II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 50

8.
Freiwild
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seine Sache ganz auf sich. Seinem Dämon folgt er und
fragt nicht, wie sein Thun wirkt, ob es Beifall findet oder
Spott, sondern was sein Thun ist. Er lebt seinem Gotte,
und er lebt als Bettler, der ein König ist. Ihn lockt
nicht, was die Meisten begehren. Ganz anders denkt und
fühlt der Katrina, der Angeborene der Kriegerkaste. Er
strebt nach Ruhm, Macht und Ansehen, nicht nach rein
idealen, sondern nach realen Gütern, die ihm eben nur von
den Anderen verliehen werden können. Der Brahmane
geht einsame Wege für sich, der Khatriva bedarf der
Kronen und Hermelinmäntel, des Glanzes und Reichtums,
der Menge, die ihn jubelnd umringt. Und so wertet er
naturgemäß die Ehre nicht individualistisch, sondern sozia¬
listisch. Nein, nicht das Ich entscheidet darüber,
so sagt er, sondern die Anderen, die Gesell¬
schaft, die Welt. Meine Ehre ist nicht allein
von mir abhängig, sondern von jedem Anderen. Wer auch
tait schmutzigen Händen daran faßt, besudelt. Jedes
geringschätzige Lächeln verletzt sie aufs Tötlichste. Er muß
daher verhüten, daß irgend Einer nur wagt, ihn anzutasten.
Er befindet sich in einem steten Verteidigungs= und Abwehr¬
zustande. Sowohl die Brahmanen, wie die Kriegerkaste
sind Herrscherkasten. Sie sehen auf das Große, das Ganze
und das Letzte hin. Sie wollen die Welt befreien von dem
Gezänk, dem Schmutz, den gegenseitigen Besudelungen, daß
Alle nebeneinander als Herren leben und sich gegenseitig achten.
Sie kämpfen gleichmäßig an gegen das dumpfe, rohe und
tierische Tschandallen= und Pariatum. Sie lachen der
schönen Gesetze, die in Büchern und Paragraphen nieder¬
gelegt werden, und wissen, daß diese nur armselige Not¬
behelfe sind. Sie beanspruchen, daß sie ihre Gesetze in sich
selber tragen, daß sie ihre eigenen Richter sein dürfen,
kraft des hohen Sittlichkeitsbewußtseins, das in ihnen ruht.
„Zähme Deine Schimpflust, die Gemeinheit Deiner Natur,
Tschandale!" so ruft der Khatria! „Für jeden Hauch,
mit dem Du die Welt verpestest, zahrt Du mit
Deinem Blut. Für jede Lästerung werfe ich und
wirft auch Du Dein Leben in die Wageschale.
Dagegen kämpft der Brahmane für die innere Befreiung.
Jeuer will zuerst die Anderen bessern, dieser zuerst sich selber
zähmen. Neben der Brahmanen- und Kriegermoral giebt
es aber noch eine Moral der Schudra, eine kleine, dürre
Armen- und Alltagsmoral, die sich schlecht und recht durchs
Leben hinzuschwindeln sucht und von der Hand in den Mund
lebt. Auf das gegenseitige Schimpfen und Lästern will und
kann der Schudra nun ein für alle Mal nicht verzichten,
und wenn das Maulwerk nicht mehr ausreicht, dann haut ma¬
sich eine Ohrfeige herunter. Aber das ist ja nicht so gefährlich.
Man geht alsdann zum wohlbestallten Richter und Kadi,
und der einsichtige Mann verurteilt den Missethäter zu
fünfzehn Mark Geldstrafe, und die Geschichte ist glatt und
gut geordnet. Ich für meine Person begreife und verstehe
den Brahmanen und Kshatrina, wie auch den Schudra;
aber jede dieser Moralen hat ihre Logik in sich, die man
nicht wirr und bunt der Kraut und Rüben durchei¬
ander werfen kann, wie das Arthur Schnitzler
in seinem neuesten, vom „Deutschen Theater" auf¬
geführten Schauspiel „Freiwild" thut. Schnitzler maßt
sich da an, im Namen der „modernen Weltanschauung
gegen das Duell, gegen die Ehranschauungen der Krieger¬
kaste Widerspruch einzulegen, aber die moderne Welt¬
anschauung hat allen Grund, diesen ganz und gar unge¬
schulten Denker von ihren Rockschößen sich abzuschütteln.
Echte Brahmanen, wie Sokrates, Saadi, Schopenhauer, haben
ein Recht, gegen den Zweikampf aufzutreten, auch ein echter
Schudra mag sich seiner Haut wehren, so gut, wie er kann, und
sich darauf steifen, daß er nur fünfzehn Mark zu bezahlen
braucht, wenn er seinen Gegner ohrfeigt — aber der
Schnitzlersche Held ist wie sein geistiger Vater ein Wirrkopf,
ne jämmerliche Tschandalennatur, die einige Schlag¬
Kundschau.
und Mordie schreien, wenn der Andere auch schußt, und
mitten im Zweikampf Reißaus nehmen. Gleich im ersten
Aufzug liegt der Denkler des Schauspiels.
