8. Freiwil
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BURG, DAS THEATER M WINTER 189697
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Resume von Geschichtsphrasen giebt. Wil¬
Fuida, sondern E. v. Wildenbruch zu, und
denbruch ist ein Erbangesessener der Phrase.
das kann ernsthaft niemanden überrascht
In ihm ist einmal eine Phrase unterdrückt
haben. Ein Dichter, der so königsbegeistert
worden, das ist seine Tragik geworden, die
ist, wie sollte der nicht den Schillerpreis ver¬
Tragik der unterdrückten Phrase. Sein dra¬
dienen! Und Wildenbruch ist der unwürdigste
matisches Leitmotiv laut: Zum Kampf der
gewiss nicht. Nur gerade dieses Drama, für
Phrasen und Geschichtsbilder. Jedes neue
das er ihn erhielt, das Heinrichsdrama, hat
Motiv, das ihm einfallt, giebt eine neue Ver¬
den Schillerpreis wieder einmal gründlich
wirrung der Situation, der Charaktere, der
diskreditiert. Diese zehnaktige Geschichts¬
Motive. Er hat die Dialektik eines Kindes
fälschung ist eine dichterische Rohheit, die
ohne die Unschuld eines Kindes. Um das zu
an die wüstesten Ritter- und Räuberstücke er
sein, was Heinrichs Sohn (V.) ist, mis er
innert, vor keiner künstlerischen Plattheit
sich erst sein deutsches Herz ausreissen, den
zurückschreckt, nicht vor den rührseligsten
Schwamm, der jedem Deutschen im Herzen
hirch-Pfeifferiaden, nicht vor den tollsten Ge¬
wächst. Mit ihm soll das Unglück des Kaisers
schmacklosigkeiten, vor keinem Byzantinismus
motiviert werden, wiewohl die Fürsten nachts
wie vor keiner Unlogik. Die dramatische Ent¬
von dieser Krankheit haben, sie sind wilde
wicklung geschieht bei Wildenbruch auch
sonst, indem jeden Augenblick umgeworfen
Raubtiere, Aber noch hat er seine Empörung
nicht in die That umgesetzt, da fühlt er den
wird, was vorher aufgebaut war. Man steht
Schwamm schon wieder im Busen sich nach¬
immerwährend vor dem Gefühle entweder
gewachsen, und kann nun der zärtliche Sohn
der Held ist plötzlich blödsinnig geworden,
sein, dessen Pietät einen Rachezug gen Rom
oder er war es im vorangegangenen Akt.
erheischt. Der zweite Teil des Dramas löst
Das Ganze ist ein historisches Tableau und
sich in zusammenhangslose Bilder auf, die
kein Drama; als historisches Drama müsste
alle darin ist Wildenbruch Meister
der Kampf zwischen dem Kaiser und dem
höchst theatralisch aufgebaut sind und Einen
Papst seinen Mittelpunkt bilden, und es sieht
zuweilen über die dramatische Ohnmacht des
auch zuweilen so aus, als sollte dies des
Dichters tähen können. Im besten Falle
Dramas Kern sein. Wenigstens der erste
ist ein Wildenbruchischer Akt ein Drama für
Teil, der immerhin noch eine gewisse dra¬
sich. Der folgende Akt hat niemals mehr
matische Anlage hat, spitzt sich zu diesem
einen vernünftigen oder künstlerischen Zu¬
Kampfe zu, von dem man nur nicht weiss,
sammenhang mit dem vorangegangenen.
wozu er uns heute soll. Wildenbruch ist der
Die Wirkung der Heinrichstragödie geht
Dramatiker verspäteter Motive; er kommt mir
nicht sehr tief. Das dramatische Ereignis die¬
vor, wie jemand, der einen Streit verschlafen
ses Winters ist „Die versunkene Glocke" von
hat, und nachdem er schon fast vergessen
Gerhart Hauptmann, die nach zwei Richtun=
ist, plötzlich mit grosser Leidenschaft sich
gen hin bemerkenswert ist: erstens wegen
einmischen will. Dabei identifiziert er sich
seines völligen Abfalls von seinen Kunstten¬
nun in sehr naiver Weise jeweilig mit einem
denzen, dann wegen des persönlichen Schick¬
seiner Helden, da er endlich einsicht, dass
sals, das sich in diesem „Deutschen Märchen¬
der andere Recht hat; damit er aber wieder
drama" abspielen soll. Hierin freilich bin ich
zu seinem Recht kommt, muss der andere
nicht kompetent zu urteilen. Die Freunde des
schnell eine Gemeinheit begehen und im Un¬
Dichters sagen, das Märchendrama sollte so¬
recht sein. So wechselt sich das Spiel ab.
