II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 214

8.
Freiwild
box 14/3
Fremden Bla
Nr. 35.
Wien, Samstag

mittwoch
Theater und Kunst.
Methusale
eine recht
(Carl-Theater.) Das Schauspiel „Freiwild von Arthur
und Jos
Schnitzler hat gestern beim Wiener Publikum eine lebhafte, sehr
Idee des
freundliche Aufnahme gefunden, obgleich seine Thesen oft Widerspruch
einer F
hervorriefen. Sie betreffen, wie wir als bekannt voraussetzen dürfen,
alten
das Duell. Denn „Freiwild war schon vor seiner allerersten Auf¬
Vorwu
führung in Deutschland dadurch berühmt geworden, daß es die Wirk¬
blut,
lichkeit ziemlich genau nach dem noch unaufgeführten, aber bereits
Publi¬
fertigen Schnitzler'schen Manuskript empfunden hatte; damals spielte der
Auch
parlamentsbekannte Lieutenant v. Brüsewitz die aktive Hauptrolle: Einen
ihre
Offizier, der Denjenigen einfach niedermacht, der ihn beleidigt und die
stürn
geforderte Genugthuung schlankweg verweigert hat. Ueber die Unsitte
Fra¬
des Duells wollen wir mit Herrn Paul Rönning — so heißt der
die
leidende Held des Stückes — nicht rechten; denn er ist ein durchan¬
Frä
schrullenhafter Mann. Weit entfernt, feig zu sein, oder von solcher
und
Weltverachtung, daß es ihm gleichgiltig wäre, für feig gehalten zu
richt
werden, läßt er sich von dem beleidigten Offizier lieber auf der Stra߬
vor
niederschießen, bei einer Begegnung, die er voraussehen muß, als daß
schu
er ihm im Zweikampfe mit der Waffe in der Hand entgegenträte.
Leist
Paul Rönning spricht allerhand sehr vernünftige Sätze über
mit
das Ungeheuerliche des Duells, die alle aus dem Munde
eines gereiften Mannes wahrhaftig klingen und Wirkung üben, nicht
aber aus dem eines jungen Menschen
der soeben einen Offizier be¬
und
schimpft und noch dazu thätlich beschimpft hat, weil er sich gegen eine
trau¬
anständige Schauspielerin rüde benommen und unanständig über sie ge¬
darf
sprochen hatte. Ein solcher Mann muß eben die ritterlichen Konsequenzen
oder
unser Mitleid verwirkt.
seiner That tragen, sonst hat
einer
Und das ist nach der alten klassischen Lehre für einen dramatischen
gesch.
Helden eine sehr schlechte Eigenschaft. Paul Rönning, der den Muth
ein
besitzt, sich wehrlos niederschießen zu lassen, nur um sich nicht duelliren
zu müssen, stirbt wie jener Matrose, der sich mit dem Rufe: „Ich
sterbe für den General Jackson!" vom höchsten Mast ins Meer
stürzt. Es ist doch gar nicht wahr! Gerade der Tod Rönning's hat
uns nichts gegen das Duel bewiesen; im Gegentheile! Es wird uns
von menschlichem Standpunkte des Offiziers geradezu als das Unver¬
meidliche dargestellt; ja es erscheint uns sogar als die zivilisirte Form
der Rache für angethanen Schimpf. Denn das, was der beschimpfte
Lieutenant Karinski gethan hat, ist doch noch viel, viel trauriger,
das traurige Duell. Wenden wir uns von der ernsten Tendenz
Stückes ab zu dem heiteren Milien, aus dem sie entquillt, so können wir
nur aus vollem Herzen loben. Schnitzler zeigt uns nämlich nicht nur
die erwähnte anständige Schauspielerin, sondern führt uns auch ihre
unanständigen Kolleginnen, ihre Kollegen und den Direktor vor, wie
sie sich an Sommerbühnen zusammenfinden. Und dieser Theil des
Stückes — er umfaßt den ersten Akt beinahe ganz und spielt
dann in den letzten, dritten — ist glänzend gelungen. Welch
köstliches Komödiantenstück! Der Sommerdirektor, der die hungernden
Chorherren entlassen und sämmtliche Rollen nur mehr durch Damen
darstellen lassen will, die Trikots gut kleiden, der eine tüchtige brave
Schauspielerin entläßt, weil sie keine Kavaliere ins Haus zieht," weil
sie „mit dem Publikum unliebenswürdig ist, ferner der stets traurige
Komiker, der seine fortwährend ungetreue Engagementsgenossin und
Geliebte, die Soubrette des Theaters, entweder todtschießen oder -
heiraten will, der Kassier, der das gemüthliche Gewissen des Direktors
darstellt, alle diese Figuren sind mit trefflicherem, satirischem
Witz gezeichnet; auch jenes Herrenpublikum, welches das Theater
„Wurstel“ nennt und nur angeregt ist, wenn recht viele „Mädeln
auftreten, kriegt seinen Theil ab. Der Lieutenant Vogel (von Herrn
Blum sympathisch gegeben) ist der Typus dieser Habitués; übrigens
ist er ein sehr guter, junger Mensch, nur magyarembert er in seiner
deutschen Generalstabsuniform auffallend stark, womit offenbar an¬
gedeutet werden soll, daß das Stück in — Deutschland spielt. Die
Darstellung der männlichen Rollen war trefflich. Herr Reusch stand
als Lieutenant Karinski obenan: derlei spielt ihm in Wien Niemand
nach. Herr Klein gab den Rönning mit all der Freudigkeit am
Lebensgenuß und aller Männlichkeit, die dieser Duellfeind vereinigt,
eine durchaus abgetönte Leistung. Tewele war der praktische Direktor
des sommerlichen „Kunstinstitutes, eine gesunde komische Charge. Die
Herren Czasta, Natzler, Worms und Petza, sowie das tempe¬
ramentvolle Fräulein Glümer bildeten sein originelles Künstler¬
ensemble. Herr Martin zeigte sich in einer größeren Nebenrolle
als Darsteller von Geschmack und Verständniß, Herr Meyer¬
Eigen verkörpert als Rittmeister Rohnstadt eine überaus sympathische
männliche Gestalt. Herr Korff war sozusagen ein „Duell Giger!"
man lachte viel über ihn. Frl. Sangora, die naive Naire de¬
Sommertheaters, war diesmal zu schwach. Sie hat zu schöne, heiter
weiße Zähne und schließt die kleinen, runden Lippen nie. In Folge
dessen glaubt man immer, daß Frl. Sangora lacht, während sie doch
weinen sollte.