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DAS NEUE RITTERDRAMA.
das die Untrennbarkeit der Ehe behandelt; ein deutsches Stück, vor achtund¬
vierzig, dass die Schuldhaft behandelt: — was beide nach eingeführter Scheidung
und aufgehobener Schuldhaft taugen, stellt ihren Kunstwert dar. Der Be¬
trachter denkt sich die Duellsitte abgeschafft. Der Gedanke ist berechtigt,
denn sie hat nicht immer bestanden und besteht nicht überall ; es ist viel¬
leicht kein Zufall, dass diese unklare und heuchlerische Einrichtung nur bei
christlichen Völkern vorkommt; auch erst seit dem Mittelalter. Die Sitte be¬
steht heut bloss in Europa, aber nicht einmal in allen europäischen Landen,
und wo sie besteht, ist ihr eine Tausendstel-Minderheit unterworfen; neun¬
hundertneunundneunzig Teile machen nicht mit. Die sozialistische Weltan-
schauung breitet sich stärker aus und trägt zur Abschaffung der Zweikämpfe
bei. Die Verringerung ihrer Zahl ist im deutschen Reichstag festgestellt worden;
zugleich die wachsende Beteiligung der Juden, aus der wiederum geschlossen
werden kann, dass das Duell sicher ruiniert wird. Wenn es in absehbarer
Zeit verschwindet: was bliebe von Schnitzlers Drama übrig. Dieser Rest
ergäbe den Kunstwert des Stücks.
Die Antwort ist nicht trostlos. Wer einen Dichter, den Dichter der
„Liebelei“, in diesem Schauspiel sucht, wird ihn finden; wenn er auch zu¬
gleich einen neuen Schnitzler daneben findet. Der ungewöhnlich feine Um¬
riss des Ganzen, diese Linien, wie vom Silberstift gezeichnet, diese meister¬
liche Schlankheit, kurz das, was dieser Glückliche im gegenwärtigen Deutsch¬
land allein besitzt: das ist vorhanden. Die Innigkeit und Weichheit, die er
früher gezeigt, ruht, wenn schon in flüchtigem Abglanz, über dem Verhältnis
des einen der beiden Helden zu einem jungen Mädchen. Der Humor, der in
„Liebelei“ das Gegenspiel der Tragik wird, tritt hier an einer Anzahl von
Schmierenkomödianten auf, satirisch verschärft, zuweilen mit leichter lustspiel¬
mässiger Auftragung. Eine ungewöhnliche dramatische Begabung, die das
theatralische Moment in der achtungsvollsten Bedeutung dieses Wortes in sich
birgt, spricht aus dem Werke: so stark, wie sie Schnitzler nie hätte vermuten
lassen; so stark, wie sie in Deutschland keine drei Leute haben; und Schnitzler
wendet nie ein unvornehmes Mittel an. Das Ende seines ersten Aufzugs,
wo sich aus einer plänkelnden, flatternden, leichten Milieuschilderung in haar¬
scharfen, knappen, energischen Strichen ein Drama herauszulösen beginnt,
Schlag auf Schlag, aufwärtsgehend bis zum Aktschluss: das gehört in der
Komposition zum Glänzendsten, was die neue deutsche Dramatik hervorgebracht
hat. Hier allein würde es klar werden, dass ein seltener Künstler auch dieses
Werk geschrieben hat, welches in Schnitzlers Entwicklung, so gewiss es ver-
fehlt ist, eine neue Linie zu beginnen scheint.
Der Dichter hätte nicht das leichte Schicksal einer Schauspielerin, der ihre
körperliche Anständigkeit eine Ausnahmestellung zuweist, mit dem schwereren
Geschick eines geachteten Mannes als ebenbürtig zusammenspannen sollen. Beide
sind Freiwild, doch sie könnte zehn leidliche Auswege haben, wo er anscheinend
nicht einen hat; durch diese Gleichstellung wird seine ernste Sache herabge¬
zogen. In der Behandlung des Problems bleibt Schnitzler, wo minder feine
Köpfe blosse Theoretiker werden, ein Künstler: durch die besondre Lage
seines Falls, der in der Ablehnung einer Forderung besteht, sodass im Falle
selbst, in den nothwendigen Auseinandersetzungen begründet ist, wenn der
theoretische Inhalt des Problems zur Sprache kommt. Erörterung ist hier
Handlung. Wie aber fasst der Dichter das Problem? Er will parteilos sein.
Ist er es? Es bildet den äusseren Hauptfehler seines Stücke, dass es weder
rein tendenzlerisch, das heisst ein Schmarren ist, noch so tief angelegt in
der Charakterzeichnung, dass es im letzten Sinne zu den tout-comprendre¬
Werken gezählt werden könnte. Gefühlsmässig lässt sich wahrnehmen, dass
er seinen Ritter nicht als schwarzen Mann hinstellen wollte, sondern gewisse Sym¬
pathien auch ihm entgegenbringt. Er zeigt einen geladenen, verzweifelten
Soldaten, aber er zeigt nicht ganz, wie diese Verzweiflung grade in dem Proble¬
matischen des ritterlichen Berufs wurzelt; hier genügen kleine Andeutungen
nicht. Er wollte nicht gegen ihn Partei nehmen; und schliesslich kam doch
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DAS NEUE RITTERDRAMA.
