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DAS NEUE RITTERDRAMA.
neuen Ritterstück eine schiefe Prämisse sehn; man kann aber auch eine be¬
sonders feine Absicht in dieser Schifheit erblicken.
Das Thema im weiteren Sinn könnte humoristisch gefasst werden. Der
Humor ruht ja stets auf einem Gegensatz. Hier wäre der wundervolle Gegen¬
satz die Kluft zwischen erdenfreiem Wollen und den erdenschweren Grund-
lagen. Die Komik der Ritter vom Geist liefe hinaus auf den lachenden Ent¬
sagungsruf: stell deinen Fuss auf ellenhohe Socken, du bleibst doch immer,
was du bist. Die Ritter von der Faust bieten auf endlichere Art humoristische
Gegensätze. Etwa den: zwischen der äusseren, strammen Biderbheit und
einem inneren Schwindlertum. Ihn wählte Hartleben in dem Ritterdrama
vom „Ehrenwort“. Humoristisch hat er ihn, Gott ist mein Zeuge, nicht be¬
handelt. Wie sonst? satirisch: Die Satire darf bitter ernst bleiben, wenn
sie Widersprüche zornig und schneidend aufdeckt. Schneidend und mit innerem
Zorn. Dieser Hannoveraner ist zeitweilig des Dafürhaltens, ein Satiriker zu
sein. Wenigstens liess er auf das Titelblatt eines Dramas drucken, es sei
eine Satire. Doch er hat manchen hübscheren Einfall gehabt, als eben diesen.
Überflüssig zu sagen, dass seine Satire jedesmal soziale Satire ist. Ach Gott,
er scheint durchaus geeignet, Herrengesellschaften von sehr verschiedenen
sozialen Anschauungen zu belustigen. Satiren hin, Satiren her. Weiss er,
warum er kein Satiriker ist? Darum: weil in seiner Brust kein Schrei wohnt.
Weil das Wesen seiner Kunst eine tiefe Hundeschnauzigkeit birgt. Dieser
manchmal feinen und öfter hinreissend komischen Kunst. Und weiss er, wa¬
rum er kein grosser Humorist ist, sondern mehr ein lustiger Bruder? Darum:
weil in seiner Brust nichts vom Jean Paul steckt. Weil ihm die weiche, gütige
Grösse fehlt und die Fähigkeit heissen lachenden Mitfühlens. Er ist ein
Cyniker. Und weiss er, warum er kein grosser Cyniker ist, sondern ein kleiner
Darum, weil sein Cynismus auf Kleinigkeiten geht, aber noch nie auf die
letzten Dinge ging. Weil er frei ward von auffälliger Gesellschaftsphilisterei,
aber nicht von aller letzten Philisterei. Weil er gegen Ewigkeitschniker selbst
ein Philister ist. Er sieht die Menschen schliesslich doch in Kleidern.
Zwar Frauen nicht immer; jedoch: die Menschen. Es sei, wie es sei: er hat
uns manche lustige Stunde geschenkt. Und ein Possenspiel (so las ich irgend¬
wo), wenn es auch von zehen Menschen nur einen froh gemacht, lasset es
euch gefallen. Am Ende steckt gar weniger Wurstigkeit in ihm, als er sich
merken zu lassen getraut. Am Ende auch geht dieser Humorist noch in sich.
Jedenfalls aber: Mensch, werde wesentlich! Der Ritter ist bei ihm der Lump.
Er zeigt einen schoffen, schofelsten Burschen, welcher die Gebote der äusseren
Ehre, das ist der Ritterehre, prompt erfüllt. Der Lump darf zum Duell fordern,
ein Ehrenmann wird zerschossen. Die Gemeinheit triumphiert also von Rechts
wegen. Das heisst: beinahe — zum Glück kommt es nicht so weit; denn
ein zugereister Freund u. s. w. Als Kunstwerk ist dieses Schauspiel von
grosser Gottverlassenheit. Ganz poesielos, ganz dürr, ganz ohne Saft und in
Einzelheiten plump. Man dürfte Herrn Hartleben hiernach nicht beurteilen.
Es ist auch nicht geschehen. Mit dem sachlichen Inhalt allein aber wird man
sich nicht befassen. Dass die Corpsehre nicht die wahre Sittlichkeit ist: wer
kein Schimpanse ist, weiss das. Der Satz macht kein Stück aus. Da war
mir der verblichene Roberts lieber. In seinem Schauspiel „Satisfaction" bot
er in der Tendenz putzigen Unsinn. Sein heldischer Duellgegner ist nur gegen
das Pistolenduell. Dann nur gegen das Duell mit jugendlichen Gegnern. Dann
überhaupt. Dann schiesst er sich, freudig, der lieben Frau zu Liebe. Er
ist Revolutionär, doch er sagt ernst: „Ich weiss, was ich meiner Uniform
schuldig bin!“ (ohne damit das Abbürsten zu meinen). Na, es ist heiter
Aber die Gestalten sind annähernd lebendig. Bei Hartleben sind sie Schemen,
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DAS NEUE RITTERDRAMA.
neuen Ritterstück eine schiefe Prämisse sehn; man kann aber auch eine be¬
sonders feine Absicht in dieser Schifheit erblicken.
