II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 43

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schaffen könnte, als die immerhin recht mangelhafte
Literatur zu seinem Bilde, er würde keinen Kenner zu
überzeugen vermögen, daß Rafael auch nur eine Hand daran
gelegt, geschweige denn, daß es das Original oder auch nur
der erste Versuch zu seinem schönsten Madonnenbilde sei.
Die Assomptione della Madona ist eine ältere, ziemlich
schwache Kopie des Dresdner Bildes, die durch eine
umfangreiche Uebermalung soviel an Werth verloren,
als sie an oberflächlicher Aehnlichkeit mit dem Meister¬
werke Rafaels gewonnen zu haben scheint. Herr
Badrutt besitzt die feurige Begeisterung für den Werth
seines Eigenthums, die man so häufig bei den Besitzern
alter Bilder beobachten kann, und sie entschuldigt seinen
Eifer, mit dem er die Dresdner Galerie um ihren
größten Schatz ärmer machen möchte.
Hans Rosenhagen.
Kleine Mittheilungen. Das soeben aus¬
gegebene Novemberheft der im Verlag von E. S.
Mittler u. Sohn erscheinenden „Marine=Rund¬
chau" bringt einen fesselnden Bericht über die
Fahrten, Leistungen und das tragische
Ende des Kanonenboots „Iltis" aus der Feder
des Wirkl. Admiralitätsraths Koch. Eine Anzahl Ab¬
bildungen führt uns den schaurigen Anblick des Wracks
vor Augen. „Mit aufgerissener Steuerbordseite und
geborstenem Kiel liegt das Vorschiff auf dem bei Ebbe
trocken gefallenen Riff, das Hinterschiff aber ist ganz
zerschmettert und ohne Zusammenhang. Hier ragt ein
Theil des Hecks aus dem Wasser heraus, dort liegen
auf dem Felsen noch mit dem Schiffsboden zusammen¬
hängende Ueberreste des Maschenfundaments, dort
Bruchstücke, die sich als Oeltanks und dergleichen er¬
kennen lassen, und dazwischen zeigt sich überall der
spitze, scharfe Fels, an dem Schiff und Mannschaft mit¬
leidlos zerschellen mußten. Welches Deutschen Herz
sollte aber nicht höher schlagen, wenn er hört, daß der
Vater eines Matrosen, der draußen den Tod fand,
dem schweren Schlag mit ernster Fassung sich fügte und
an den kommandirenden Admiral folgenden
Brief richtete:
„Trotz meines großen Verlustes und Schmerzes bin ich
weit entfernt, es zu bedauern, daß ich meinem in der Blüthe
der Jahre heimgegangenen einzigen Sohne die Genehmigung
zum Eintritt in die kaiserliche Marine gegebe habe. Er
hat sich glücklich in dem frei gewählten Berufe gefühl, Hätte
ich das Glück, noch einen Sohn zu besitzen, so würde ich
auch diesem, soweit an mir läge, den Eintritt nicht ersagen."
Mit freudiger Genugthuung erfüllt es, so heißt es
zum Schluß des Aufsatzes, die Angehörigen der Marine,
sei es, daß sie berufen sind, draußen auf See der
Flagge schwarz=weiß=roth zu folgen, sei es, daß sie sich
bescheiden müssen, vom Schreibtisch aus ihr Interesse
zu fördern, daß sie die Männer vom „Iltis Brüder
und Kameraden nennen durften, sie, von denen man
reden und deren Namen man preisen wird, wo immer
Diejenigen genannt werden, die wie Helden zu sterben
wußten!
