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Nr. 46.
Die Gege
zügliche Schauspieler halfen dem Verfasser über bedenkliche, unfreiwillig
humoristische Seenen hinweg. Schönthan und sein Dresdener Ge¬
noß Koppel hatte im Lessing=Theater weder das gleiche Glück mit den
Komödianten, noch fanden sie im Parkett irgend Jemanden, der ihrem
soweit ganz nett gemeinten Lustspielchen von der goldenen Eva einiges
Interesse abgewann. Wir kennen genugsam die reiche, junge Wittwe,
die so gern einem adligen Herrn in's Ehebett folgen möchte und die
darüber die treue Liebe eines redlichen, hübschen Bürgerjungen fast ganz
übersieht. Wir kennen nicht minder gut den verarmten, ewig hungrigen
Wappenträger, der nur noch von Wucherers Zärtlichkeit lebt und der
jener Wittib rundliche Fülle ungalant und kurzsichtig genug für den Stroh¬
halm hält, daran er sich aus dem Wasser auf's Trockene retten kann.
Auch wie die Geschichte ausgeht, wissen wir. Schönthan und Koppel
fiel, als sie ein neues Lustspiel zusammenschneiden wollten, zum Unglück
nur diese, nicht eben lang verklungene Mär ein. Sie dachten sündhaft
bei sich, den Leuten Sand in die Augen streuen zu können, wenn sie
die pikante Handlung rasch in's sechzehnte Jahrhundert verlegten, den
Dialog so einrichteten, daß er hinten klapperte, und den Director zwangen,
für Kostüme große Ausgaben zu machen. Aber das mißlang schmählich
am Kronprinzenufer, um in der Charlottenstraße um so besser zu glücken.
Wer, wie ich, im Berliner Theater dem ersten Akte des anderen Lust¬
spiels in Versen: Renaissance ohne Theaterzettel, ja zufällig auch ohne
Kenntniß des Titels und des Verfassers, ohne Beeinflussung und Vor¬
eingenommenheit rein als kritischer Waisenknabe beiwohnte, konnte wirk¬
lich auf einen „höheren Dichter rathen, sogar auf einen Richard Boß
erster Manier. Da war eine musterhafte Exposition, ein ansprechender
Vorwurf, ein gebildeter, stilvoller und doch frischer Dialog, vor Allem
aber eine — von Hrn. Schindler meisterlich gespielte — Charge eines
pedantischen Hausmeisters, jede Scene, jede Figur eine entschiedene Talent¬
probe. Bedauerlicher Weise hielten sich die zwei folgenden Akte nicht
auf der Höhe des ersten. Schönthan verpfuschte Koppeln offenbar das
Concept. Was wie ein sonniges Künstlerdrama begann, fuhr wie eine
Operette fort und endete wie eine Philisterposse von L'Arronge oder
Moser. Schon im zweiten Aufzuge wird das angeschlagene Hauptthema
der Herzens=Renaissance einer bigotten Wittwe, die unter dem Einflusse
eines schönen, jungen Künstlers zu neuer Lebens= und Liebeslust er¬
wacht, plötzlich verlassen, um das Erwachen einer Jünglingsseele zu
schildern, der sein Herz entdeckt und das Küssen und den Ernst des
Lebens lernt — Motto: „Mein Herz, ich will dich fragen", frei nach
Friedrich Halm und ebenso zuckerfuß und pikant. Damit verliert das
Scherzspiel jedes tiefere Interesse und allen literischen Anspruch, den
es erheben zu können glaubt, um nur noch Agenweide und Seelen¬
kitzel für mehr oder minder harmlose Backfische zu werden. In der
Provinz hat denn auch „Renaissance“ überall Triumphe gefeiert, und es
ist ein neuer Beweis von Director Prasch's Geschicklichkeit, daß er das
Stück für sein Familienpublicum erworben hat. Rauschender Beifall
wurde ihm zu Theil, und auf Wochen hinaus scheint er aller Repertoire¬
sorgen ledig. Er verdient sein Glück, denn die Aufführung war so ge¬
lungen, wie sie zur Zeit kaum eine andere Berliner Bühne so abgerundet
und in allen Rollen gleich vollendet herausbringen könnte.