Das Thema im weiteren Sinn könnte humoristisch gefasst werden. Der
Humor ruht ja stets auf einem Gegensatz. Hier wäre der wundervolle Gegen¬
satz die Kluft zwischen erdenfreiem Wollen und den erdenschweren Grund-
lagen. Die Komik der Ritter vom Geist liefe hinaus auf den lachenden Ent¬
sagungsruf: stell deinen Fuss auf ellenhohe Socken, du bleibst doch immer,
was du bist. Die Ritter von der Faust bieten auf endlichere Art humoristische
Gegensätze. Etwa den: zwischen der äusseren, strammen Biderbheit und
einem inneren Schwindlertum. Ihn wählte Hartleben in dem Ritterdrama
vom „Ehrenwort“. Humoristisch hat er ihn, Gott ist mein Zeuge, nicht be¬
handelt. Wie sonst? satirisch: Die Satire darf bitter ernst bleiben, wenn
sie Widersprüche zornig und schneidend aufdeckt. Schneidend und mit innerem
Zorn. Dieser Hannoveraner ist zeitweilig des Dafürhaltens, ein Satiriker zu
sein. Wenigstens liess er auf das Titelblatt eines Dramas drucken, es sei
eine Satire. Doch er hat manchen hübscheren Einfall gehabt, als eben diesen.
Überflüssig zu sagen, dass seine Satire jedesmal soziale Satire ist. Ach Gott,
er scheint durchaus geeignet, Herrengesellschaften von sehr verschiedenen
sozialen Anschauungen zu belustigen. Satiren hin, Satiren her. Weiss er,
warum er kein Satiriker ist? Darum: weil in seiner Brust kein Schrei wohnt.
Weil das Wesen seiner Kunst eine tiefe Hundeschnauzigkeit birgt. Dieser
manchmal feinen und öfter hinreissend komischen Kunst. Und weiss er, wa¬
rum er kein grosser Humorist ist, sondern mehr ein lustiger Bruder? Darum:
weil in seiner Brust nichts vom Jean Paul steckt. Weil ihm die weiche, gütige
Grösse fehlt und die Fähigkeit heissen lachenden Mitfühlens. Er ist ein
Cyniker. Und weiss er, warum er kein grosser Cyniker ist, sondern ein kleiner
Darum, weil sein Cynismus auf Kleinigkeiten geht, aber noch nie auf die
letzten Dinge ging. Weil er frei ward von auffälliger Gesellschaftsphilisterei,
aber nicht von aller letzten Philisterei. Weil er gegen Ewigkeitschniker selbst
ein Philister ist. Er sieht die Menschen schliesslich doch in Kleidern.
Zwar Frauen nicht immer; jedoch: die Menschen. Es sei, wie es sei: er hat
uns manche lustige Stunde geschenkt. Und ein Possenspiel (so las ich irgend¬
wo), wenn es auch von zehen Menschen nur einen froh gemacht, lasset es
euch gefallen. Am Ende steckt gar weniger Wurstigkeit in ihm, als er sich
merken zu lassen getraut. Am Ende auch geht dieser Humorist noch in sich.
Jedenfalls aber: Mensch, werde wesentlich! Der Ritter ist bei ihm der Lump.
Er zeigt einen schoffen, schofelsten Burschen, welcher die Gebote der äusseren
Ehre, das ist der Ritterehre, prompt erfüllt. Der Lump darf zum Duell fordern,
ein Ehrenmann wird zerschossen. Die Gemeinheit triumphiert also von Rechts
wegen. Das heisst: beinahe — zum Glück kommt es nicht so weit; denn
ein zugereister Freund u. s. w. Als Kunstwerk ist dieses Schauspiel von
grosser Gottverlassenheit. Ganz poesielos, ganz dürr, ganz ohne Saft und in
Einzelheiten plump. Man dürfte Herrn Hartleben hiernach nicht beurteilen.
Es ist auch nicht geschehen. Mit dem sachlichen Inhalt allein aber wird man
sich nicht befassen. Dass die Corpsehre nicht die wahre Sittlichkeit ist: wer
kein Schimpanse ist, weiss das. Der Satz macht kein Stück aus. Da war
mir der verblichene Roberts lieber. In seinem Schauspiel „Satisfaction" bot
er in der Tendenz putzigen Unsinn. Sein heldischer Duellgegner ist nur gegen
das Pistolenduell. Dann nur gegen das Duell mit jugendlichen Gegnern. Dann
überhaupt. Dann schiesst er sich, freudig, der lieben Frau zu Liebe. Er
ist Revolutionär, doch er sagt ernst: „Ich weiss, was ich meiner Uniform
schuldig bin!“ (ohne damit das Abbürsten zu meinen). Na, es ist heiter
Aber die Gestalten sind annähernd lebendig. Bei Hartleben sind sie Schemen,