II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 32

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8. Freiwild

war zwar im Begriff abzureisen, aber fliehen, nein,
entwickelte sich ein hastig
das thut er nicht. Er bleibt, bleibt, so sehr auch sie,
Gatte der Vermietherin
für die er eintrat, die er liebt und heirathen will, in
Zimmer seiner Wohnung
ihn dringt. Der beleidigte, verzweifelte Officier tritt
hatte während der Stunden
außer Hause zubrachte, den Be¬
m denn auch bald in den Weg.
wie sie zu
und das Zimmer heimlich vermische
„Wollen Sie sich mit mir schlagen?" Rönninger
größten Ueberraschung der beiden Männer nach der nächt
sieht ihn stumm und fremd an.
lichen Prügelei zum Besten gab, um einen Zeugen für
„Ich frage noch einmal, wollen Sie sich mit mir
das ungebührliche Betragen ihres Gatten
schlagen?"
zu haben, den sie zu verlassen gedenkt. Der Buch¬
„Machen Sie mir Platz", antwortet Rönning, und
handlungsgehilfe zog schon am Morgen nach der „ruhigen
als die dritte, heftigste Frage wieder erfolglos bleibt,
Nacht aus
schießt ihn der Officier nieder. „Freiwild“
also in unserer Welt auch Jemand, der ein Duell ab¬
lehnt.
Vor den Coulissen.
Das Schauspiel ist spannend von Anfang bis zu
Das „Deutsche Theater" schreitet von Erfolg
Ende, ohne daß eine Speculation auf Spannung er¬
Erfolg. Auf Sudermann's „Morituri", folgte
soeben eine kräftige dramatische Erörterung des kennbar wird. Die Wirkung ist eine lebhafte, wenn
auch entfernt nicht so stark wie in „Liebelei“. Während
Rechts und Willens zu leben. „Freiwild
dort unser Gemüth, unser Empfinden aufgerüttelt ist,
nennt sich das neue Bühnenwerk, das gestern Abend
hier in Berlin zuerst das Lampenlicht erblickte, das wendet sich dieses Tendenz=Stück an unser Gerechtig¬
Stück, von dessen Wesen und Inhalt vorher auf keitsgefühl, an unseren Verstand. Und bedingungslos
tritt dieser dem Helden nicht bei, so sympathisch
fallender Weise nichts, gar nichts verlautet hatte
der Verfasser, Arthur Schnitzler, hat hier das uns auch die Tendenz ist. Zufällige Ereig¬
seltene Glück, mit dem zweiten Stück nisse der letzten Zeit lassen das Stück als sehr
ich den zweiten kräftigen Erfolg zu erzielen, actuell erscheinen und wem wäre ein Plaidoyer
Kräftigen Erfolg? Wer zufällig zum Schluß der gegen den verkehrten, mit Menschenleben spielenden
Ehrbegriff nicht gerade jetzt doppelt sympathisch. Aber
lufführung, beim Fallen des Vorhangs in den Zu¬
man fragt sich doch auch: ist ein beliebiger junger
chauerraum getreten wäre, der hätte den Eindruck
empfangen, daß hier nur von einem bestrittenen Erfolge Mann berechtigt, für eine fremde Dame eintretend
ie Rede sein kann, denn der allerdings sehr lebhafte einen Officier zu ohrfeigen, wenn er nicht
Genugthuung geben will. Wenn er in diesem Punkte
and recht herzliche Beifall wurde von einem nicht
zu überhörenden, einem ziemlich energischen Zischen verständig denkt, dann darf auch er nicht zur rohen
Gewalt greifen, sich nicht zum Richter und Vollstrecker
bekämpft, wenn auch die Opposition bei Weiten
der Minderheit war. Wer aber der von Urtheilen aufwerfen, dann soll er sich mit stummer
Verachtung, mit einem scharfen Wort, mit Klage,
Aufführung beigewohnt hat und die Ent¬
Ehrengericht oder sonstwie helfen. Zum Holz¬
scheidung des Publikums nicht ausschließlich nach
die den Comment sich bekennen und den Pistolen¬
dem Kampf der Geräusche beurtheilt,
Schluß begleiteten, der fühlte es, wie das Publikum im Comment zurückweisen, ist bedenklich. So ritter¬
Banne der Dichtung stand und wie die Gegnerschaft lich, consequent und schön sein Ausharren der
Gefahr gegenüber ist, so bleibt doch ferner die Frage,
nicht eigentlich dem Bühnenwerke als einem solchen
ob er nicht in Consequenz seiner eigenen Anschauungen
sondern in erster Reihe seiner Tendenz galt.
Ein Tendenz=Stück ist das dreiactige Schauspiel der Gefahr hätte aus dem Wege gehen oder ob er ihr
„Freiwild“. Ein kräftig ausgeführtes Lebensbild ist nicht wenigstens hätte entgegentreten müssen, anstatt
hier aufgeboten zum Kampfe gegen das Duell. Die unthätig dazustehen, während er doch wissen mußte,
Frage des Zweikampfes ist schon sehr oft auf der was ihm droht.
