II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 13

Seite 13.
26. November 1896.
renden Blatt.
Wien, Donnerstag
Nr. 326.
Eitelkeit läßt es nicht zu, daß man ihn für muthlos hält; er wende
dem gezüchtigten Gegner nicht lächelnd den Rücken, verweilt vielmehr
Feuilleton.
trutziglich in dem Bade und wird von dem Rasenden abgethan. Was
heißt das? Was hat Schnitzler nun mit seiner Formel bewiesen? Daß
Berliner Theaterbrief.
Niemand über seinen Horizont hinauskann, auch Der nicht, den sein
„Freiwild. Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler (Deutsche¬
eigener Dichter feierlich zum vollwerthigen Bürger der neuen Welt, zum
Theater). — „Eine". Historischer Schwank in drei Aufzügen von Max Dreyer
Ueberwinder alter Formen krönt
(Königliches Schauspielhaus). — „Der Abend". Schauspiel in vier Akten von
Das sauber und elegant gearbeitete Drama, dem ein hoher
— „Renaissance". Lustspiel in drei
Paul Lindau (Lessing=Theater).
Spannungsreiz innewohnt, befriedigt solcher sachlichen Unklarheiten und
Akten (Berliner Theater) und „Die goldene Eva, Lustspiel in drei Auf¬
zügen (Lessing=Theater), beide von Franz v. Schönthan und Franz
Halbheiten wegen nicht völlig. Aber es verdient, als pures Schauspiel,
„Die Vielgeliebte". Schwank in drei Akten
Koppel-Ellfeld.
als Theaterstück betrachtet, reichlich den Beifall, den es hier ge¬
„Der
von Hans Fischer und Josef Jarno (Residenz=Theater).
funden hat. Kommt es wirklich in Wien zur Aufführung, und soll es
Schwank in drei Akten von Robert Misch. „Schieds
dritte Mann“.
dort als in einem deutschen Badeorte spielend betrachtet werden
mann Hempel“. Volksstück mit Gesang in vier Akten von Julius Keller
und Louis Herrmann (beide Stücke im Theater des Westens). — „Ehe¬
so muß die jetzt schon gefährliche und unmögliche Szene entfallen, in
fesseln" Schauspiel in drei Akten von Paul Hervien (Residenz=Theater)
der ein Militär, ein vollendeter Kavalier, dem Maler ein Schein¬
— „Masken". Drama in einem Aufzug von Robert Bracco (Lessing=Theater)
duell (!!!) mit dem verzweifelten Oberlieutenant anbietet. Derartige
Bei Arthur Schnitzler's Schauspiel „Freiwild", das an
wunderliche Späße sind im deutschen Heere, und wohl auch im öster¬
sich fraglos einen schönen Triumph Jung=Wiens auf den Brettern der
reichischen, völlig ausgeschlossen.
Berliner Bühne bedeutet, ist von besonderem Interesse und von aus¬
Den umgekehrten Weg wie Schnitzler, der aus den Regionen
schlaggebender Bedeutung für die Beurtheilung des ganzen Stückes die
blühender Wirklichkeit zur Thesentragödie kam, wollte Max Dreyer
Stellung des Verfassers zu seinen beiden Helden. Man kennt die ein¬
gehen. Er hatte in seinen beiden Erstlingsdramen rechnerische Aufgeben
fache Handlung. Ein junger Mensch, der eben von schwerer Krankheit
und und nett gelöst; jetzt griff er hinein ins volle Menschenleben und
erstanden, wieder mit den fröhlich leuchtenden Augen des Genesenen in
packte einen saftigen, ausgiebigen Stoff von aristophanischer Frechheit.
die fröhliche Welt hineinblickt, prallt eines Theaterfräuleins wegen mit
Sein historischer Schwank „Eine" spielt in der Wiederkäuferzeit, als
dem bewußten schneidigen und doch innerlich verkommenen Offizier
die glorreiche Idee der Vielweiberei sich norddeutsche Lande eroberte.
