II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 105

8. Freiwild
alba¬
Tug
den Schein
die Be¬
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BERG, DAS THEATER IN WINTER 189697.
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herrscher der Kulissen und Requisiten. Dieser
Wie Teja, hat auch Ludwig Falle
Selbstverrat hat be Hauptmann freilich
neuestes Bühnenwerk „Der Sohn des Kalisen
würdigere und menschlich begreiflichere Be¬
eine Umwandlung zum Vorwurf. Da er einen
weggründe. Aber traurig ist er bei Beiden.
Märchenstoff behandelt, hat der Dichter auf
Packend ist der Seelenschmerz Heinrichs im
Charakteristik vollständig verzichtet. Der
4. Akt dargestellt, wo sich auch die meisten
Fluch eines Derwischs genügt, aus einem rohen,
und schönsten Motive finden. Die Wirkung,
jähzornigen, mitleidslosen Krieger, einen
die die „Versunkene Glocke auf die Geister
Schachtlappen zu machen, dem jedes Weh
ausgeübt hat, kann nur derjenigen verglichen
seines Unterthanen in die eigene Brust fahrt.
werden, welche die „Andromeda des
Das Problem ist an sich sehr schön eine
Euripides in der Heimatstadt des Demokrit
Siegernatur, die das Mitleid nicht kennt, zu
ausgeübt hat, worüber man den wahrheits¬
einer mitfühlenden zu machen. Aber man
getreuen Bericht in Wielands „Abderiten
muss es doch irgendwie vernünftig anpacken.
nachlesen kann.
Hebbel hätte es dialektisch gewandt, indem
Die anderen Erfolge sind weitaus nicht
er den Helden in sich selbst spaltete, sich
von der symptomatischen Bedeutung und
selbst Ubles zufügen liesse, um ihn so
dürfen kürzer behandelt werden. Sudermanns
pfindlich zu machen für Leiden, die er An¬
Moritur, ist in Cyclus von drei Einaktern
deren zufügte; Andere hätten es durch das
die das Gemeinsame haben, dass in allen dreien
poetische Universalmittel der Liebe gethan,
von Sterbensollenden und Sterbenwollenden
um ihn so teilhaftig werden zu lassen am
die Rede ist; im dritten „Das ewig Männliche
fremden Weh. Aber Ludwig Fulda, der ein
einer hübschen, aber nicht gerade tiefen oder
fixer Kerl ist, macht sich das sehr viel leichter;
geistreichen Satire auf weibliche Geschlechts¬
er weiss auch, dass man mit Klownspassen
moral, scherzhaft. Sudermann, der unter den
das Publikum am besten amüsiert, zumal in
Modernen der beste Novellist ist, hat sich a
einer ernsten Dichtung, sintemalen er so das
fangs im Drama als den wilden Mann ve¬
Nützliche mit dem Angenehmen vereinigen
sucht, aber der Philister sass ihm im Nacken
kann. Nach empfangenem Fluche braucht Prinz
und verpfuschte ihm künstlerisch seinen
Assad nur eine Maulschelle auszuteilen, wo¬
schönsten Erfolg. Dann ist er bald sehr zahm
von er ein Freund ist, und schon spürt er
geworden und hat sich zu einer starken dra¬
selbst einen brennenden Schmerz auf der Backe,
matischen Leistung nicht mehr aufgeschwungen,
Auf diese Weise gewöhnt er sich das natürlich
wiewohl er als einer der ernstesten und ge¬
so allmählich ab. Es ist dieselbe künstlerische
wissenhaftesten Künstler, dem das Herz am
Naivetät wie im „Talisman", der, wenn es
rechten Fleck sitzt, auch mit schwächeren
lohnte, einem neuen Lessing die Ver¬
Werken zu interessieren und zu rühren ver¬
anlassung hätte geben können zu einer
mag. Von den drei Einaktern, die ihm einen
Abhandlung über die Grenzen zwischen
grossen, wenn auch keinen ernsthaften litter¬
Märchen und Theater. Ein poetisches Gleich¬
arischen Erfolg gebracht haben, lässt sich freilich
nis, hier wirds Ereignis, eine epigrammatisch
nicht viel sagen. Der erste „Teja", hört gerade
zugespitzte Fabel bringt Fulda einfach auf
da auf, wo es anfängt interessant zu werden.
die Bühne, als wären Menschen das unwichtigste
Das Problem ist: einen rauhen Krieger, den
auf der Scene. Er macht hübsche Verse, wie
Gothenkönig Teja, der Weiblichkeit und der
man sie sich in der Fabel und Spruch¬
Liebe zu gewinnen. Um das zu veranschau
dichtung gefallen lassen kann; auf der Bühne
lichen, geht der Dichter ins Extrem, nimmt
sind sie einfach langweilig, sie sind ohne Leiden¬
eine ungewöhnliche Situation, in der das Herz
schaft und Kraft, und wenn er Leidenschaft
seines Helden verdüstert ist und dem sicheren
ausdrücken will, wird er geschwätzig. Er hat
Tode ins Auge sieht. Dadurch wurde die
zuweilen auch ganz gute Einfalle, besonders
Aufgabe derartig erschwert, dass sie inner¬
für die Komödie (der beste war „Robinsons
halb eines Aktes gar nicht zu bewältigen war
Eiland"), aber er weiss nie etwas damit an¬
es ist nur eine interessante Episode.
zufangen. Seine Schauspiele sind gar keine
Das zweite Stück „Fritzchen" ist ein
Dramen, sondern Leichtfertigkeiten, sie wachsen
technisch meisterhaft ausgeführter Unsinn,
Einem vor den Augen in die Unreiffe hinein.
welcher seinen Erfolg der gesteigerten Er¬
Noch ist es so lang nicht her, da sah man in
regung im Publikum gegen das Duell zu ver¬
ihm so etwas, wie einen gereinigten Ibsen,
danken hat. Fritzchen hat Pech gehabt, aber
oder die glückliche Vereinigung der Vortref¬
deshalb ist der Lehrsatz seines Vaters, dass lichsten unter den Modernen. Heute sicht
junges Blut sich austoben muss, noch nicht selbst Fritz Mauthner ein, dass er nur die
umgestossen. Sudermann segelt mit allen
Schritte der grossen Kämpen nachtänzelt, ohne
Winden in das gelobte Land Philistria.
ihrer Kraft und Natur eines Hauchs zu verspüren.
lauter Moral wird er langweilig.
Auch äusserlich ist dieser Winter arm an