte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ehne Gewähr).
Ausschnltt
BERLINER TAGBLATT
vom: 12 StP 1900
Lessing=Theater.
F. L, Brahm pflegt am Beginn der neuen Saison Axthur
Schnitzler. Nach der Auffrischung des „Zwischenspiels“ erkebte
man gestern Abend eines jener kleinen Diakogstücke, in denen der
Wiener Dichter seine intime Kunst, feelische Geheimnisse aufzudecken,
in der suhtüisten und knappsten äußeren Form dariut. In dem ein¬
aktigen Schauspiel „Die Gefährtin, das vor zehn Jahren
zuerst an Brahms Deutschem Theater erschien, nimmt Schnitzler ein
altes, nie zu Ende gedichtetes Thema auf: zwei Männer um eine Frau.
Der Verrat in der Ehe, den der betroffene Gatte mit bitterer Be¬
scheidung, in einer philosophischen Erkenntnis von dr Unzuverlässig¬
keit, der Wandelhaftigkeit unseres Gefühlslehens hinnimmt. Er
glaubt, daß die Frau, die ihm eine Gefährtin sein sollte,
aber nur für eine Geliebte geschaffen war, bei „dem Anderen“ das
Glück fand = bis er nach ihrem Tode erfahren muß, daß sie auch
diesem Anderen nur eine Geliebte war, nichts anderes sein wollte.
Eine niederschmetternde Lebenslüge, die einen Ausgang von grau¬
somer Tragik findet; für die Duldung eines vornehmen Herzens
muß Schmutz und Ekel eingetauscht werden. In der verhaltenen
Spannung dieser Szenen wächst eine Dramatik heran, aus der Er¬
schütterung fließt. Oscar Sauer nahm das äußerste seiner großen
Kunft zu Hilfe, einen Menschen von fast erschreckender Lebensnähe
zu schaffen; er stand in der Figur des wissenden Gatten wie ein un¬
bestechlicher Beobachter seines Geschickes da und tat eine Innenwelt
voll strömender Fülle auf, überall durchlichtet von den Nuancen seines
beispiellos diskreten Andeutungsvermögens. Der Professor Pil¬
gram muß hinfort zu den vollendetsten Schöpfungen dieses Künstler¬
psychologen gerechnet werden. Neben ihm standen Mathilde
sin und Kurt Stieler in einer schwierigen Situation, die
sie aber mit feinem Gefühl zu beherrschen wußten. Das ganze kleine
Werk, in dieser Darstellung den starken Beifall der Hörer ein¬
fordernd, erschien so als eine neue Offenbarung des reinen, von
allem Theatermäßigen befreiten Geistes, der diese Stätte über alles,
was „Bühne“ heißt, hinaushebt.
Von köstlicher Vollendung war auch das, was nachfolgte:
„Hannele= Himmelfahrt“. In einer Neueinstudierung, die
die früheren Aufführungen des Hauptmannschen Wunderdramas von
der armen, reichen Herrlichkeit eines Kindes — so trefflich sie auch
waren — auslöschte. Ein tiefes Ergriffensein wehte durch das Haus.
wenn Ida Orkoffs Hannele ihre süße Stimme vor der Erfüllung
ihrer Himmelssehnsucht klingen ließ, wenn Heinz Monnard
als heiliger Fremder von den Wundern der ewigen Jenseits=Stadt
erzählte, wenn Irene Triesch als Mutter des armen Hannele
winkte und rief. Emanuek Reicher, der diesmal den Mattern
spielte, Karl Forest als Pleschke und Mathilde Sussin.
die sanfte Diakonissin, sollen nicht vergessen werden.

Vösterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitunge-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
1231319Oessische Zeitung, Eeil
vom:
Theaker und Musik.
Im Lessingtheater wurde gestern abend Gerhart Hauptmanns
Traumdichtung „Hannele“ neu aufgenommen, der eine angeblich
erste Aufführung von Arthur Schnitzlers Einakter „Die Ge¬
fährtin“ voraufging. Dieses kleine Schauspiel erschien vor zehn
Jahren unter derselben Direktion im Lessingtheater, und es verschwand
ziemlich geräuschlos, ohne sich weiter vermissen zu lassen. In dieser dra¬
matisierten Novelle hat Schnitzler auf seinen Geist verzichtet, er will auf
schmucklose Weise wahr sein, und das gelingt ihm auch auf gewisse
Weise bis zu einer trüben Monotonie, die mehr bedrückt als über¬
zeugt. Es ist die Geschichte eines Witwers, der seine Frau schon
bei Lebzeiten sehenden Anges an einen anderen verloren hat,
und der an dem Tage ihres Begräbnisses erfährt, daß die
beiden Canaillen waren, die sich nur in der niederen Minne
amüsierten, und das Opfer des Verzichts gar nicht verlangten, das er
einer tiefen Leidenschaft hatte bringen wollen. Der Professor
schließt das Zimmer seiner Frau zu und sperrt darin seine
Illusionen ein, ein Lächeluder, ein Befreiter, ein Weiser:
ieben
wird nun weniger zu glauben und dafür mehr zu
das Mißliche, das Undramatische und
haben.
auch Unseelische an diesem Einakter, daß keine innerliche
Sprungfeder diese Entwicklung des Cyarakters heraushebt. Der
Mann wird aufgeklärt und klar, aber sein Temperament handelt
nicht, nur seine Intelligenz. Für den Schauspieler kommt es darauf
an, die Vergaugenheit des Ehemannes dramatisch zu machen, an dem
Kühlen, Klugen, Enttäuschten den zuckenden Nerv fühlbar zu machen,
der trotz aller Weisheit so lange weh getan hat. Das gelang Herrn
Sauer mit einer so großen Meisterschaft, daß das verschollene Stück
wieder zu dringendster Gegenwart kam. Dieser einfachste Künstler
tut dankenswert wenig, um den großen Gelehrten und seinen
Weltmann zu markieren. Seine vergeistigte Schlankheit drückt
das selbstverständlich aus und die errechnete Wahrheit der
Figur macht er natürlich indem er unter ihrer Selbst¬
beherrschung das grollende Leid mühelos andeutet. Um er selbst zu
bleiben, sollte Sauer aber den letzten Moment des Triumphes
über seine Illusion im stummen Spiel nicht zu lange ausdehnen.
Es genügt, wenn der Zuschauer verstanden hat. Die beiden anderen
Figuren sind nur für den Monolog des Professors da, sie haben
wenig Existenz für sich. Herr Stieler ließ sich als Liebhaber au¬
ständig herauswerfen; Fräulein Sussin gab eine recht unglückliche
Vertraute, die man immerhin geschickter behandeln könnte.
Das „Hannele“ ist von Ludwig von Hofmann neu aus¬
stafsiert worden, ohne daß die Dekoration einen so bedeutenden Urheber.
verriet. Die himmlischen Gestalten des Traumbildes haben mehr Gold
auf ihre Kleider bekommen, auf den Zungen hatten sie es jedenfalls nicht.
Die drei Engel namentlich sagten ihre Verse genau so erbärmlich
auf wie früher, so daß der erste Teil ganz um seinen Schlußrekord
kam. Der Engel des Todes kommt jetzt mit riesigen Flügeln auf
das sterbende Hannele zu, wie um sie zu beschatten, eine schöne
Idee, die allerdings in der sinnfälligen Ausführung verliert. Am
besten gelingen nach wie vor die drastischen, irdischen Szenen des
Armenhauses, aber in den Himmel kommen wir nicht hinein, weil
eben Frau Orloffs Hannele nicht Seele genug hat, um uns
in ihre Verzückung mitzunehmen. Gegen den Bräutigam Jesus
hat sie nur den Ton ziemlich gewöhnlicher Verliebtheit, und was sie
früher noch an Kindhaftigkeit hegte, ist mit den Jahren verloren
gegangen. Höchst erfreulich bewährte sich wieder Herr Monnard
als Lehrer Gottwald, der in der Vision der Fiebernden zum
Heiland wird; seine Milde hatte zugleich Kraft und Süße,
und dieser Künstler, der eben noch nicht lange am Lessing=Theater ist,
spricht einen klangvollen Vers. Den Vater gab Herr Reicher, kräftig
geung, aber er stand nicht in der richtigen Atmosphäre, eher Polacke als
Schlesier. Die Mutter ist jetzt zu Frau Irene Triesch gekommen, zu
hoch über alles Irdische hinaus, nur noch geflügelter Engel mit Kränz¬
chen im Haar und so lieblich verjüngt, daß das arme Hannele sie
in dieser himmlischen Eleganz gewiß nicht mehr erkennen würde.
In kleineren Rollen traten die Herren Marr, Forest, Pauli
mit Fräulein Wüst hervor. Das Ganze, ob reichlich Musik ge¬
macht wurde, wirkte nicht recht melodisch, wie es sein müßte, und
trotz den vielen Flügeln kam man nicht recht vom Boden weg. A. E.