zusammen. Er verweigert dem Beleidigten Genugthuung mit der Waffe,
er Frieder nimmt alsbald die Trine, die Mine und die Stine als
und sein Gegner, der die Beschimpfung auf jeden Fall rächen muß
stine ehelichen Frauen in sein Haus, aber in der Hochzeitsnacht machen
knallt ihn bei der erstbesten Gelegenheit nieder. Geht es nun in diesen
ihm und sich die Dreie die Hölle gewaltig heiß, wissen bei so
Drama wirklich um ein Menschen=Schicksal, um die ganz persön¬
freudigem Anlasse nichts als Schimpfereien und grobe Thätlichkeiten,
lichen Erfahrungen eines Individuums, oder will der Autor eine These
so daß er sie nach Verlauf einer Stunde allsämmtlich auf die Gasse
entwickeln? Und wenn das seine Absicht gewesen ist, wie lautet die
setzen muß. Allerlei „Spasseteln" laufen nebenher, len doch auch
Formel, worauf er den Konflikt gebracht hat? Und schließlich, ist die
die alten Bauern von der neuen Ordnung der Dinge profitiren und
Formel richtig, löst sich das Exempel ohne Bruch?
entledigen sich ihrer runzligen Ehegesponse zu Gunsten jüngerer Dirnen
Es scheint nicht, daß Schnitzler aus der lebendigen Anschauuna
Dreyer verstand dem Stoffe beiweitem nicht die komischen Seiten ab¬
heraus zu seinem Stoffe gekommen ist. Die Ehrenfrage, die heuer alle
zugewinnen, die er unzweifelhaft birgt. Sein Talent weist ihn auch auf
Welt beleckt und die gleichzeitig mehr oder minder erregt auf ver¬
subtilere Dinge hin, als auf so dreiste Humoresken. Er vergriff sich
schiedenen Berliner Theatern diskutirt wurde, hat es auch ihn
allenthalben in der Behandlung, war bald zu breit und redselig, bald
angethan. Er konstruirte sich einen Fall und schuf dann die dazu
zu hanebüchen und bald wieder gar zu erschreckend arm in der Er¬
gehörigen Menschen, ganz wie es vor Zeiten die Dumas und Dumas
findung, in der Fähigkeit, den Scherz von einer anderen, überraschenderen
Nachfolger gemacht haben. Dürftig nur sind die Gerippe seiner
Seite aufzufassen. Er geht nicht graziös wie die Katze um den heißen
Charaktere mit Fleisch bekleidet, spärlich nur und dann etwas will¬
Brei herum, sondern nach guter, täppischer Haushundart. Es ist kein
kürlich aufgepappt sind die individuelles Leben athmenden Einzelheiten,
ander, daß er dabei gründlich verbrannte. Das in Haus Sachs'schen
die in der „Liebelei" die Handlung hell beleuchteten, ihr den täuschenden
Küttelreimen gefügte Stück wurde unzweideutig abgelehnt, trotz aller
Schein der Wirklichkeit liehen. Im „Freiwild" hat der Dichter sich
Eindeutigkeiten des Poeten.
mit flüchtiger Zeichnung der Umrisse begnügt, wenigstens was seine
Die Herren Schnitzler und Dreyer ziehen frohgemuth und wage¬
Hauptfiguren anbelangt. Echt und überzeugend, wenn auch nicht just hin¬
lustig hinaus in den jungen Morgen; der Frühling lacht, und was er
reißend komisch, sind allein die gemüthlich-frechen Schmierenszenen, die
ihnen nicht heute bringt, bringt er gewiß in den nächsten Tagen.
Köpfe der Meerschweinchen männlichen und weiblichen Geschlechtes, die
Anders als sie kommt Paul Lindau dahergegangen, der von Berlin
sich im ersten Akte um den aus „Nana" bekannten Herrn Theater¬
in die Meininger Einöde Verbannte. Berlin war des genußfreudigen
direktor gruppiren. Der Maler und der Offizier dagegen sollen mehr
Pflastertreters Lebenslust, und nach Berlin dürsten alle seine Sinne.
als Typen, denn als Einzelwesen aufgefaßt werden; ihr Verhältniß ist
Doch es ist Abend geworden. Der ehemals alleweil fidele Pielling des
leicht auf die Formel Zivil contra Militär zu reduziren. Der ganz
Thiergartenviertels sieht es einsamer und dunkler um sich werden,
starke Dichter zwar weiß selbst dort, wo er allgemeine menschlich¬
und so krampfhaft er sich müht, nicht ganz in die Vergessenheit ge¬
Gegensätze spielen läßt, den Personen, die diese Kontraste verkörpern,
schleudert zu werden, so vergebens ist sein Kampf. Ein melancholischer
ihre privaten Menschenrechte im vollen Maße zu wahren. Wer freilich
Anblick, ein spukhaftes Menetekel für die gefeierten Stückeschreiber von
Brettermathematik treiben will, dem ist das nicht möglich. Und
heute: Der dort oben vor der Rampe steht, obwohl ihn kaum Jemand
Schnitzler hat sich diesmal, offenbar bewußt, in dieser Kunst ver¬
gerufen hat, beifallsgierig, um ein bischen Applaus bettelnd, der war
suchen wollen.
