II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 17

8.
box 14/2
reiwi

-
Helden Dietrich von Quitzow nicht gut unsere volle Teil¬
nahme schenken können, ohne dem ihm gegenüberstehenden
Hohenzollern etwas von unserer patriotischen Verehrung
zu entziehen, und umgekehrt, so bedauere ich sowohl den
Tragiker Ernst von Wildenbruch, wie den Aesthetiker
Eugen Wolff. Jenen, weil er das tragische Gesetz, daß die
sich bekämpfenden Gegner im Grunde beide Recht haben
müssen, nicht so energisch hat durchführen können, daß
wie unseren Patriotismus ganz und gar vergessen, und
diesen, weil er dieses tragische Gesetz gar nicht zu kennen
scheint und annimmt, daß wir uns in wirklich tragischer
Erregung irgendwie vom Patriotismus beeinflussen lassen.
Welche Idee überhaupt, daß man, weil man die Herr¬
schaft der Hohenzollern im Reiche für segensreich hält,
nun auch gleich für ihre fernsten Vorfahren, die Mark¬
grafen von Brandenburg und Burggrafen von Nürnberg
patriotisch fühlen soll! Aber nicht nur Wolff hat diese
Idee, Wildenbruchs Stücke basieren geradezu auf ihr.
Ich kann mich gewiß für den großen Kurfürsten in Kleists
„Prinzen von Homburg" begeistern, aber selbst für ihn
nicht, weil ich weiß, daß er Kurfürst von Brandenburg
war, sondern weil er mir aus dem Drama als großer
Mensch und Fürst entgegentritt. Dabei unterschätze ich
die poetische Kraft des Patriotismus nicht, er kann lyrisch
hinreißen, kann im Roman, als Heimatliebe, das innige
Gefühl der Anhänglichkeit an einen bestimmten Boden
und für den Fremden eine vertraute Stimmung wecken,
aber das Drama hat es, wie gesagt, mit den Grund¬
verhältnissen der menschlichen Natur zu thun, und so kann
es streng genommen ein patriotisches Drama nicht geben,
oder es kann doch der Wert eines Dramas nie auf seinem
Patriotismus beruhen. Darüber ist schon in Lessings
Dramaturgie das Nötige gesagt. Wenn Wolff es endlich
als Wildenbruchs Verdienst bezeichnet, daß „in einer Zeit,
o der Naturalismus die Poesie in Plattheit und Nüchtern¬
heit zu ersticken drohte, die Stimme echter Begeisterung
und der kühne Flug der Phantasie unserer Bühne erhalten
bliebe, so befindet er sich in einer starken Täuschung; erst¬
lich ist Wildenbruch gerade weit genug mit dem Natur¬
alismus gegangen, und zweitens hat er auf der Bühne
nirgends festen Fuß gefaßt und kaum eine tiefere Wirkung
geübt. Nur für die Übergangszeit im Anfang der achtziger
Jahre hat er Bedeutung, da er die Abwendung vom Kon¬
ventionalismus mit bezeichnet. Jedenfalls aber hätte die
regelmäßige Aufführung der Kleistschen, Grillparzerschen,
Hebbelschen, Ludwigschen Dramen während des ganzen
verflossenen Menschenalters der Bühne der heranwachsenden
Dichtergeneration und auch dem Publikum erheblich größere
Dienste geleistet, als die sämtlicher Werke Ernst von
Wildenbruch, die, an den Werken dieser Meister gemessen,
doch nur theatralische Halbheiten sind.
über Wagner, den Wolff nach Wildenbruch behandelt,
spreche ich nicht gern. Ihn als germanischen Bären, als
Geistesverwandten Luthers und Bismarcks hinzustellen
scheint mir aber ein ungewöhnliches Maß mangelnder
Anschauung zu bedeuten. — Nach Wagner kommt Karl
Bleibtreu — man könnte es für Ironie halten, aber Wolff
ist ein wirklicher Verehrer von Bleibtreus Napoleon= und
Byrondramen und gesteht ihm einen kongenialen Zug mit
diesen Großen zu. Ich glaube, daß man Bleibtreu alle Ehre
anthut, wenn man ihn unter den Grabbenachahmern mit¬
zählt; wie diese alle verfügt er höchstens über jene Schein¬
genialität, die unerfahrenen jungen Leuten so gewaltig zu
imponieren pflegt, selbst wenn sie, wie bei Bleibtreu oft
und

