II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 16

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8.
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„spannenden Konflikt erwachsen zu lassen. Dieser
darsten Gegenwart im
das Duell der besser die Konsequenz einer einen
behandelt der Haupt¬
Offizier gewordenen „thätlichen Beschimpfung, die ein Duell nach
den Anschauungen des modernen Offiziers unter allen Umständen
in einen Badeort in
erheischt: der Oberlieutenant Karinski schickt seine Sekundanten zu
versetzt; die Sze¬
Paul, da er es als selbstverständlich erachtet, daß nur ein Duell die
Kaffeehaus, und da¬
Sache zum Ende bringen kann. Aber Paul denkt nicht daran, sich mit
Meisterschaft stell
dem Offizier zu schlagen: er verweigert die Annahme jeglichen Duells.
nes Schauspiels vor
Er hat einen „Lumpen" gezüchtigt — wer gibt diesem Lumpen das
die Gunst der Schau
Recht, ihn, der nur that, was Recht und verdient war, vor den Lauf
erstellungen mit ihnen
der Pistole zu fordern und niederzuknallen? Das ist ein Widersinn,
nützen; den Arzt des
und Widersinn ist der Ehrenkodex, der so etwas verlangt. Nicht Feig¬
Glück hat, pekuniär
heit hält ihn zurück, sondern Ueberzeugung; und von dieser Ueber¬
lastertreter mit dem
zeugung kann ihn nichts abbringen: nicht die Vorstellungen seiner
zug und mit weiten
Freunde, daß er sich in der guten Gesellschaft unmöglich mache; nicht
sommertheaters mit¬
die Vorstellungen eines Offiziers, daß er durch seine Weigerung, den
Diese drei Kreise
geohrfeigten Karinski um Alles brächte, weil dieser nur durch ein
sich von einander,
Duell seine Ehre rehabilitiren könne. Alle Worte, die er von Freun¬
ein Kommen und
den und vom Freunde seines Feindes hört, verhallen, weil er sie alle
he schwirren hin und
zu widerlegen weiß: nicht er trägt die Schuld, wenn Karinskis
angeknüpft. In all
Ehre befleckt ist, sondern dieser selbst hat sie befleckt; und er sieht
keit aber überrascht
keinen Grund ein, sich auch nur ein Haar krümmen, geschweige denn
der Komposition und
sein Leben rauben zu lassen, weil ein Anderer nur dadurch seine Re¬
en, wie es kam, ist
habilitirung erwirken kann. Warum hat Jener sich wie ein Lump
ht: wir kennen
betragen!
dem sie leben. Das
Weniger das persönliche Schicksal des Einzelnen steht hienach
eigungen, über ihre
in Frage, als ein Zeitproblem: es handelt sich nicht mehr so sehr um
Wünsche haben wir
Paul Rönning und den Oberlieutenant Karinski, wie um das
a diese Offiziere und
Dilemma: wo liegt der Ausweg aus einem solchen Konflikt?
d ihre Nebenmenschen
Schnitzler weiß das freilich geschickt zu verschleiern; er trägt feine,
Gruppen drei Haupt¬
stimmungsvolle Szenen in den zweiten Akt seines Schauspiele hinein,
Figuren kommt das
eine zarte, warm empfundene Liebesszene, in der Paul und Anna
den Oberlieutenant
einander finden — aber er geräth, je mehr er dem Schlusse zusteuert,
die Liebhaberin der
desto mehr in das Fahrwasser des Gewollten, anstatt des Natürlichen.
in hingelenkt worden:
Paul, der Duellgegner, der in Anna ein „Freiwild“ geschützt hat, ist
In kurzen Schlägen
jetzt selbst ein „Freiwild" geworden; er ist vogelfrei. Die Gesellschaft
tenant Karinski, der
verzeiht ihm sein Verhalten nicht; auch Diejenigen, die meinen, er
sten Meister ist, nach
habe de principio Recht, können ihm nicht beipflichten, weil die
hält, wettet, daß er
Praxis in einem solchen Falle ein anderes Verhalten erheischt. So ist
ja Riedel überwinden
er der Welt gegenüber „Freiwild"; er wird als Freiwild aber vor
rlage berichten muß
Allen von Karinski betrachtet, der in den starren Anschauungen
leise vor sich hin¬
seines Offiziersthums wähnt, unter allen Umständen durch Züchtigung
Hasse gegen den ver¬
seines Gegners sich rehabilitiren zu müssen. Und nun drängt zum
jene und sucht Paul
Schlusse Alles zu der Frage: wer von den Beiden bleibt Sieger?
eser seine Ruhe. Da
Keine Lösung ist nach Lage der Dinge unmöglich: reist Paul ab,
vom Theater", und
so ist der Austrag der Affaire nicht nur hinausgeschoben, sondern
auf und ohrfeigt den
wohl überhaupt unmöglich gemacht: die Annahme, Karinski werde
Jenen zu finden wissen, wo immer er sei, beweist mir wenigstens
des lebt, Alles ist an¬
nicht das Gegentheil. Bleibt Paul an Ort und Stelle, so wird es
in der entscheidenden
unzweifelhaft zum Rencontre kommen — und es wird Sieger sein,
matisch; dabei wirkt
wer der Schnellere und — Brutalere ist. Aus der Situation heraus
spezifisch österreichisch
scheint mir ein Ende in dem einen oder anderen Sinne nicht geboten.