Und da die Verskomödien im Kurs der Theaterbörse dermalen er¬
staunlich hoch cotirt werden, so rückte auch das Kgl. Schauspielhaus mit
einem „Scherzspiel auf den Plan. Dreyer, der begabte Verfasser von
„Drei" hat auch „Eine gedichtet. Genre Hans Sachs, grobe Holz¬
schnittmanier, derbe Handlung, knorrige Verse. Das Experiment ist ihm
aber eben so wenig gelungen, wie seinem naturalistischen Collegen Halbe
im „Amerikafahrer. Unsere verbildete Zeit hat keinen Resonanzboden
für den derben Volkshumor, es sei denn, daß er ungenirt und zotig
über alle Stränge haue. Poesie für Herrenabende. Dreyer aber drückte
den guten groben Vorwurf auf das Geheimrathstöchterniveau der Kgl. Hof¬
bühne hin, verwässerte die derbe Komik, verzierlichte die ungeschlachten
Knüppelverse und brach so dem ganzen Schwank tantièmensüchtig das
Genick.
3.
Notizen.
Lied und Märe. Studien zur Charakteristik der deutschen Volks¬
poesie von Dr. Adolf Thimme. (Gütersloh, C. Bertelsmann.) Die
Folkloristik ist noch eine junge Wissenschaft, aber sie blüht immer mäch¬
tiger in allen Ländern auf und verspricht ein bedeutsamer Zweig der
ästhetischen und culturhistorischen Betrachtung zu werden. Es ist gewiß
kein bloßer Zufall, daß zugleich mit der Socialpolitik, dieser schönsten
Frucht des helfenden Mitleids, auch die Erkenntniß des literarischen Volks¬
thums mächtig gefördert wird, der Poesie der großen anonymen Menge, des
Bauern und Arbeiters, des „kleinen Mannes“. Um so dankbarer müssen
wir für solche Veröffentlichungen sein, wie die vorliegende, die uns über
Wesen und Ursprung des volksthümlichen Liedes und Märchens so viel
Tiefdurchdachtes und Neues zu sagen weiß. Mit dichterisch nachfühlenden
Sinnen erzählt Dr. Thimme von Geschichte und Charakter der Volks¬
poesie, zeigt die Typen und Symbole derselben auf, Blumen und Bäume
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Die Gege
zügliche Schauspieler halfen dem Verfasser über bedenkliche, unfreiwillig
humoristische Seenen hinweg. Schönthan und sein Dresdener Ge¬
noß Koppel hatte im Lessing=Theater weder das gleiche Glück mit den
Komödianten, noch fanden sie im Parkett irgend Jemanden, der ihrem
soweit ganz nett gemeinten Lustspielchen von der goldenen Eva einiges
Interesse abgewann. Wir kennen genugsam die reiche, junge Wittwe,
die so gern einem adligen Herrn in's Ehebett folgen möchte und die
darüber die treue Liebe eines redlichen, hübschen Bürgerjungen fast ganz
übersieht. Wir kennen nicht minder gut den verarmten, ewig hungrigen
Wappenträger, der nur noch von Wucherers Zärtlichkeit lebt und der
jener Wittib rundliche Fülle ungalant und kurzsichtig genug für den Stroh¬
halm hält, daran er sich aus dem Wasser auf's Trockene retten kann.
Auch wie die Geschichte ausgeht, wissen wir. Schönthan und Koppel
fiel, als sie ein neues Lustspiel zusammenschneiden wollten, zum Unglück
nur diese, nicht eben lang verklungene Mär ein. Sie dachten sündhaft
bei sich, den Leuten Sand in die Augen streuen zu können, wenn sie
die pikante Handlung rasch in's sechzehnte Jahrhundert verlegten, den
Dialog so einrichteten, daß er hinten klapperte, und den Director zwangen,
für Kostüme große Ausgaben zu machen. Aber das mißlang schmählich
am Kronprinzenufer, um in der Charlottenstraße um so besser zu glücken.
Wer, wie ich, im Berliner Theater dem ersten Akte des anderen Lust¬
spiels in Versen: Renaissance ohne Theaterzettel, ja zufällig auch ohne
Kenntniß des Titels und des Verfassers, ohne Beeinflussung und Vor¬
eingenommenheit rein als kritischer Waisenknabe beiwohnte, konnte wirk¬
lich auf einen „höheren Dichter rathen, sogar auf einen Richard Boß
erster Manier. Da war eine musterhafte Exposition, ein ansprechender
Vorwurf, ein gebildeter, stilvoller und doch frischer Dialog, vor Allem
aber eine — von Hrn. Schindler meisterlich gespielte — Charge eines
pedantischen Hausmeisters, jede Scene, jede Figur eine entschiedene Talent¬
probe. Bedauerlicher Weise hielten sich die zwei folgenden Akte nicht
auf der Höhe des ersten. Schönthan verpfuschte Koppeln offenbar das
Concept. Was wie ein sonniges Künstlerdrama begann, fuhr wie eine
Operette fort und endete wie eine Philisterposse von L'Arronge oder
Moser. Schon im zweiten Aufzuge wird das angeschlagene Hauptthema
der Herzens=Renaissance einer bigotten Wittwe, die unter dem Einflusse
eines schönen, jungen Künstlers zu neuer Lebens= und Liebeslust er¬
wacht, plötzlich verlassen, um das Erwachen einer Jünglingsseele zu
schildern, der sein Herz entdeckt und das Küssen und den Ernst des
Lebens lernt — Motto: „Mein Herz, ich will dich fragen", frei nach
Friedrich Halm und ebenso zuckerfuß und pikant. Damit verliert das
Scherzspiel jedes tiefere Interesse und allen literischen Anspruch, den
es erheben zu können glaubt, um nur noch Agenweide und Seelen¬
kitzel für mehr oder minder harmlose Backfische zu werden. In der
Provinz hat denn auch „Renaissance“ überall Triumphe gefeiert, und es
ist ein neuer Beweis von Director Prasch's Geschicklichkeit, daß er das
Stück für sein Familienpublicum erworben hat. Rauschender Beifall
wurde ihm zu Theil, und auf Wochen hinaus scheint er aller Repertoire¬
sorgen ledig. Er verdient sein Glück, denn die Aufführung war so ge¬
lungen, wie sie zur Zeit kaum eine andere Berliner Bühne so abgerundet
und in allen Rollen gleich vollendet herausbringen könnte.
Und da die Verskomödien im Kurs der Theaterbörse dermalen er¬
staunlich hoch cotirt werden, so rückte auch das Kgl. Schauspielhaus mit
einem „Scherzspiel auf den Plan. Dreyer, der begabte Verfasser von
„Drei" hat auch „Eine gedichtet. Genre Hans Sachs, grobe Holz¬
schnittmanier, derbe Handlung, knorrige Verse. Das Experiment ist ihm
aber eben so wenig gelungen, wie seinem naturalistischen Collegen Halbe
im „Amerikafahrer. Unsere verbildete Zeit hat keinen Resonanzboden
für den derben Volkshumor, es sei denn, daß er ungenirt und zotig
über alle Stränge haue. Poesie für Herrenabende. Dreyer aber drückte
den guten groben Vorwurf auf das Geheimrathstöchterniveau der Kgl. Hof¬
bühne hin, verwässerte die derbe Komik, verzierlichte die ungeschlachten
Knüppelverse und brach so dem ganzen Schwank tantièmensüchtig das
Genick.
3.
Notizen.
Lied und Märe. Studien zur Charakteristik der deutschen Volks¬
poesie von Dr. Adolf Thimme. (Gütersloh, C. Bertelsmann.) Die
Folkloristik ist noch eine junge Wissenschaft, aber sie blüht immer mäch¬
tiger in allen Ländern auf und verspricht ein bedeutsamer Zweig der
ästhetischen und culturhistorischen Betrachtung zu werden. Es ist gewiß
kein bloßer Zufall, daß zugleich mit der Socialpolitik, dieser schönsten
Frucht des helfenden Mitleids, auch die Erkenntniß des literarischen Volks¬
thums mächtig gefördert wird, der Poesie der großen anonymen Menge, des
Bauern und Arbeiters, des „kleinen Mannes“. Um so dankbarer müssen
wir für solche Veröffentlichungen sein, wie die vorliegende, die uns über
Wesen und Ursprung des volksthümlichen Liedes und Märchens so viel
Tiefdurchdachtes und Neues zu sagen weiß. Mit dichterisch nachfühlenden
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