genug, in einem Meer von Trivialität ertrinkt. — Von
Fitger will Wolff nichts wissen. Hätte der Dichter seine
Hexe“ und „Von Gottesgaden" in Shakespere und Kleist
nachgeahmten realistischen Versen geschrieben, so käme er
am Ende doch mit Wildenbruch mit, zumal sein Freiheits¬
pathos genau so viel wert ist wie dessen Patriotismus.
Mit kurzen, nicht unfreundlichen Charakteristiken Bulthaupts
und Wolfgang Kirchbachs schließt Wolff seinen Abschnitt
über das historische Drama. (Schluß folgt.)
Adolf Bartels,

Theater.
re
Wichtigere Schauspielaufführungen.
Berliner Bericht.
Das Theater des Westens“, von dessen ersten Mi߬
griffen ich Ihnen berichtete, hat endlich eine Wahl getroffen,

die seinem Publikum entspricht und die auch seinen Schau¬
spielern, besonders dem tüchtigen Charakteristiker Rohland
die richtige Aufgabe bot. Es war das alte Robert s'sche
Stück „Treu, das, in den siebziger Jahren entstanden,

erst jetzt nach dem Tode des Dichters in Berlin bekannt wird.
Es spielt während des Krieges auf der Burg Ehrenbreit¬
stein beim Wallmeister, dessen Tochter mit einem deutschen
Soldaten verlobt ist, aber, nachdem sie dessen Tod erfahren,
sich den Schmeicheleien eines dort eben einquartierten französi¬
schen Gefangenen hingibt. Der Schluß ist etwas gewaltsam:
die Mutter handelt heimlich mit der Tochter, der Bruder
spielt den Denunzianten, der Vater wird auffallend nach¬
giebig, aber die Tochter verhilft dem Offizier zur Flucht,
auf der er erschossen wird. Es ist merkwürdig, wie selten
dieser dankbare Stoff behandelt worden ist und man freut
sich mit dem Dichter, alle diese noch ungekannten Schachte
zu graben. Es ist ein gutes Stück Volkstum in dem
Drama und viel sympatische Stimmung. Die Technik
läuft auf etwas trivialen Bahnen, doch kommt stets kurz
vor der endgiltigen Trivialität eine überraschende und
versöhnende Wendung. Der Patriotismus und die Sen¬
timentalität überschreiten nie die Grenze der Ehrlichkeit.
Mehr ist eigentlich nicht zu sagen.
Man gewöhnt sich in Berlin daran, die Stücke nicht
ohne ihren Rahmen zu beurteilen. Auf einem anderen
Boden hätte vielleicht die „Treue anders gewirkt. Aber
wer die hiesigen Verhältnisse kennt, wird in dieser Ver¬
teilung keinen Fehler, sondern im Gegenteil einen Vorzug
erblicken. Hätten die Theater im ganzen dasselbe Publi¬
kum und dasselbe Aeußere, so würde nur eine Ernied¬
rigung des allgemeinen Niveaus eintreten, das Variété
würde immer mehr siegen. So, wie es jetzt steht, wahrt
sich der literarische Geschmack im „Deutschen Theater"
wenigstens eine Reserve, das Volksstück hat sein „Berliner
Theater" und „Theater des Westens“, der Schwank sein
„Residenz= und „Neues Theater“. Das Berliner Theater
hat keinen Durchschnitts=Charakter; wer hier zuhause ist,
weiß, daß nicht im entferntesten das „Lessing=Theater",
wie man draußen vielfach glaubt, den Ton angibt. Ge¬
rade das Lessing=Theater hat in der letzten Zeit so böse
Erfahrungen gemacht, daß Herr Blumenthal gewiß sehr
vergnügt wäre, wenn man ihn wieder einmal als Stimm¬
führer bezeichnen könnte; er hat weder mit dem letzten
Werk l'Arronges, „Annas Traum“, noch mit seinem
eigenen „Einmaleins" irgend einen Erfolg erzielt und hat
sich jetzt dem berüchtigten Koppel-Ellfeld=Rummel