Ein Offizier beschimpft eine Dame, beschimpft
die Geliebte unseres Helden. Nun sagt die „moderne
Brahmanen=Weltanschauung", wie sie klar und logisch von
Schopenhauer entwickelt ist, daß eine solche Beschimpfung
sich selber richtet. Wären Ar hur Schnitzler und Paul
Rönning Saadis, so würden sie zu den Schmähworten
lächeln und dem Helden ironisch antworten: „Ja, Sie haben
nun einmal die Ansicht von der Dame. Aber sowohl der
Dame, wie auch uns kann es höchst gleichgiltig sein, was so
ein Mensch, wie Sie, von ihr denkt und redet. Dürfen
wir Ihnen eine Zigarre anbieten?" Jedenfalls stellt sich
diese Anschauung auf den Standpunkt, daß ich durch eine
äußere Gewaltthat niemals eine Ehre wiederherstellen kann.
Nennt mich Jemand einen Dieb, so beweise ich ihm da¬
durch, daß ich ihn torsteche, noch nicht, daß ich
ein ehrlicher Mensch bin. Das Erste aber,
was unser braver Schnitzler unternimmt, ist, daß er
sich auf den Krieger= und Gewaltstandpunkt stellt,
daß er haut, daß er durch eine Ohrfeige die Ehre einer
Dame wieder herzustellen sucht. Im zweiten Akt läuft er
in Einem fort als stolzer Nietzschescher Uebermensch auf
und ab und erklärt mit hohlen Phrasen, daß ihm ganz
und gar nichts an dem Urteil aller anderen Menschen liegt,
und gleich seine erste That beweist, daß ihm Alles daran
liegt, daß er sogar die Meinung eines ganz und gar ver¬
kommenen Menschen" so tragisch wie nur möglich nimmt.
Als echter Tschandale wirft sein Held mit den Schimpf¬
wörtern um sich, daß einem die Ohren gellen. Lump!
Schurke! Das sind die einzigen Ausdrücke, die er gegen
den Gegner anwendet, aber wenn auch dieser Lump sagt,
dann schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen und
ruft alle Götter zu Zeugen für eine solche Gemeinheit auf
und wundert sich wer weiß wie, daß ein
Mensch solche Worte in den Mund nehmen kann.
Das Duell der höflichen Formen weist er mit Entrüstung
zurück, um zu guter Letzt . . . . auf ein Cowboy-Duell
einzugehen. Jeder von den beiden Gegnern steckt sich einen
Revolver in die Tasche, aber statt daß sie ihre Sache still
unter sich im Grunewald abmachen, laufen sie auf die
offene Straße hinaus und schießen auf einander los. Ist
das jedoch kein Duell? Ein guter braver Schudra würde
auch hier wenigstens der Logik seiner Moral treu geblieben
sein und hätte die Polizei und den Herrn
Kadi zu seinem Schutze aufgerufen. Aber Leute,
die nicht wissen, was sie thun, Wirrköpfe
nimmt man nicht ernst. Natürlich haben diejenigen, welche
auf dem Standpunkt der Kshatria=Moral stehen, das Recht,
lächelnd über die Tendenz dieses Schauspiels hinwegzugehen,
und können sagen, daß nicht ein einzelner verkommener
Oerter, der durch sein ganzes Wesen allen Ehrbegriffe
der Kriegerkaste ins Gesicht schlägt, deren Ideale in
Mißansehen zu bringen vermag, wie auch die Brahmanen
den Herrn Rönning weit von sich abweisen. Der
Offizier ist ein echter und rechter Tschandale, und der
Schnitzlersche Held ist es nicht minder. Tschaudalen prügeln
sich und schlagen sich tot, und wir wollen uns um der Ge¬
sittung, um der Menschheit willen freuen, wenn alle
Tschaudalen aus der Welt verschwunden sind. Ueber
Schnitzler als Künstler habe ich diesmal nichts zu sagen.
Er ist ganz hinter dem Tendenzapostel verschwunden, und so
habe ich es nur mit seinen Gedanken und Meinungen zu
thun. Es ist Tschaudalen=Weisheit, die er predigt — fort
damit
Julius Hart.
* Man schreibt uns aus Lübeck: Das hier soeben auf¬
geführte vieraktige Schauspiel „Das höchste Gesetz"
von T. Szafranski brachte eine von Verständnis zeugende
Durchführung des Grundgedankens, daß es „des Menschen
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