II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 33


Rechts und Willens zu leben. „Freiwild auch entfernt nicht so stark wie in „Liebelei. Während
nennt sich das neue Bühnenwerk, das gestern Abend dort unser Gemüth, unser Empfinden aufgerüttelt ist,
hier in Berlin zuerst das Lampenlicht erblickte, das wendet sich dieses Tendenz=Stück an unser Gerechtig¬
Stück, von dessen Wesen und Inhalt vorher auf keitsgefühl, an unseren Verstand. Und bedingungslos
fallender Weise nichts, gar nichts verlautet hatte, tritt dieser dem Helden nicht bei, so sympathisch
der Verfasser, Arthur Schnitzler, hat hier das uns auch die Tendenz ist. Zufällige Ereig¬
seltene Glück, mit dem zweiten Stück nisse der letzten Zeit lassen das Stück als sehr
actuell erscheinen und wem wäre ein Plaidoyer
ch den zweiten kräftigen Erfolg zu erzielen
Kräftigen Erfolg? Wer zufällig zum Schluß der gegen den verkehrten, mit Menschenleben spielenden
Ausführung, beim Fallen des Vorhangs in den Zu=Ehrbegriff nicht gerade jetzt doppelt sympathisch. Aber
man fragt sich doch auch: ist ein beliebiger junger
chauerraum getreten wäre, der hätte den Eindruck
pfangen, daß hier nur von einem bestrittenen Erfolge Mann berechtigt, für eine fremde Dame eintretend
le Rede sein kann, denn der allerdings sehr lebhafte einen Officier zu ohrfeigen, wenn er nicht
Genugthuung geben will. Wenn er in diesem Punkte
nd recht herzliche Beifall wurde von einem nicht
zu überhörenden, einem ziemlich energischen Zischen verständig denkt, dann darf auch er nicht zur rohen
bekämpft, wenn auch die Opposition bei Weitem Gewalt greifen, sich nicht zum Richter und Vollstrecker
der Minderheit war. Wer aber der von Urtheilen aufwerfen, dann soll er sich mit stummer
Aufführung beigewohnt hat und die Ent= Verachtung, mit einem scharfen Wort, mit Klage,
scheidung des Publikums nicht ausschließlich nach Ehrengericht oder sonstwie helfen. Zum Holz¬
dem Kampf der Geräusche beurtheilt, die den Comment sich bekennen und den Pistolen¬
Schluß begleiteten, der fühlte es, wie das Publikum im Comment zurückweisen, ist bedenklich. So ritter¬
lich, consequent und schön sein Ausharren der
Banne der Dichtung stand und wie die Gegnerschaft
nicht eigentlich dem Bühnenwerke als einem solchen, Gefahr gegenüber ist, so bleibt doch ferner die Frage,
ob er nicht in Consequenz seiner eigenen Anschauungen
sondern in erster Reihe seiner Tendenz galt.
der Gefahr hätte aus dem Wege gehen oder ob er ihr
Ein Tendenz=Stück ist das dreiactige Schauspie
„Freiwild“. Ein kräftig ausgeführtes Lebensbild ist nicht wenigstens hätte entgegentreten müssen, anstatt
hier aufgeboten zum Kampfe gegen das Duell. Die unthätig dazustehen, während er doch wissen mußte,
Frage des Zweikampfes ist schon sehr oft auf der was ihm droht.
Im ersten Act ist das österreichische Badeleben,
Bühne erörtert worden, in „Satisfaction" nahm sogar
ein deutscher Officier das Wort gegen die Wider= der Verkehr der Officiere, Gigerl, Badegäste, ins¬
sinnigkeiten des Duells. So hart ist indeß Anlaß, besondere aber das Leben der Schmiere vortrefflich
Durchführung und gewaltsame Lösung des Conflicts geschildert, treu und echt in jedem Zuge. Nur in der
dem Theaterpublikum noch selten vor's Auge gerückt Zeichnung des Directors, der, als es heißt, eine Dame
könne von ihrer Gage nicht leben, verwundert aus¬
worden.
„Freiwild" — der seltsame Titel des eigen= ruft: „Soll ich etwa meine Schauspielerinnen er¬
artigen Stückes, hat, so will uns scheinen, eine nähren!" und der seinem Kassirer auf die
doppelte Bedeutung und betrifft die beiden Seiten Bemerkung, diese Dame ist wirklich — „nicht
antwortet: „nächstens lasse ich Sie die
der Handlung. Wir sind in einem kleinen Badeorte
Kaiven spielen herrscht der Griffel des Karrika¬
in der Nähe von Wien. Die Officiers= und Giger¬
Gesellschaft gruppirt sich um's Theater, dessen Damen turisten vor. Die Darstellung der Theater=Misère in
ihrer ernsten und lustigen Seite hätte in dem Stück
ein „Freiwild" für die Müßiggänger zu sein scheinen
wohl noch einen breiteren Raum einnehmen können.