Aufführung auf das
Wohl aber aus den Absichten des Dichters heraus! Er deckt
Anzengruber erinnert;
im zweiten Akte auf, wie ein Duellgegner in unserer Zeit eben noch
die „gebildeten Kreise
Freiwild ist und wie er also, mag er hundertmal im Rechte sein, unter¬
it in ihren Lebens¬
liegen muß: er, der moralisch Stärkere dem kodermäßig
uns hinzustellen und
Stärkeren! Und das will er an diesem korrekten Beispiel zur
nen im besten Sinne

Anschauung bringen. Wenn man dem dritten entgegengeht, wie
man nicht das und das muß er enthalten, aber das und das wird
er enthalten. Der Dichter ist stärker als das Leben. Die Herbheit seiner
Anschauung muß klar hervortreten: so unterliegt im letzten Akt De¬
jenige, der glaubt, sich über die Konvention hinwegsetzen zu können.
Im Kurparke treffen die Gegner zusammen; Karinski fordert Paul
nochmals zum Zweikampfe heraus, doch dieser ruft ihm nur zu:
„Machen Sie Platz!" Da schießt ihn Jener nieder; der Offizier hat
seine Ehre wiederhergestellt, nun kann er seinen Abschied nehmen oder
sich selbst todt schießen. Paul ist ihm zum Opfer gefallen, ihm und der
herrschenden Anschauung von Mannes- und Offiziersehre: und das
wollte Schnitzler zeigen.
Durch mancherlei kleine Züge hat Schnitzler versucht, auf diesen
Schluß auch künstlerisch vorzubereiten. Er will Karinski als einen
Offizier betrachtet wissen, der nicht in Friedenszeiten hineingehört; der
immer glaubte, sich über Andere erheben zu dürfen; der Widerspruch
nie und nimmer vertragen kann; mit andern Worten: er will
Typisches vom Individuellen scharf trennen. Er gibt in diesem Bestreben
auch den Nebenpersonen feine Beziehungen zu den Hauptgestalten:
zur Seite des Oberlieutenants stehen zwei Kameraden, die helfen sollen,
das Bild des modernen österreichischen Offiziers zu vervollständigen.
Der Eine hält fest am Stande, wiewohl er sich nicht der Einsicht ver¬
schließt, daß sein Kamerad gefehlt hat und im Allerheiligsten seines
Herzens wohl gar meint, der Duellgegner sei nicht ganz im Unrecht; der
Andere wird in Folge der Affaire vorsichtig — er geht derlei Un¬
bequemlichkeiten lieber aus dem Wege, er wird es soweit nie kommen
lassen. Dem Duellgegner Paul sind zwei Herren der guten Gesellschaft
gesellt, die jenen Beiden gewissermaßen entsprechen: der Eine mag
Paul nicht Recht geben, der Andere kann ihm nicht Recht geben;
Jener begreift das Verhalten des Freundes, ohne es deshalb zu
billigen, der Andere kann es überhaupt gar nicht verstehen. So wird
nach allen Seiten hin Stellung genommen und durch die Isolirung
Paul's auch auf das Ende mit Schrecken vorbereitet. Die Motivirung
ist trotzdem gekünstelt: Paul will nicht abreisen, weil er nicht feig
erscheinen will; vor dem rasenden Offizier zu flüchten, das bringt er
nicht über sich. Ginge er aber mit ebenso viel kluger Ueberlegenheit
bei der Durchführung seiner Sache vor, wie bei der Weigerung, das
Duell anzunehmen, so würde er wohl anders handeln. Das sind
Brüche; daß sie trotzdem das Schauspiel nicht auseinander fallen
lassen, ist ein Meisterstück seines Autors, der es verstand, sie für den
Augenblick zu verdecken.
Als reines Kunstwerk wird man „Freiwild nicht schlechthin
rühmen dürfen; als eines der werthvollsten und literarisch am meisten
ernsthaft zu nehmenden modernen Dramen muß es zweifelsohne
gelten. Denn wenn es seiner Anlage nach von Tendenz nicht frei ist,
so ist es doch in seiner Ausgestaltung rein künstlerisch gedacht.
Man fühlt, wohin das Werk zielt — aber die Gestalten sagen es
nicht: es ist, so wie es vor uns steht, durchaus ein Bild modernen
Lebens; es wirkt gerade jetzt und gerade bei uns umso mehr als ein
solches, als wir vor wenig Wochen einen ähnlichen Fall — den Fall
Brüsewitz — erleben mußten; es ist vielleicht nicht seiner Technik
nach, aber seinem Ideengehalte nach eines jener wenigen Dramen, in
denen unsere Zeit sich widerspiegelt. Und deshalb gewinnt es weit
über den Tag hinaus, dessen Ereignisse mit seinen Begebenheiten
zusammenfallen, Werth, weil es in seinem Rahmen Zustände und
Gedanken unserer Tage zusammenhält.
Walter Patow.