einst mehr als die Meisten von Euch, schrieb der deutschen Kunst Gesetze,
Er steht seinen Figuren nicht objektiv gegenüber, er vermeide
dürfte es wagen, mit dem gefeiertsten Pariser seiner Zeit um den
es auch mit klugem Bühneninstinkte, sie zu ironisiren. Ganz entschieden
Kranz zu ringen . . . Lindau's „Abend erzählt die Geschichte vom
ergreift er Partei für den Zivilisten, den Oberlieutenant aber bedenkt
Kollegen Crampton noch einmal, nur daß Crampton jetzt Deuben heißt
er so ziemlich mit allen Unarten und Fehlern, die nach der landläufigen
und an Schärfe des Profils beträchtlich verloren hat. Erzählt auch
Anschauung einem arg mißrathenen Offizier anhaften. Der Maler
die Mär von der verführten Künstlerstochter und dem schurkischen
weigert sich, auf einen Zweikampf einzugehen, und obwohl Schnitzle
Millionärssohn, den sie nachher durch Edelmuthgeträufel fabelhaft be¬
mit koketter Gerechtigkeitsliebe alle Gründe für und wider das Duell
schämt. De mortuis nil nisi bene. Es lohnt auch nicht, auf die
von verständigen Leuten vortragen läßt, schanzt er unsere Sympathien
Häufung von Unwahrhaftigkeiten und Stillosigkeiten in dem langen,
doch dem Duellgegner zu. Wo vier Mann einen Einzigen bekämpfen,
nieraktigen Schauspiele einzugehen; es ist zwecklos, nachzuweisen, daß
weiß der edelmüthige Zuschauer gewöhnlich, auf wessen Seite er sich zu
Lindau unbedenklich jeden Charakter bricht, jede Szene verdirbt, wenn
schlagen hat. Und so trifft uns die Katastrophe schließlich wehvoll, das
er irgend einen Coulisseneffekt damit zu erreichen hofft. Das Ganze eine ge¬
Stück endet mit einem starken Effekte und mit allgemeiner Ergriffen¬
spenstisch öde Komödianterei und ein Sammelsurium daneben von An¬
heit. Wir sollen in dem todten Röming ein Opfer verworrener Be¬
klängen an die erfolgreichsten Zungen. Kein Schauspiel, nein, ein
griffe über Muth und Ehre erblicken und gleichzeitig den in Wahrheit
Trauerspiel.
Muthigsten, den Aufgeklärtesten aller derer ehren, die in dem eben ver¬
Im Uebrigen ist man auf den Berliner Bühnen furchtbar lustig
rauschten Drama vor uns auftauchten
gewesen. Schönthan und Koppel-Ellfeld, Letzterer durch
Herr Paul Röming ist aber thatsächlich ein Schwächling wie die
seine Nachempfindungen rühmlichst bekannt, haben zwei unglaublich amusante
Andern, befangen und verknotet wie sie in Anschauungen, denen er, der
Verskomödien geschrieben. Die eine, „Renaissance“, ist im
geistig Hochstehende, der Ueberlegene, sich entwachsen glaubt. Nicht einer
Berliner Theater, die andere, „Die goldene Eva, im Lessing¬
mörderischen Theorie, der eigenen Unvollkommenheit fällt er zum Opfer
Theater in Szene gegangen. Der älteren Schwester hat das Glück
Wohl trotzt er angeblich der Verachtung seiner bisherigen Genossen, die
heller gesonnt; sie beherrscht den Spielplan der fleißigen Bühne in der
ihn einen Feigling nennen, wohl redet er sich und Anderen ein, daß
Charlottenstraße seit längerer Zeit und wurde neulich auf Allerhöchsten
er sie und ihre Vorwürfe verlache. Und dennoch vermag er, obgleich
Befehl im Neuen Palais dem Hofe und seinen Gästen vorgemimt. Auf
in Wien ihm neues, reiches Glück winkt, dem Bannkreise der Gesellschaft
nicht zu entrinnen, der er bisher angehörte. Seine verletzte kleine einem Theater, das bisher nur zwei Dramen zwischen seinen Papp¬