Die kleinen Liebhaberinnen, Soubretten, Choristinnen
Jedenfalls hat man überall das Gefühl, daß der Ver¬
fühlen sich denn auch äußerst wohl bei den Cham¬
fasser echtes Leben, das er gründlich kennt, einfach und
pagner=Soupers, und der Director ist von der „Füh¬
lung", die seine Bühne mit dem Publikum gewinnt, treu auf die Bühne bringt. So wahr berührt es,
ganz entzückt. Eine einzige Dame ist herb und streng, daß selbst der lange erste Art fesselte, obwohl er nur
weist jeden Versuch einer Annäherung schroff zurück das Milien schildert und die spannende Handlung erst
und glaubt der Kunst allein leben zu sollen, was den zum Schluß einsetzt
Das Werk fand im „Deutschen Theater" eine vor¬
heiligen Zorn ihres Directors herausfordert
Gerade auf diese eine aber capricirt sich ein treffliche Verkörperung. Man athmete förmlich öster¬
leichtsinniger und eigenwilliger Officier und wettet reichische Luft. Der Verfasser von „Liebelei“ ist in
am offenen Caféhaus-Tisch, er werde die Dame zum dem neuen Werke überall zu erkennen. Eine besondere
Souper bewegen. Als er von seinem Einladungs= Aehnlichkeit bieten die beiden weiblichen Hauptfiguren:
gange als Verlierender zurückkehrt, provozirt er einen die leichtfertige, kokettirende Soubrette, die von
Fr. Gisela Schneider mit dem frischesten Leben dar¬
jungen Mann, den Freund und Verehrer jener Schau
spielerin, dessen „Lächeln" ihn reizt. Es kommt zu gestellt wurde und die ernste, strenge Anna Riedel — eine
einem Wortwechsel, in dessen Verlaufe der Officier wenig dankbare Aufgabe, an die Fräulein Trenner
auch noch eine Verdächtigung gegen die Dame aus allen Eifer wandte. Herr Rittner war als Paul
stößt. Der junge Mann ohrfeigt ihn. Mit der Aus= Rönning völlig in seinem Elemente: offen, frei, warm
und natürlich in jeder Gemüthsregung, jedem Wort.
sicht auf ein Duell schließt der erste Act.
Der zweite Act bringt eine Ueberraschung. Paul Den etwas wüsten Oberlieutenant Karinski stellte
Rönning, der junge Herr, der sich der Künstlerin so Herr Sauer voller Temperament dar und wahr genug
lebhaft angenommen, lehnt die Forderung ab. „Der im Wesen, obwohl norddeutsch in der Sprache. Auch Herr
Officier hat gehandelt wie ein Nichtswürdiger, ich Nissen verzichtete sehr kluger Weise aufs Oestreicheln
habe ihn nach Gebühr gezüchtigt, ich habe nichts mehr und war doch überaus lebenswahr als sympathischer,
mit ihm zu schaffen," erwiedert er. Die eigenen Freunde verständiger Officier vornehmerer Richtung. Die un¬
lehnen sich auf gegen diese Logik, und betonen glaubliche Zumuthung eines Schein=Duells — ein em¬
die Pflicht der Verantwortung, das Recht der pfindlicher Fehler des Stücks — berührte darum
freilich umso peinlicher. Herr Hermann Müller
bestehenden Ehrengesetze. Rönning bleibt stand¬
haft. Er habe keinen Anlaß, sich vor die war wunderbar echt als österreichischer Lieutenant.
Pistole eines Menschen zu stellen, dem nur sein Die fremdländischen Uniformen waren einer un¬
Recht geschehen. Der Welt seinen Muth zu beweisen befangenen Erörterung der heilken Frage nur
habe er keinerlei Interesse. Wenn kein Ehrenmann förderlich. Die Herren Reicher und Hans
Fischer boten ebenfalls zwei prächtige öster¬
mit ihm verkehren“ wird, weil er „einen Lumpen ge
züchtigt hat, so versteht er das nicht, nimmt es aber reichische Typen, eine ernste der Erste, eine sehr lustige,
auf sich und weist sogar dem einen „Freunde“ die der Letztere. Den Schmierendirector verkörperte Herr
Thür. Die Dame, deren er sich angenommen, kommt, Thielscher so lustig wie natürlich und Frl.
von Angst vor einem durch sie veranlaßten Duell ge¬ Eberty, die Herren Biensfeld, Marx, Reinhardt,
Vallentin, stellten prächtige Theater=Typen dar. Auch
Es spielt eine einfach sich entwickelnde
trieben.
natürlich geführte Liebes=Scene. Da kehrt der ihnen galt der lebhafte zum Schluß nur be¬
strittene Beifall, der den einnehmend wienerisch aus¬
Officiere, die als
der beiden
Zeugen des Beleidigten abgewiesen worden waren, sehenden Verfasser nach jedem Act vor den Vorhang
J. L.
zurück, um noch einmal, „als Mensch zum rief.
Menschen," auf den Zweikampf zu dringen. Er bittet
Man schreibt uns aus Lübeck: Wir hatten am
förmlich. Sein Freund und Kamerad kann ohne
„diese Genugthuung nicht weiter leben. Er deutet an, Freitag einen Premierenabend, zu welchem sich mehrere
das Duell solle ihn in keiner Weise gefährden. Bühnenleiter eingefunden hatten. Es ging das sociale
Rönning lehnt die Theilnahme an einer solchen Drama (Schauspiel „Das höchste Gesetz" von
Komödie mit begreiflicher Entrüstung ab, ebenso die T. Szafranski zum überhaupt ersten Male, und das
Verantwortung für das Schicksal des Officiers. Wenn vor ausverkauftem Hause, in Scene. Das Stück
er nicht weiter leben kann, so ist es nur sein Wahnwitz wurde sehr beifällig aufgenommen, der anwesende
Autor wurde wiederholt gerufen. „Das höchste Gesetz"
und der sinnlose Ehrbegriff, der ihn in den Tod treibt
Der Officier verabschiedet sich, indem er diese Ent¬ ist ein sociales Drama; es behandelt den wirthschaft¬
lichen Niedergang einer Familie und die Zerstörung
scheidung im Interesse aller Betheiligten bedauert.
(Fortsetzung in der 1. Beilage.)
„Jetzt flieh, so schnell wie möglich", räth der aus¬
Hierzu 3 Beilagen.
harrende Freund, „dein Leben ist in Gefahr. Rönning
deln. — An die Rebellen sich den Wenn die Balle. — Das von d. R. demande de