Frithjof Nansen hat, wie gestern kurz mit¬
getheilt wurde, mit der Schilderung seiner Nordpolreis¬
im „Daily Chronicle" begonnen. Auf die dort ge¬
machten Mittheilungen näher einzugehen, erscheint
von
der Verlag
überflüssig, da gleichzeitig
F. A. Brockhaus in Leipzig das Erscheinen der
deutschen Ausgabe des Nansenschen Werkes in
nahe Aussicht stellt. Es führt den Titel „In Nacht
und Eis. Zwei Lieferungen davon werden noch
vor Weihnachten vorliegen. Mehrere Tausend Photo¬
graphien hat Nansen zurückgebracht, von Gletschern
und Torossen, vom Leben an Bord und in
den Schneehöhlen seines Winterquartiers und
von allerhand Thieren, darunter die eines
ihn angreifenden Eisbären, den er drei Mal photo¬
graphirte, bevor er ihn schoß! Etwa 200 Abbildungen,
theils Photographien, theils Zeichnungen des Malers
Sinding, werden dem Buch beigegeben, außerdem zwei
ne
die uns beim Frühimbiß von den lieben Zeitungen dar¬
gerei, wird, neuerdings eine reichliche Abenddosis
hinzukommt, deren Beschaffung die Theater freundlich
übernommen haben. Das Theater wird mehr und
mehr zu einer gespielten Zeitung, einer Rundschau in
lebenden Bildern, einem in Rede und Gegenrede zuge¬
stützten Tageblatt; die holde Donna Kunst zieht
sich scheu zurück, die Hexe Politik erfüllt nun
auch, wie andere Tempel, den Musentempel mit
Pech= und Schwefelgeruch und die Poesie weicht
bebend der „brennenden Tagesfrage!" Das ist keine
Uebertreibung, denn wenn innerhalb weniger Wochen
die eine Tagesfrage „Duell und Ehre" drei oder
viermal auf unseren ersten Bühnen zur Verhandlung
komme, dann hat die Kunst verlorenes Spiel. Wie da¬
Aesthetische mit seinen feineren Reizen den brutalen
Wirkungsmitteln des Tagespolitischen erliegt und er¬
liegen muß, dass bot die Aufführung des Dramas
„Freiwilo von A. Schnitzler, die am Dienstag im
Deutschen Theater" stattfand, ein lehrreiches
Beispiel. Das Drama hebt an, als ob es ein
seelisches Problem künstlerisch gestalten wolle. In reiz¬
voller Weise führt es zunächst einige Szenen aus dem
österreichischen Bade= und Bühnenleben vor. Wohin
wir blicken, nichts als Leichtfertigkeit und Oberflächlich¬
keit, leichtsinnige Männer, leichtfertige Weiber. Unter
den Weibern ist nur Eine, die sich rein und stark er¬
„öffentliche
hält, sie will auch als Künstlerin
Person den „Schild der Ehre blank erhalten, in
Brunhilbengleicher Abgeschlossenheit verharren. Aber
sie merkt bald, daß sie als Schauspielerin von allen
Mannsen für Freiwild angesehen wird; Jeder lockt
und drängt sie auf den breiten Pfad, den sie „Alle,
Alle wandeln, jedes Mittel wird angewandt, jedes für
berechtige gehalten, die Widerspenstige aus ihrer Aus¬
nahmestellung zu verdrängen. Das Problem, das diese
Einleitung bietet, ist nicht sonderlich neu, aber es hätte
sich doch anziehend und eigenartig gestalten lassen,
wenn der Verfasser statt eines weiblichen Typus
eine Frau von besonderer seelischer Art ge¬
schaffen und den Hauptwerth auf die Charakteristik, die
innere Entwicklung gelegt hätte, wenn es ihm vor
Allem darum zu thun gewesen wäre, die einzelnen
Stadien des Kampfes zwischen Verführung und Abwehr
eingehend und mit feinem Stift zu zeichnen. Aber
darum war es Schnitzler leider nicht zu thun. Er
führt das Problem, das der Titel andeutet, überhaupt
nicht weiter durch, und statt eines individuellen Seelen¬
dramas erhalten wir vom zweiten Akt an ein ganz ge¬
wöhnliches Spannungsdrama, eine Art Kriminalgeschichte,
deren theatralische Darlegung das Talent eines tüchtigen
und begabten Reporters, keineswegs aber einen Dichter
und Künstler verräth. Der „Fall", den Schnitzler
erörtert, ist folgender. Die vielumworbene Dame, von
der oben die Rede war, hat nur einen wahren Freund,
der sie in ihrer Zurückhaltung und Strenge zu schätzen
weiß, den ebenso modern gesinnten wie kapitalkräftigen
Jüngling Paul Rönning. In einer Gesellschaft, in der
Paul anwesend ist, wagt es der als Spieler und Roué
berüchtigte Oberlieutenant Karinski, in verletzendster
Weise den Ruf der geliebten Schauspielerin anzutasten.
Paul ohrfeigt ihn, und da der Oberlieutenant un¬
bewaffnet ist, so kann er nicht alsbald mit dem Degen
den Schimpf rächen, sondern schickt am anderen Morgen dem
modern gesinnten Paul seine Sekundanten. Aber Paul
lehnt das Duell ab mit der Erklärung: der Herr Ober¬
lieutenant hat sich gemein benommen, ich habe ihn ge¬
züchtigt; wir sind quitt. Im Uebrigen bin ich erst jüngst
von schwerer Krankheit genesen und finde das Leben so
heiter, daß ich keine Lust habe, es leichtsinnig aufs
Er geht von dieser Erklärung auch
Spiel zu setzen.
nicht ab, als ihm bedeutet wird, daß der Oberlieutenant,
wenn er sich nicht schlagen könne, als Offizier ruinirt
und weiterhin gleichsam zum Tode verurtheilt sei, da er
zu den Menschen gehöre, die ohne Uniform nicht leben
könnten. Paul beharrt auf seinem Standpunkt, der
trotz aller Beschönigungen der Standpunkt eines Feig¬