Im ersten Act ist das österreichische Badeleben,
Bühne erörtert worden, in „Satisfaction" nahm sogar
ein deutscher Officier das Wort gegen die Wider= der Verkehr der Officiere, Gigerl, Badegäste, ins¬
besondere aber das Leben der Schmiere vortrefflich
sinnigkeiten des Duells. So hart ist indeß Anlaß
geschildert, treu und echt in jedem Zuge. Nur in der
Durchführung und gewaltsame Lösung des Conflict¬
dem Theaterpublikum noch selten vor's Auge gerückt Zeichnung des Directors, der, als es heißt, eine Dame
könne von ihrer Gage nicht leben, verwundert aus¬
worden.
ruft: „Soll ich etwa meine Schauspielerinnen er¬
„Freiwild" — der seltsame Titel des eigen¬
artigen Stückes, hat, so will uns scheinen, eine nähren!" und der seinem Kossirer auf die
Bemerkung, diese Dame ist wirklich — „nicht
doppelte Bedeutung und betrifft die beiden Seiter
Sie die
antwortet: „nächstens lasse
der Handlung. Wir sind in einem kleinen Badeorte
in der Nähe von Wien. Die Officiers= und Gigerl. Naiven spielen herrscht der Griffel des Karrika¬
Gesellschaft gruppirt sich um's Theater, dessen Damen turisten vor. Die Darstellung der Theater=Misère in
ein „Freiwild“ für die Müßiggänger zu sein scheinen, ihrer ernsten und lustigen Seite hätte in dem Stück
wohl noch einen breiteren Raum einnehmen können.
Die kleinen Liebhaberinnen, Soubretten, Choristinnen
Jedenfalls hat man überall das Gefühl, daß der Ver¬
fühlen sich denn auch äußerst wohl bei den Cham
pagner Soupers, und der Director ist von der „Füh¬asserichtes Leben, das er gründlich kennt, einfach und
lung", die seine Bühne mit dem Publikum gewinnt, treu auf die Bühne bringt. So wahr berührt es
daß selbst der lange erste Art fesselte, obwohl er nur
ganz entzückt. Eine einzige Dame ist herb und streng
weist jeden Versuch einer Annäherung schroff zurück das Milieu schildert und die spannende Handlung erst
zum Schluß einsetzt.
und glaubt der Kunst allein leben zu sollen, was der
Das Werk fand im „Deutschen Theater" eine vor¬
heiligen Zorn ihres Directors herausfordert
Gerade auf diese eine aber capricirt sich ein treffliche Verkörperung. Man athmete förmlich öster¬
leichtsinniger und eigenwilliger Officier und wettet reichische Luft. Der Verfasser von „Liebelei“ ist in
dem neuen Werke überall zu erkennen. Eine besondere
am offenen Caféhaus-Tisch, er werde die Dame zun
Souper bewegen. Als er von seinem Einladungs¬ Aehnlichkeit bieten die beiden weiblichen Hauptfiguren:
gange als Verlierender zurückkehrt, provozirt er einen die leichtfertige, kokettirende Soubrette, die von
Fr. Gisela Schneider mit dem frischesten Leben dar¬
jungen Mann, den Freund und Verehrer jener Schau
spielerin, dessen „Lächeln“ ihn reizt. Es kommt zu gestellt wurde und die ernste, strenge Anna Riedel — eine
einem Wortwechsel, in dessen Verlaufe der Officier wenig dankbare Aufgabe, an die Fräulein Trenner
auch noch eine Verdächtigung gegen die Dame aus allen Eifer wandte. Herr Rittner war als Paul
stößt. Der junge Mann ohrfeigt ihn. Mit der Aus= Rönning völlig in seinem Elemente: offen, frei, warm
und natürlich in jeder Gemüthsregung, jedem Wort
sicht auf ein Duell schließt der erste Act.
Der zweite Act bringt eine Ueberraschung. Paul Den etwas wüsten Oberlieutenant Karinski stellte
Herr Sauer voller Temperament dar und wahr genug
Rönning, der junge Herr, der sich der Künstlerin so
lebhaft angenommen, lehnt die Forderung ab. „Der im Wesen, obwohl norddeutsch in der Sprache. Auch Herr
Nissen verzichtete sehr kluger Weise aufs Oestreicheln
Officier hat gehandelt wie ein Nichtswürdiger, ich
und war doch überaus lebenswahr als sympathischer,
habe ihn nach Gebühr gezüchtigt, ich habe nichts mehr
mit ihm zu schaffen," erwiedert er. Die eigenen Freunde verständiger Officier vornehmerer Richtung. Die un¬
lehnen sich auf gegen diese Logik, und betonen glaubliche Zumuthung eines Schein=Duells — ein em¬
die Pflicht der Verantwortung, das Recht der pfindlicher Fehler des Stücks — berührte darum
freilich umso peinlicher. Herr Hermann Müller
bestehenden Ehrengesetze. Rönning bleibt stand¬
Anlaß, sich vor die war wunderbar echt als österreichischer Lieutenant.
habe keinen
lauman