zusagen eine Entschuldigung vor seiner Ehe¬
Gregor hat Recht gegen Heinrich, als der
frau sein, von der er sich getrennt hat. Das
reife Charakter, der weise Staatsmann gegen
Eine ist offenbar: der Dichter dieser „Ver¬
den unerzogenen jungen Fürsten, Heinrich
sunkenen Glocke" muss ein von Gewissens¬
aber hat Recht gegen Gregor, als der ge¬
bissen zerfressenes Herz haben, ein schwerer
borene Fürst gegen den Usurpator, den po¬
beängstigender Traum scheint über ihm zu
litischen Intriguanten; Heinrich ist ein Ehe¬
liegen, aber das Zauberwort, das ihn befreite,
brecher, also trifft ihn sein Schicksal mit
fallt ihm nicht bei. Ein von der Sünde Ge¬
Recht, Heinrich ist der ideale Fürst, also
beugter glaubt sich aufzurichten, wenn er dem
trifft es ihn wieder nicht mit Recht. Das
Lichte folgt, das jenseits von Gute und Böse
Schlimmste aber ist, dass damit nicht einmal
weist. Aber dies Eiland der moralischen Un¬
der Mensch charakterisiert wird. Schliesslich
schuld liegt unerreichbar vor ihm, er stam¬
lauft alles auf Phrasen hinaus, wie: Treue
melt, er schwärmt, er flucht, er schreit, aber
gegen seinen König ist Deutschlands Reli¬
keine Barke bringt ihn hinüber; seine Recht¬
gion, Ich bin Deutschland, Deutschland ist
fertigung ist keine Rechtfertigung, so lang er
Ich u. dgl. m. Die Menschen handeln und
diesseits steht, hier, und in seinem Munde
sind nicht, sondern reden, was sie sein sollen,
jeder sagt seine Mission her, indem er es haben alle diese Worte gar keinen Sinn:
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BURG, DAS THEATER M WINTER 189697
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Resume von Geschichtsphrasen giebt. Wil¬
Fuida, sondern E. v. Wildenbruch zu, und
denbruch ist ein Erbangesessener der Phrase.
das kann ernsthaft niemanden überrascht
In ihm ist einmal eine Phrase unterdrückt
haben. Ein Dichter, der so königsbegeistert
worden, das ist seine Tragik geworden, die
ist, wie sollte der nicht den Schillerpreis ver¬
Tragik der unterdrückten Phrase. Sein dra¬
dienen! Und Wildenbruch ist der unwürdigste
matisches Leitmotiv laut: Zum Kampf der
gewiss nicht. Nur gerade dieses Drama, für
Phrasen und Geschichtsbilder. Jedes neue
das er ihn erhielt, das Heinrichsdrama, hat
Motiv, das ihm einfallt, giebt eine neue Ver¬
den Schillerpreis wieder einmal gründlich
wirrung der Situation, der Charaktere, der
diskreditiert. Diese zehnaktige Geschichts¬
Motive. Er hat die Dialektik eines Kindes
fälschung ist eine dichterische Rohheit, die
ohne die Unschuld eines Kindes. Um das zu
an die wüstesten Ritter- und Räuberstücke er
sein, was Heinrichs Sohn (V.) ist, mis er
innert, vor keiner künstlerischen Plattheit
sich erst sein deutsches Herz ausreissen, den
zurückschreckt, nicht vor den rührseligsten
Schwamm, der jedem Deutschen im Herzen
hirch-Pfeifferiaden, nicht vor den tollsten Ge¬
wächst. Mit ihm soll das Unglück des Kaisers
schmacklosigkeiten, vor keinem Byzantinismus
motiviert werden, wiewohl die Fürsten nachts
wie vor keiner Unlogik. Die dramatische Ent¬
von dieser Krankheit haben, sie sind wilde
wicklung geschieht bei Wildenbruch auch
sonst, indem jeden Augenblick umgeworfen
Raubtiere, Aber noch hat er seine Empörung
nicht in die That umgesetzt, da fühlt er den
wird, was vorher aufgebaut war. Man steht
Schwamm schon wieder im Busen sich nach¬
immerwährend vor dem Gefühle entweder
gewachsen, und kann nun der zärtliche Sohn
der Held ist plötzlich blödsinnig geworden,
sein, dessen Pietät einen Rachezug gen Rom
oder er war es im vorangegangenen Akt.
