II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 8

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ALFRED KERR.
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etwas wie ein Angeklagter heraus. Dieser Oberleutnant Karinski ist gegen
Frauen nicht bloss von frecher Zudringlichkeit, sondern auch zu leichtsinniger
Verleumdung bereit, er bietet einen Augenblick seine Hand zu der ver¬
logenen Posse eines Scheinduells, er ist schon vorher gewaltthätig, er wird
als eigensinnig geschildert, und er sieht mit der Hartnäckigkeit eines sozial
beschränkten Kopfs in seinem Berufe die Welt. Was die ganze Erscheinung
hebt, ist die verwegene Entschlossenheit, die auf Alles oder Nichts geht.
Ein Teil seiner Eigenschaften sind unzweifelhaft typische Rittereigenschaften,
aber das Beste — die Entstehung dieser Züge — fehlt. Der Gegenpart,
Rönning, wehrt sich gegen das Duell. Er liebt das Leben nach schwerer
Krankheit und ist voll Neigung zur Unabhängkeit. Das ist alles; man hört
es, ohne das Gehörte in andrer Hinsicht als gegen das Duell bethätigt zu
sehn. Er hat blos diejenigen Züge, die für die Erörterung seines Duellstand¬
punkts in Betracht kommen. Er ist nich ein Mensch; er ist eine Seite eines
Menschen. Und weil er sich nicht schlagen will, schiesst ihn der Andre
kommentlos über den Haufen. Das ist der Ausgang.
Es ist die Frage, was dieser Ausgang sagt? Etwa: es ist besser, ihr
schiesst Euch regelrecht, als dass Ihr unregelrecht erschossen werdet?
Darum ein Drama zu schreiben konnte nicht die Absicht sein. Dieser Lehr¬
sat wäre auch recht speziell: weil das Erschossen werden nicht stets so sicher
st. Und er wäre falsch; weil eine geregelte Schiesserei nicht gerechter aus¬
füllt als eine wilde. Der Dichter gab dem Duellgegner zuletzt jedenfalls eine
Naffe in die Hand; hier liegt der Schlüssel. Er wollte wohl pessimistisch
zeigen, dass auch der Grossgehirn-Adel schliesslich ins Faustrecht zurückfällt:
dass leider die ultima ratio doch nichts Höheres als der Appell an die Tier¬
heit, schopenhauerisch zu reden, ist. Er zeigte sehr fein, und abseits von
gradlinigem Doctinarismus, wie ein letzter Rest unbewussten Rittertums auch
im modernen Menschen schlummern kann, und wie nicht alle frei sind, die
ihrer Ketten spotten. Dieser Zug, stärker betont, hätte dem Drama etwas
Ewiges geben können. Der spiritualistische Duellgegner im Stück betrachtet
den körperlichen Mut nicht folgerichtig als eine „Unteroffizierstugend“, wie
sehr folgerichtig der frankfurtische Philosoph, sondern es bäumt sich etwas in
ihm, als das Vorhandensein dieser Unteroffizierstugend in ihm bezweifelt
werden könnte; er bleibt, obwohl er schon abreisen wollte, und wird so ge¬
tötet. Eine ältere Asthetik hätte hier die „tragische Schuld“ des Helden ge¬
sehen. Zugleich aber kann dieser entscheidende Zug anders aufgefasst werden:
der Idealist, der Gläubige trotzt auf Vernunft und Recht, und darum bleibt er.
Der Glaube, es kann mir von Rechts wegen nichts geschehen, lässt ihn die
Sache bis zum Ende verfolgen; der Unsinn siegt, und er muss untergehn;
er aber war im Recht.
Nein, er war garnicht im Recht! Er zeigt schon vorher eine logisch an¬
fechtbare Stelle. Er handelt im Grunde nicht anders als Karinski. Was giebt
den Anlass zur Forderung? Eine Ohrfeige, die er dem Leutnant versetzt,
weil er verleumderisch über eine Dame spricht. Auch sein Vorgehen ist ja
Selbsthilfe. Auch er reagiert mit körperlichen Mitteln ungesetzlich auf die
Handlung eines Andren, auch er beweist durch diesen Schlag so wenig die
Ehrenhaftigkeit der Dame, wie Karinski die seinige durch das Duell. Zwar
ist sein Vorgehen minder gefährlich, da Ohrfeigen nicht tötlich wirken, aber
auch er wählt nach eignem Ermessen aus seiner Sphäre ein Mittel zur Sühne:
er muss es sich gefallen lassen, wenn der Andre eins aus der seinigen
wählt. Der Grossgehirn-Adel hat offenbar noch Momente in denen ihm vor
seiner Gottähnlichkeit bange wird und atavistische Ritterneigungen hervor¬
kommen: es triumphiert der Apell an die Tierheit. So kann man in diesem