das die Untrennbarkeit der Ehe behandelt; ein deutsches Stück, vor achtund¬
vierzig, dass die Schuldhaft behandelt: — was beide nach eingeführter Scheidung
und aufgehobener Schuldhaft taugen, stellt ihren Kunstwert dar. Der Be¬
trachter denkt sich die Duellsitte abgeschafft. Der Gedanke ist berechtigt,
denn sie hat nicht immer bestanden und besteht nicht überall ; es ist viel¬
leicht kein Zufall, dass diese unklare und heuchlerische Einrichtung nur bei
christlichen Völkern vorkommt; auch erst seit dem Mittelalter. Die Sitte be¬
steht heut bloss in Europa, aber nicht einmal in allen europäischen Landen,
und wo sie besteht, ist ihr eine Tausendstel-Minderheit unterworfen; neun¬
hundertneunundneunzig Teile machen nicht mit. Die sozialistische Weltan-
schauung breitet sich stärker aus und trägt zur Abschaffung der Zweikämpfe
bei. Die Verringerung ihrer Zahl ist im deutschen Reichstag festgestellt worden;
zugleich die wachsende Beteiligung der Juden, aus der wiederum geschlossen
werden kann, dass das Duell sicher ruiniert wird. Wenn es in absehbarer
Zeit verschwindet: was bliebe von Schnitzlers Drama übrig. Dieser Rest
ergäbe den Kunstwert des Stücks.
Die Antwort ist nicht trostlos. Wer einen Dichter, den Dichter der
„Liebelei“, in diesem Schauspiel sucht, wird ihn finden; wenn er auch zu¬
gleich einen neuen Schnitzler daneben findet. Der ungewöhnlich feine Um¬
riss des Ganzen, diese Linien, wie vom Silberstift gezeichnet, diese meister¬
liche Schlankheit, kurz das, was dieser Glückliche im gegenwärtigen Deutsch¬
land allein besitzt: das ist vorhanden. Die Innigkeit und Weichheit, die er
früher gezeigt, ruht, wenn schon in flüchtigem Abglanz, über dem Verhältnis
des einen der beiden Helden zu einem jungen Mädchen. Der Humor, der in
„Liebelei“ das Gegenspiel der Tragik wird, tritt hier an einer Anzahl von
Schmierenkomödianten auf, satirisch verschärft, zuweilen mit leichter lustspiel¬
mässiger Auftragung. Eine ungewöhnliche dramatische Begabung, die das
theatralische Moment in der achtungsvollsten Bedeutung dieses Wortes in sich
birgt, spricht aus dem Werke: so stark, wie sie Schnitzler nie hätte vermuten
lassen; so stark, wie sie in Deutschland keine drei Leute haben; und Schnitzler
wendet nie ein unvornehmes Mittel an. Das Ende seines ersten Aufzugs,
wo sich aus einer plänkelnden, flatternden, leichten Milieuschilderung in haar¬
scharfen, knappen, energischen Strichen ein Drama herauszulösen beginnt,
Schlag auf Schlag, aufwärtsgehend bis zum Aktschluss: das gehört in der
Komposition zum Glänzendsten, was die neue deutsche Dramatik hervorgebracht
hat. Hier allein würde es klar werden, dass ein seltener Künstler auch dieses
Werk geschrieben hat, welches in Schnitzlers Entwicklung, so gewiss es ver-
fehlt ist, eine neue Linie zu beginnen scheint.
Der Dichter hätte nicht das leichte Schicksal einer Schauspielerin, der ihre
körperliche Anständigkeit eine Ausnahmestellung zuweist, mit dem schwereren
Geschick eines geachteten Mannes als ebenbürtig zusammenspannen sollen. Beide
sind Freiwild, doch sie könnte zehn leidliche Auswege haben, wo er anscheinend
nicht einen hat; durch diese Gleichstellung wird seine ernste Sache herabge¬
zogen. In der Behandlung des Problems bleibt Schnitzler, wo minder feine
Köpfe blosse Theoretiker werden, ein Künstler: durch die besondre Lage
seines Falls, der in der Ablehnung einer Forderung besteht, sodass im Falle
selbst, in den nothwendigen Auseinandersetzungen begründet ist, wenn der
theoretische Inhalt des Problems zur Sprache kommt. Erörterung ist hier
Handlung. Wie aber fasst der Dichter das Problem? Er will parteilos sein.
Ist er es? Es bildet den äusseren Hauptfehler seines Stücke, dass es weder
rein tendenzlerisch, das heisst ein Schmarren ist, noch so tief angelegt in
der Charakterzeichnung, dass es im letzten Sinne zu den tout-comprendre¬
Werken gezählt werden könnte. Gefühlsmässig lässt sich wahrnehmen, dass
er seinen Ritter nicht als schwarzen Mann hinstellen wollte, sondern gewisse Sym¬
pathien auch ihm entgegenbringt. Er zeigt einen geladenen, verzweifelten
Soldaten, aber er zeigt nicht ganz, wie diese Verzweiflung grade in dem Proble¬
matischen des ritterlichen Berufs wurzelt; hier genügen kleine Andeutungen
nicht. Er wollte nicht gegen ihn Partei nehmen; und schliesslich kam doch