erheischt. Der zweite Teil des Dramas löst
Das Ganze ist ein historisches Tableau und
sich in zusammenhangslose Bilder auf, die
kein Drama; als historisches Drama müsste
alle darin ist Wildenbruch Meister
der Kampf zwischen dem Kaiser und dem
höchst theatralisch aufgebaut sind und Einen
Papst seinen Mittelpunkt bilden, und es sieht
zuweilen über die dramatische Ohnmacht des
auch zuweilen so aus, als sollte dies des
Dichters tähen können. Im besten Falle
Dramas Kern sein. Wenigstens der erste
ist ein Wildenbruchischer Akt ein Drama für
Teil, der immerhin noch eine gewisse dra¬
sich. Der folgende Akt hat niemals mehr
matische Anlage hat, spitzt sich zu diesem
einen vernünftigen oder künstlerischen Zu¬
Kampfe zu, von dem man nur nicht weiss,
sammenhang mit dem vorangegangenen.
wozu er uns heute soll. Wildenbruch ist der
Die Wirkung der Heinrichstragödie geht
Dramatiker verspäteter Motive; er kommt mir
nicht sehr tief. Das dramatische Ereignis die¬
vor, wie jemand, der einen Streit verschlafen
ses Winters ist „Die versunkene Glocke" von
hat, und nachdem er schon fast vergessen
Gerhart Hauptmann, die nach zwei Richtun=
ist, plötzlich mit grosser Leidenschaft sich
gen hin bemerkenswert ist: erstens wegen
einmischen will. Dabei identifiziert er sich
seines völligen Abfalls von seinen Kunstten¬
nun in sehr naiver Weise jeweilig mit einem
denzen, dann wegen des persönlichen Schick¬
seiner Helden, da er endlich einsicht, dass
sals, das sich in diesem „Deutschen Märchen¬
der andere Recht hat; damit er aber wieder
drama" abspielen soll. Hierin freilich bin ich
zu seinem Recht kommt, muss der andere
nicht kompetent zu urteilen. Die Freunde des
schnell eine Gemeinheit begehen und im Un¬
Dichters sagen, das Märchendrama sollte so¬
recht sein. So wechselt sich das Spiel ab.
zusagen eine Entschuldigung vor seiner Ehe¬
Gregor hat Recht gegen Heinrich, als der
frau sein, von der er sich getrennt hat. Das
reife Charakter, der weise Staatsmann gegen
Eine ist offenbar: der Dichter dieser „Ver¬
den unerzogenen jungen Fürsten, Heinrich
sunkenen Glocke" muss ein von Gewissens¬
aber hat Recht gegen Gregor, als der ge¬
bissen zerfressenes Herz haben, ein schwerer
borene Fürst gegen den Usurpator, den po¬
beängstigender Traum scheint über ihm zu
litischen Intriguanten; Heinrich ist ein Ehe¬
liegen, aber das Zauberwort, das ihn befreite,
brecher, also trifft ihn sein Schicksal mit
fallt ihm nicht bei. Ein von der Sünde Ge¬
Recht, Heinrich ist der ideale Fürst, also
beugter glaubt sich aufzurichten, wenn er dem
trifft es ihn wieder nicht mit Recht. Das
Lichte folgt, das jenseits von Gute und Böse
Schlimmste aber ist, dass damit nicht einmal
weist. Aber dies Eiland der moralischen Un¬
der Mensch charakterisiert wird. Schliesslich
schuld liegt unerreichbar vor ihm, er stam¬
lauft alles auf Phrasen hinaus, wie: Treue
melt, er schwärmt, er flucht, er schreit, aber
gegen seinen König ist Deutschlands Reli¬
keine Barke bringt ihn hinüber; seine Recht¬
gion, Ich bin Deutschland, Deutschland ist
fertigung ist keine Rechtfertigung, so lang er
Ich u. dgl. m. Die Menschen handeln und
diesseits steht, hier, und in seinem Munde
sind nicht, sondern reden, was sie sein sollen,
jeder sagt seine Mission her, indem er es haben alle diese Worte gar keinen Sinn: