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Die Zeit.
Wien, Samstag,
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stand mindestens während der Dauer des Stückes im Bann der Bühne. Und
das will an sich schon etwas, wollte hier aber noch mehr bedeuten, da die
selbstverständliche Handlung so ungemein langsam sich abspielte und ein
Dialog über Ehre und Duell im zweiten Act nicht nur sehr lang, sondern
in seinen Wahrheiten oft recht trivial war. Der Antheil der Darstellung an
diesem Erfolg war sehr groß, doch möchte ich auch den des Dichters nicht
gering veranschlagen. Wenn auch die eigentlich dramatische Schlagkraft
fehlte, so enthält doch das Stück viel Bühnenwirksames. So lässt der
wundervoll leichte, natürliche und elegante Dialog schon eine eigentliche
Langeweile nicht aufkommen; wie das leichte Geplänkel zum Streit wird,
das ist mit einer sicheren Meisterschaft gemacht, die bei größeren Aufgaben
zu tieferen Wirkungen führen müsste. Aber der glänzendste Beweis dieser
Kunst war, dass sie das Duellgespräch noch erträglich machte und überhaupt
über die Dürftigkeit der Vorgänge hinwegtäuschte. Dann waren auch Figuren
von einer Liebenswürdigkeit da, die uns Norddeutsche umsomehr ergötzt, weil
wir sie nicht haben: wer wienerisch plauscht, hat bei uns in der Gesellschaft
und auf der Bühne immer ein paar Points vor. So brachte der erste Act,
in dem die Bande des Curtheaters des „kleinen Badeortes in der Nähe von
Wien“ und ein croatischer Lieutenant geschildert werden, gleich eine behagliche
Stimmung ins Haus, die durch ihr Erscheinen immer wieder aufgefrischt
wurde. Freilich waren diese Figuren mit der Haupthandlung nur lose ver¬
bunden; oder sollten auch die kleinen Mädchen vom Theater, unter denen
die tugendhafte und thränenreiche Anna sich merkwürdig ausnimmt, als
„Freiwild“ der Officiere bezeichnet werden? Dann wäre der Titel doppelt
schief. Sind es denn nur Officiere, die hier auf die Jagd gehen?! Schief
ist er schon, wenn nur der Civilist so bezeichnet wird: der, um den es sich
hier handelt, trägt auch einen Revolver in der Tasche, und es ist nur Zu¬
fall, dass sein Schuss nicht früher losgeht. Und wenn der Civilist wirklich
über den conventionellen Ehrbegriff erhaben ist und nicht eigensinnig da
bleibt, wo er die Rache des ruinierten Gegners zu fürchten hat, dann ist er
auch nicht mehr Freiwild. Ueber diese Bedenken und manche anderen half
die Darstellung fort. Die Aufführung war mit die vollendetste eines mo¬
dernen Stückes, die ich hier gesehen habe, wo man doch moderne Stücke zu
spielen versteht. Herr Sauer als Oberlieutenant Karinsky zeigte aufs neue
seine unübertreffliche Kunst, Figuren aus unserer Gesellschaft bis ins kleinste
hinein charakteristisch zu beleben. Seinen Gegner spielte Herr Rittner,
der seine ganze Natürlichkeit aufbot, um aus dem „Duellgegner“ eine Per¬
sönlichkeit zu machen. Unter den Nebenpersonen bot Hermann Müller als
croatischer Lieutenant ein Cabinetstück feiner Komik. Der Künstler, dessen
trefflichen Falstaff ich im Vorjahre hier rühmen durfte, zeigt eine Vielseitig¬
keit, die nur Großen eigen ist. Nissen, Reicher, Biensfeldt sind
zu erwähnen. Guido Thielscher, der den Sprung vom Adolph Ernst¬
Theater ins Deutsche gemacht hat, bot als Director eine Charge, aber es
bedarf nur einer Milderung, um eine prachtvolle Figur daraus zu machen.
F. St.
Bücher.
