II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 166

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Freiwild
lag der Straufrage her¬
zustellen. Für die Entschließung der Regierung ist
gewiß die am 1. Mai abgegebene Erklärung des ver¬
Kunst und Wissenschaft.
Residenztheater. — „Freiwild, Schauspiel in drei
Akten von Arthur Schnitzler. (Zum ersten Male.)
Mitten in den plötzlich eingetretenen heißen Sommer¬
tager bringt das Residenztheater eine ernsthafte dramatische
Neuigkeit „Freiwild", in der es schwül genug hergeht
De sehr talentvolle Verfasser, der schon in seinem Drama
Liebelei" die Kunst zeigte, eine Fülle wirklicher Lebens¬
züge in einen Akt zusammenzudrängen und ein energisches
Losschreiten auf den eigentlichen Kern der Handlung durch
höchst belebte Einzelheiten fesselnd zu machen, bewährt
diese Situationskunst wiederum im ersten Akt des düstern
Schauspiels „Freiwild". Wir werden in eine kleine
österreichische Stadt geführt, in der ein Sommertheater
floriert und die Offiziere der Kavalleriegarnison die Schau¬
spielerinnen des bewußten Theaters als ihnen gehörige
Beute, als „Freiwild" betrachten, wobei sie von dem ver¬
ehrlichen Schmierendirektor Schneider allen Vorschub ge¬
leistet erhalten. Ein wüster Gesell, der Oberlieutenant
Karinski, der wegen Schulden, Händeln und Exzessen schon
so ziemlich vor dem einfachen Abschied steht, versteift sich
darauf, die eine Schauspielerin dieses Sommertheaters
Anna Riedel, die die Leichtlebigkeit und Leichtfertigkeit
ihrer Kolleginnen nicht teilt, in seinen Vergnügungskreis
hereinzwingen zu wollen, stößt bei dieser Gelegenheit mit
einem jungen Zivilisten Paul Rönning zusammen, der
sich für die Schauspielerin interessiert. Und als sich der
bei Anna Riedel abgeblitzte Karinski in frechster Weise
über das Fräulein äußert, wird Paul Rönning von Er¬
bitterung über dies Bubenstück und vom Drang seiner
ihm selbst noch unbekannten Neigung für Anna Riedel
übermannt, ohrfeigt den Verleumder des Mädchens in
einem öffentlichen Garten. Das Duell aber, das nach
dem Urteil seiner Umgebungen, unvermeidlich geworden
s
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Zur Reichstagsersatzwahl
. Jnfanteriebrigade Nr. 45 seinen An¬
ostpreußische konservative Verein
fang nimmt.
berg eine Erklärung veröffentlicht,
Der Durchlauchtigste Prinz wird auf der Reise
Partei, um weitere Zersplitterung
nach
England von Höchstseinem Hofmarschall, dem
Aufstellung eines eigenen Kandidat
ist, verweigert Paul Rönning, da er nach seiner Auf¬
heit, mit der Paul Rönning jede
fassung, nur einem Buben die gebührende Züchtigung hat
an sich se begreiflichen Thuns von
zu teil werden lassen und gar nicht einzusehen vermag
von der Welt gleichsam ertrotzen me
daß er für diesen Gebrauch seines vermeinen guten Rechtes
umdrehen seine Anschauungen teile
sein Leben aufs Spiel setzen soll, das ihm schon erst se¬
seines Auftretens schütze, hat bei¬
köstlich erschien, und nun, nach der im zweiten Akte er¬
Die Frage, ob man mit den We¬
folgenden Verlobung mit Anna Riedel, doppelt lebenswert
oder müsse, kann doch wahrhaftig
dünkt. Er lehnt, als ihm klar gemacht wird, was für
beantwortet werden, daß die Wölf
Karinski auf dem Spiele steht, jede Verantwortung für
Aus der unorganischen Verbind¬
den Untergang und Selbstmord des Offiziers mitleidslos
schilderungen und halbabstrakter
ab, er will mit einem so sinnlosen Ehrbegriff, wie ihn der
„Freiwild“ wohl ein interessantes,
brave Oberlieutenant Rohnstedt und eine eignen Freunde
matisch ergreifendes, seelisch üb¬
Dr. Wellner und Grehlinger vertreten, ein für allemal nicht
Die vortrefflichen Einzelheiten,
zu thun haben. Die gleiche Selbstgerechtigkeit aber, die
Charakteristik, der tiefe Ernst, dem
den blutlosen Helden in diesem peinvollen, mit viel Scharf¬
ja sein Bemühen, das einmal aufge¬
sinn und Debattierkunst spannend gemachten zweiten Akt
den verschiedensten Seiten her zu
erfüllt, hindert ihn im dritten, den einzigen Ausweg zu
den Mangel einer vollen, ergreifen
betreten, der ihm bleibt und schleunig abzureisen. Rönning
reißenden Handlung, zu der immer
erfährt, daß der Oberlieutenant, der nur noch den Tod
dem wir zu fühlen und zu leiden
durch eigne Hand vor sich sieht, vom wildesten Rachegefühl
schädigen. Nichts destoweniger hät
gegen ihn, seinen Verderber, erfüllt ist, und nun erscheint
besseres Schicksal verdient, als vor
es ihm als Feigheit, dieser Bedrohung auszuweichen, er
Hause dargestellt zu werden.
trotzt den Bitten der Freunde und der Braut, tritt
Leid muß es gesagt sein, daß
Karinski waffenlos gegenüber und wird von dem Wüten¬
die drei Aite im vollen frischen Zug
den niedergeschossen.
wärtigen am Residenztheater üblic
Den Selbstmord, der dem Morde folgen muß, be¬ rationspausen zu spielen. Das En
kommen wir nicht mehr zu sehen. Aber auch so ist der
war vortrefflich. Die Herren Ce
Mißlaut, mit dem das Stück schließt, grell und schrill
Friese (Pold Grehlinger), Dr. Ma
genug. Und was schlimmer ist: für den Träger der An¬
Janda (Theaterdirektor Schneid
schauung, die der Dichter versicht, vermögen wir uns nicht
(Pepi Fischer) zeichneten sich in leb
zu erwärmen. Mags sein, daß der „Coder", von dem
ihrer Rollen besonders aus. Hr.
Pold Grehlinger mit so komischem Pathos spricht, voll¬
Rönning) und Frl. Garnow
kommen überlebt und sinnlos ist, gleichwohl fühlt jeder
mit der etwas unklaren, monotonen
Zuschauer, daß unter allen Umständen ein anderer Codex
dargestellten Gestalten, gewannen
an seine Stelle treten müßte und keine Gesellschaft
das Möglichste ab und halfen den
dabei bestehen könnte, wenn jeder allein Thäter, Prüfer
das Schauspiel trotz aller seiner
und Richter seiner eigenen Thaten wäre. Die Unbefangen¬
hinterläßt.