a
Dr. Oskar Münsterberg: „Japans auswärtiger Handel von
1542 bis 1854." Bearbeitet nach Quellenberichten. Stuttgart, Verlag der
I. G. Cottaschen Buchhandlung, 1896.
Der Verfasser schildert in dem vorliegenden Werke die Handels¬
beziehungen Japans von der Zeit der Entdeckung bis zur neuen Aera,
nämlich bis zur gewaltsamen Eröffnung des Landes für den europäischen
Handelsverkehr. Es lag in seiner Absicht, zu zeigen, wie sich Japan infolge
verschiedenartiger Einflüsse zu einem geschlossenen Handelsstaat herausge¬
bildet hat, und welche Folgen sich aus dieser Absperrung für die innere
wirtschaftliche Entwicklung des Landes ergeben haben. Der Verfasser hat
seine Aufgabe sehr ernst genommen und das ganze Ouellenmaterial bearbeitet,
welches einem Europäer zur Verfügung steht, der die japanische Sprache
nicht kennt. Fast möchten wir sagen: zu ernst, denn der leitende Gedanke
des Buches erstickt stellenweise unter der Menge von belanglosen historischen
Details. Besonders umständlich ist die Geschichte der Entdeckung gehalten,
aus der man vom wirtschaftlichen Standpunkte nur entnehmen kann,
dass sich in der Zeit von 1542 bis 1600 ein lebhafter Verkehr mit den
unternehmenden Portugiesen, Holländern, Spaniern und Engländern ent¬
wickelte und dass Japan in dieser Zeit eine natürliche Freihandelspolitik
befolgte. Warum anfangs des 17. Jahrhunderts dem auswärtigen Handels¬
verkehre so tief einschneidende Beschränkungen auferlegt wurden, dass das
Land schon im Jahre 1640 als völlig geschlossener Handelsstaat gelten konnte,
das begründet uns der Verfasser in einer sehr richtigen und umso bemer¬
kenswerteren Weise, als leider auch heute noch die von interessierter Seite
geschürten Jeremiaden über Christenverfolgungen im Oriente nicht aufhören
wollen. Die japanischen Fürsten waren anfangs weder europäerfeindlich
noch christenfeindlich, im Gegentheil Sie wurden es erst durch die Gattung
und Thätigkeit der Jesuiten und ihrer Nachtreter. Dr. Münsterberg
citiert hierüber einige alte Berichte und zeigt, „wie selbständig die einzelnen
Fürsten ihre Länder verwalteten und wie die Mönche in unklugem Eifer
gegen die Befehle der regierenden Herren handelten, und so aus Aposteln
des Friedens zu Aposteln des Streites wurden. Der christliche Glaube
wurde in vielen Provinzen der Deckmantel für revolutionäre Freiheitsideen.
Wenn ein Christ hingerichtet wurde, so handelte es sich immer um Delicte,
wegen welcher ein Buddhist ebenso bestraft worden wäre. Im Jahre 1614
wurden die revolutionierenden Mönche aus dem Reiche verbannt, thatsächlich
aber wurden noch jahrelang fremde Priester in das Land geschmuggelt, bis
der japanischen Regierung die Geduld riss. Das Motiv der späteren Christen¬
verfolgungen war nichts anderes als der Trieb der Selbsterhaltung. Von
besonderem theoretischen Interesse sind die Ausführungen über die Folgen
De¬
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Wien, Samstag,
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stand mindestens während der Dauer des Stückes im Bann der Bühne. Und
das will an sich schon etwas, wollte hier aber noch mehr bedeuten, da die
selbstverständliche Handlung so ungemein langsam sich abspielte und ein
Dialog über Ehre und Duell im zweiten Act nicht nur sehr lang, sondern
in seinen Wahrheiten oft recht trivial war. Der Antheil der Darstellung an
diesem Erfolg war sehr groß, doch möchte ich auch den des Dichters nicht
gering veranschlagen. Wenn auch die eigentlich dramatische Schlagkraft
fehlte, so enthält doch das Stück viel Bühnenwirksames. So lässt der
wundervoll leichte, natürliche und elegante Dialog schon eine eigentliche
Langeweile nicht aufkommen; wie das leichte Geplänkel zum Streit wird,
das ist mit einer sicheren Meisterschaft gemacht, die bei größeren Aufgaben
zu tieferen Wirkungen führen müsste. Aber der glänzendste Beweis dieser
Kunst war, dass sie das Duellgespräch noch erträglich machte und überhaupt
über die Dürftigkeit der Vorgänge hinwegtäuschte. Dann waren auch Figuren
von einer Liebenswürdigkeit da, die uns Norddeutsche umsomehr ergötzt, weil
wir sie nicht haben: wer wienerisch plauscht, hat bei uns in der Gesellschaft
und auf der Bühne immer ein paar Points vor. So brachte der erste Act,
in dem die Bande des Curtheaters des „kleinen Badeortes in der Nähe von
Wien“ und ein croatischer Lieutenant geschildert werden, gleich eine behagliche
Stimmung ins Haus, die durch ihr Erscheinen immer wieder aufgefrischt
wurde. Freilich waren diese Figuren mit der Haupthandlung nur lose ver¬
bunden; oder sollten auch die kleinen Mädchen vom Theater, unter denen
die tugendhafte und thränenreiche Anna sich merkwürdig ausnimmt, als
„Freiwild“ der Officiere bezeichnet werden? Dann wäre der Titel doppelt
schief. Sind es denn nur Officiere, die hier auf die Jagd gehen?! Schief
ist er schon, wenn nur der Civilist so bezeichnet wird: der, um den es sich
hier handelt, trägt auch einen Revolver in der Tasche, und es ist nur Zu¬
fall, dass sein Schuss nicht früher losgeht. Und wenn der Civilist wirklich
über den conventionellen Ehrbegriff erhaben ist und nicht eigensinnig da
bleibt, wo er die Rache des ruinierten Gegners zu fürchten hat, dann ist er
auch nicht mehr Freiwild. Ueber diese Bedenken und manche anderen half
die Darstellung fort. Die Aufführung war mit die vollendetste eines mo¬
dernen Stückes, die ich hier gesehen habe, wo man doch moderne Stücke zu
spielen versteht. Herr Sauer als Oberlieutenant Karinsky zeigte aufs neue
seine unübertreffliche Kunst, Figuren aus unserer Gesellschaft bis ins kleinste
hinein charakteristisch zu beleben. Seinen Gegner spielte Herr Rittner,
der seine ganze Natürlichkeit aufbot, um aus dem „Duellgegner“ eine Per¬
sönlichkeit zu machen. Unter den Nebenpersonen bot Hermann Müller als
croatischer Lieutenant ein Cabinetstück feiner Komik. Der Künstler, dessen
trefflichen Falstaff ich im Vorjahre hier rühmen durfte, zeigt eine Vielseitig¬
keit, die nur Großen eigen ist. Nissen, Reicher, Biensfeldt sind
zu erwähnen. Guido Thielscher, der den Sprung vom Adolph Ernst¬
Theater ins Deutsche gemacht hat, bot als Director eine Charge, aber es
bedarf nur einer Milderung, um eine prachtvolle Figur daraus zu machen.
F. St.
Bücher.
a
Dr. Oskar Münsterberg: „Japans auswärtiger Handel von
1542 bis 1854." Bearbeitet nach Quellenberichten. Stuttgart, Verlag der
I. G. Cottaschen Buchhandlung, 1896.
Der Verfasser schildert in dem vorliegenden Werke die Handels¬
beziehungen Japans von der Zeit der Entdeckung bis zur neuen Aera,
nämlich bis zur gewaltsamen Eröffnung des Landes für den europäischen
Handelsverkehr. Es lag in seiner Absicht, zu zeigen, wie sich Japan infolge
verschiedenartiger Einflüsse zu einem geschlossenen Handelsstaat herausge¬
bildet hat, und welche Folgen sich aus dieser Absperrung für die innere
wirtschaftliche Entwicklung des Landes ergeben haben. Der Verfasser hat
seine Aufgabe sehr ernst genommen und das ganze Ouellenmaterial bearbeitet,
welches einem Europäer zur Verfügung steht, der die japanische Sprache
nicht kennt. Fast möchten wir sagen: zu ernst, denn der leitende Gedanke
des Buches erstickt stellenweise unter der Menge von belanglosen historischen
Details. Besonders umständlich ist die Geschichte der Entdeckung gehalten,
aus der man vom wirtschaftlichen Standpunkte nur entnehmen kann,
dass sich in der Zeit von 1542 bis 1600 ein lebhafter Verkehr mit den
unternehmenden Portugiesen, Holländern, Spaniern und Engländern ent¬
wickelte und dass Japan in dieser Zeit eine natürliche Freihandelspolitik
befolgte. Warum anfangs des 17. Jahrhunderts dem auswärtigen Handels¬
verkehre so tief einschneidende Beschränkungen auferlegt wurden, dass das
Land schon im Jahre 1640 als völlig geschlossener Handelsstaat gelten konnte,
das begründet uns der Verfasser in einer sehr richtigen und umso bemer¬
kenswerteren Weise, als leider auch heute noch die von interessierter Seite
geschürten Jeremiaden über Christenverfolgungen im Oriente nicht aufhören
wollen. Die japanischen Fürsten waren anfangs weder europäerfeindlich
noch christenfeindlich, im Gegentheil Sie wurden es erst durch die Gattung
und Thätigkeit der Jesuiten und ihrer Nachtreter. Dr. Münsterberg
citiert hierüber einige alte Berichte und zeigt, „wie selbständig die einzelnen
Fürsten ihre Länder verwalteten und wie die Mönche in unklugem Eifer
gegen die Befehle der regierenden Herren handelten, und so aus Aposteln
des Friedens zu Aposteln des Streites wurden. Der christliche Glaube
wurde in vielen Provinzen der Deckmantel für revolutionäre Freiheitsideen.
Wenn ein Christ hingerichtet wurde, so handelte es sich immer um Delicte,
wegen welcher ein Buddhist ebenso bestraft worden wäre. Im Jahre 1614
wurden die revolutionierenden Mönche aus dem Reiche verbannt, thatsächlich
aber wurden noch jahrelang fremde Priester in das Land geschmuggelt, bis
der japanischen Regierung die Geduld riss. Das Motiv der späteren Christen¬
verfolgungen war nichts anderes als der Trieb der Selbsterhaltung. Von
besonderem theoretischen Interesse sind die Ausführungen über die Folgen
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